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Franziska Hünig in ihrem Atelier - und mit ihren bunten Planen.

© Thilo Rückeis

Porträt Franziska Hünig: Wirklichkeit ist nie von Dauer

Erfrischend bunt im Spannungsfeld von Kontrolle und Kontrollverlust: Franziska Hünig und ihre Plastikplanen-Installation im Lichthof des Bundesrats.

Ausgerechnet Plastikplanen! Das billige, glatte Material ist normalerweise gerade gut genug, um riesige Werbebanner in den Stadtraum zu bringen, wenn sich ein historisches Gebäude mal wieder hinter Baugerüsten und Sanierungsmaßnahmen versteckt. Aber genau diese unhandlichen, erstaunlich schweren Planen hat Franziska Hünig zu ihrem Lieblingsmaterial erkoren. In ihrem Atelier im Norden Pankows, wo die Stadt schon in Schrebergartenquartiere und grünes Umland übergeht, wuchtet und faltet sie eine bestimmt vier oder fünf Meter lange Bahn.

Das Ungetüm schlägt Wellen und Falten, formt Täler und Schluchten, stemmt sich sperrig in den Raum und erinnert zugleich an eine schwere Stoffbahn. Die weiß grundierte Plane ähnelt dem noblen Leinwandgrund der klassischen Malkunst. Sogar dessen Webstruktur ist, aus der Nähe betrachtet, dem Plastikmaterial eingeschrieben. Doch weniger prätentiös, dafür abwischbar, kühl und gänzlich unromantisch wirkt Franziska Hünigs Bildträger, den die in Dresden geborene Künstlerin zu immer neuen Rauminstallationen verarbeitet.

Ihr neuester Coup: Im Bundesrat an der Leipziger Straße hat Hünig ihre auf Maß zerschnittenen Plastikplanen in einem Lichthof ausgerollt und als spröde Wandarbeit in die Fensternischen des hohen, schlanken Raumschachts gehängt. Mehrfach überlappen sich die Bahnen, mal schmaler, mal breiter, als hätte jemand unsinnigerweise gleich mehrere Jalousien vor den Fenstern herabgelassen, die ohnehin keinen Ausblick gewähren – die vermauerten Nischen sind blind. An Sitzungstagen hasten hier die Entscheidungs- und Anzugträger durch die Flure und Gänge, gruppieren sich in Tagungsräumen und gehorchen den Mechanismen des Politikbetriebs. Wer jetzt den Lichthof passiert, hält einen Moment inne, blickt auf. Wie Störfelder schieben sich Franziska Hünigs Arbeiten in den Blick. Denn die Künstlerin hat einen erfrischenden, ziemlich kräftigen Cocktail aus Neongelb, Knallorange und Pink angemixt. Breit hingestrichene Farbbahnen leuchten auf den Planen. Dazwischen schieben sich, wie Realitätsschnipsel, Foto- und Buchstabenfragmente. Sie entstammen den bedruckten Vorderseiten der Werbeplanen. Ein semantisches System bilden sie nicht.

Bundesratspräsidentin Malu Dreyer gefällt diese Art von Kunst

Dass Bundesratspräsidentin Malu Dreyer gerade diese Art von Kunst gefällt, verriet sie zur Einweihung der Installation: „Ich habe mich mit großer Überzeugung für diese Künstlerin entschieden, denn ihre Arbeit bewegt sich immer im Spannungsfeld zwischen Kontrolle und Kontrollverlust. Das ist ungewöhnlich reizvoll und anregend.“ Eine gehörige Portion dieser Inspiration hat sich die in Trier lebende Malu Dreyer schon vor Jahren in ihr rheinland-pfälzisches Büro gehängt.

Künftig wird ein Teil der jetzigen Bundesratsinstallation ihre Berliner Dienstwohnung schmücken. Doch vorerst dürfen auch normale Bürger die Sache in Augenschein nehmen, nach Anmeldung und im Rahmen einer Besucherführung. Jedes Bundesland setzt während seiner einjährigen Präsidentschaft im Bundesrat einen eigenen künstlerischen Akzent. Auf Franziska Hünig war Malu Dreyer schon im Jahr 2013 aufmerksam geworden, als diese ein halbjähriges Stipendium auf Schloss Balomoral in Rheinland-Pfalz absolvierte und dann in der Mainzer Staatskanzlei ausstellte. Die Polit-Verbindung macht es möglich.

„Abstrakt malen wollte ich schon immer“, meint Hünig und lacht: „Im großen Format! Meine Bewerbungsmappe war doppelt so groß wie vorgeschrieben.“ Schon bald hielt es sie nicht mehr im flachen Tafelbildformat. Jede Möglichkeit zu raumgreifenden Arbeiten wurde genutzt. Warum nicht eine frei in der Landschaft stehende Backsteinmauer, den Überrest einer Scheune, mit riesigen Farbbahnen verkleiden? „Als hätte ein Riese so ein paar Pinselstriche draufgemalt. Das war meine Idee.“ Realisieren ließ sie sich, als Hünig durch Zufall auf die ausgemusterten Kunststoffwerbeplanen stieß. Wie gut sich darauf mit Acrylfarbe arbeiten ließ, überraschte sie selbst. 2012 tapezierte Hünig in raumgreifendem Orangerot den Kunstraum Kreuzberg. In den römischen Ruinen Triers ließ sie die störrischen Planen, in schillerndem Grünblau, wie einen Strom Wasser über bröckelige Gemäuer sich falten. War das noch abstrakte Malerei? „Auch eine Farbe ist ein Stück Realität.“

Hünig liegt wenig daran, dass ihre Installationen Dauer haben

Jetzt liegt ein Fragment der Trierer Arbeit, die riesige grünblaue Plane, in ihrem Atelier, ist wieder Fundus und Material für neue Projekte. Hünig liegt wenig daran, dass ihre Installationen Dauer haben. Wenn sie für einen Moment existieren, Wahrnehmung verändern, mag das schon reichen. Ihre neueste Entdeckung ist Alublech. Spröder und härter als die flexiblen Plastikbahnen bietet es mehr Widerstand, fordert Krafteinsatz und energisches Anpacken. Hünig gefällt das. Sie arbeitet gern mit körperlicher Energie. Schon greift sie zu einem am Besenstiel befestigten Rakel und schiebt den quastbreiten Pinsel wie einen Wischmopp über den Boden, um zu demonstrieren, wie sie die Farbe aufbringt.

Am liebsten arbeitet Franziska Hünig auf dem Boden, wo die Arbeit kein oben und unten hat, nur Fläche ist. Die stark verdünnte Farbe schüttet sie aus großen Gurkengläsern auf den Bildträger, der sich auf dem gesamten Atelierboden von Wand zu Wand ausbreitet. Mal darf die Farbe frei fließen und sich in Lachen sammeln. Dann wieder gängelt Hünig sie zu schnurgeraden Bahnen, formt mit präzisem Rakelzug strenge Linienstrukturen. Mehrere Stunden arbeitet sie höchst intensiv, bis so eine Plane fertig ist. Dann sind ihr eingeschrieben: Freiheit und Zufall, Formstrenge und Prozessdynamik. Kontrolle und Kontrollverlust. Ob sich das auch ins kleinere, handliche Format übertragen lässt?

Gerade hat Hünig dazu eine Werkfolge begonnen. Testweise hängt sie eine Arbeit an die Wand. Das kleine Alublechquadrat faltet sich, grob zerknickt, als Miniskulptur in den Raum. Aber es bleibt zugleich ein Stück Malerei: pures Orange, sehr hell, sehr strahlend, sehr strukturiert. Und so klein das Format ist, es bespielt den ganzen Raum. Eine Farbe ist eben tatsächlich ein Stück Realität.

Die Installation im Bundesratsgebäude ist noch bis 30. September 2017 im Lichthof West zu sehen. Besucher können über den Besucherdienst einen Besichtigungstermin vereinbaren.

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