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Anne von Keller und Jakob Dobers sind seit 2005 das Duo Sorry Gilberto.

©  Alisa Resnik

Porträt des Duos Sorry Gilberto: Wir Weitermacher

Sorry Gilberto gehören zur Berliner Indie-Folk-Szene, die wacker um ihre Nische kämpft. Jetzt erscheint ihr viertes Album "Twistes Animals". Ein Treffen.

Anne von Keller und Jakob Dobers haben noch etwas vor. Nach dem Gespräch werden beide ihre Laptops aus den Taschen holen und das kleine Café im Prenzlauer Berg, in dem das Treffen mit ihnen stattfand, in ihr Büro verwandeln. Gerade beendet das unter dem Namen Sorry Gilberto auftretende Duo eine Tour zu seinem aktuellen vierten Album „Twisted Animals“. Da gebe es viel zu tun, erzählen die beiden. E-Mails beantworten, die Homepage pflegen, vielleicht schon die nächste Tour planen. Sie haben zwar ein kleines Label, das ihnen Arbeit abnimmt, dennoch bleibt genug liegen, was sie selber zu erledigen haben.

Anne von Keller und Jakob Dobers kennen es nicht anders. Seit sie vor neun Jahren ihre Band gegründet haben, machen sie eigentlich alles selber. Als kleine Band, als Duo, das auf ruhigen Indie-Folk setzt und nicht einmal einen Schlagzeuger hat, waren sie nie ein Thema für die großen Konzerthallen und so haben sie begonnen, sich europaweit ein Netzwerk spezieller Orte aufzubauen, in denen sie ein, zwei Mal im Jahr auftreten.

Eben erst haben sie in Karlsruhe ein fantastisches Konzert in einem Wohnzimmer gegeben, berichten sie. Und in Pforzheim sei es ebenfalls wunderbar gewesen. „Vor ein paar Jahren saß ich bei diesen Touren sogar noch selbst am Steuer unseres Peugeot 106“, berichtet von Keller. Nach der Fahrerei dann noch aufzutreten, das sei jedoch immens anstrengend gewesen. Inzwischen leisten sie sich immerhin einen Fahrer.

Dobers spielt Gitarre, Von Keller bedient die Tasteninstrumente

Jakob Dobers war vor Sorry Gilberto Sänger in der Berliner Beat-Band Zimtfisch, die kurz davor war, bekannter zu werden, es dann aber doch nie so richtig geschafft hat. Von Keller pendelte zwischen Schauspielerei und Kellnerei. Zwei Bohemians fanden zusammen, die für eine Weile auch mal ein Paar waren, um gemeinsam eine Form von intimer Musik zu entwerfen, der sie bis heute im Wesentlichen treu geblieben sind. Jakob Dobers schreibt die Songs und spielt Gitarre, Anne von Keller bedient die Tasteninstrumente, spielt Bass und auch mal Blockflöte, wobei diese auf dem aktuellen Album nicht zu hören ist. Es singen fast immer beide. Mal beginnt sie und er steigt mit ein oder umgekehrt. Eine ruhige, beinahe zärtliche Stimmung entfalten ihre melancholischen Songs, man wünscht sich beim Hören unbedingt den Blick auf einen grauen, möglichst regenverhangenen Himmel.

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Es gibt in Berlin eine ganze Szene von Indie-Singer-Songwriter-Acts wie Sorry Gilberto. Masha Qrella, Susie Asado und Kitty Solaris, auf deren Label Sorry Gilberto inzwischen ihre Alben veröffentlichen, sind die bekanntesten. Auffällig viele Frauen sind dabei. Losgelöst vom Party-Hedonismus und dem allgegenwärtigen Techno haben sie sich in den letzten Nischen Berlins eingerichtet. Man tritt in kleinen Neuköllner Läden auf, im Kreuzberger West Germany und das Open Mic jeden Sonntag im Madame Claude am Schlesischen Tor, wo jeder ein paar LIeder vortragen darf, gilt als Stammtisch der Szene. Ebenso die „Flittchenbar“, einmal im Monat im Südblock veranstaltet von Christiane Rösinger, die Jakob Dobers die Übermutter der lokalen Singer-Songwriter-Bewegung nennt. Eine Compilation-Reihe mit dem Namen „Berlin Songs“ dokumentiert seit einigen Jahren deren Treiben und das „Down By The River“-Festival im Sommer ist so etwas wie ihr Klassentreffen.

Die Gentrifizierung macht der Szene zu schaffen

All diese meist prekär lebenden Barden, Poeten und Drifter verkörpern ein recht typisches Berliner Lebensgefühl, aber auch eines, das vom Aussterben bedroht sein könnte. Nirgendwo sonst in Deutschland konnte man sich einfach so treiben lassen wie in Berlin. „Das“, merkt Jakob Dobers beinahe bitter an, „wäre heute in Chemnitz vielleicht leichter als hier. Da gibt es viel Leerstand und die Mieten sind niedrig.“ In Berlin ist das bekanntlich nicht mehr so und das bekommt die Bohème zu spüren. Die Dichter vom Prenzlauer Berg sind aus ihrem glattsanierten Stadtteil längst weggezogen, einige Orte der Singer-Songwriter-Szene, wie das Antje Öklesund in Friedrichshain, sind verschwunden und im Schokoladen in Mitte, der dauernd in seiner Existenz bedroht ist, darf man inzwischen wegen der Nachbarn nur noch Konzerte bis 22 Uhr veranstalten.

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Ziellos sein, sich in Projekten verheddern, einfach mal irgendwas ausprobieren, das alles ist nicht mehr so beschwerdefrei möglich, wie es das noch Anfang des Jahrtausends war. Das Leichte, Unbeschwerte fließt langsam ab aus der Stadt, zurück bleiben gentrifizierte Gegenden und Wohnungsnot. Doch noch sind sie hier, die Lebenskünstler und Streuner und sie halten fest an der Stadt, wie sie sie kennen und lieben gelernt haben. So auch Clémence Freschard, die vor Jahren schon Frankreich verlassen hat, eine Zeit lang in New York lebte und dann in Berlin hängen geblieben ist.

Wie Sorry Gilberto hangelt sie sich von einer Platte zur nächsten, mal mit, mal ohne Plattenfirma und dann geht sie auf Tour, raus aus Berlin, um dann erneut zu schauen, wie es weitergehen soll. Gerade erst hat auch sie ein neues Album veröffentlicht und im Videoclip zu ihrer neuen Single „Friends“ wird dieses langsam verschwindende Bohème-Berlin noch einmal in berührenden Bildern und einem hübschen Song gewürdigt. Man sieht die Sängerin auf Berliner Dächern, im Park, in der Kneipe, beim Tretbootfahren – immer umgeben von Freunden, scheinbar sorgenlos. Ach, könnte es doch immer so bleiben.

Wenn das Geld nicht reicht, wird gekellnert

Aber so einfach ist dieses frei Singer- Songwritertum nicht. „Eigentlich kann man es sich nicht mehr leisten, hier zu leben“, sagt Anne von Keller. Beide Sorry Gilbertos sind nun über 40 Jahre, und ganz ohne Nebenjobs geht es bei ihnen immer noch nicht. Anne von Keller arbeitet weiter als Schauspielerin und wenn es mal gar nicht reicht, als Aushilfskellnerin. Jakob Dobers, der nebenbei auch unter eigenem Namen Musik macht, lässt sich von Freunden immer wieder irgendeine bezahlte Arbeit geben, wenn es mal wieder knapp mit dem Geld wird. „Noch habe ich aber die Vorstellung nicht aufgegeben, von meiner Musik auch mal leben zu können“, sagt Anne von Keller.

„Twisted Animals“ ist bei Solaris Empire erschienen. Record-Release-Konzert: 28.10., 20 Uhr, Ausland

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