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Porträt: Glück ist immer möglich

Die Wüste lebt – das ist ihr Verdienst. Seit mehr als 30 Jahren leitet Dorothea Kolland das Kulturamt Neukölln. Jetzt geht sie in Rente.

Wo es anfing, hört es auf. Das macht die Sache strukturierbar, zumindest geografisch. 30 Lebens-, 30 Amtsjahre zusammenzufassen, das ist kein Pappenstiel. Wo soll man da anfangen? „Wir haben stundenlang über Kulturpolitik geredet, aber kaum über Ausstellungen und Künstlerförderung“, beschwert sich Dorothea Kolland hinterher. Wie soll das auch gehen bei 170 Ausstellungen im Körnerpark, 150 in der Saalbaugalerie, bei den zahllosen Konzerten, Lesungen, Festivals, Projekten, die die Leiterin des Kulturamts Neukölln veranstaltet oder angestoßen hat. Doch jetzt geht sie in den Ruhestand, es eilt mit der Erinnerung. Also los: Am Anfang war der Schwamm.

Seine Bekanntschaft macht Kolland gleich an ihrem ersten Tag im Amt. Das ist der 1. August 1981. Da zeigt ihr der Hausmeister den Saalbau Neukölln am U-Bahnhof Karl-Marx-Straße. Der einst prachtvolle Rixdorfer Kulturort modert vor sich hin und wartet auf den Abriss. Der Strom ist gekappt, der Saal baupolizeilich gesperrt. Ein Riesenschwamm überzieht die Wand, und im Foyer hocken die Garderobieren und stricken.

Knapp 31 Jahre später steht Dorothea Kolland wieder dort. Es ist ein lieblicher Maientag. Um sie herum Kaffeehaus- und Theaterprobentreiben. Der Saalbau ist wunderschön renoviert, beherbergt vorn Kulturamt und Saalbaugalerie, hinten das Café Rix und die inzwischen wieder privatisierten Theatersäle des Heimathafens Neukölln. Ende gut, alles gut? Ach was, der von ihr mit harten Bandagen geführte Kampf um die Rettung des Baus ist nur eine der Schlachten, die Kolland für die Kultur geschlagen hat. Niederlagen sind bis zum letzten Tag dabei. Aber eins habe sie gleich an diesem ersten Tag als frisch gebackene Chefin eines Amtes ohne bespielbare Räume begriffen: Dass Gebäude der Beginn jeder Kulturarbeit sind.

Solche wie die Passage, die die Karl-Marx-Straße mit der Richardstraße verbindet, nur einen Steinwurf vom Saalbau entfernt. Auf dem Weg dahin geht es auf der Mini-Kulturmeile des Bezirks am Puppentheater-Museum vorbei. „Dass ich es nicht geschafft habe, dafür eine stabile finanzielle Basis zu schaffen, ist bitter“, sagt Dorothea Kolland. Im Hof der 100 Jahre alten Passage angekommen, strahlt sie. Hier sitzen die Neuköllner Oper, das Passage Kino und das Kulturnetzwerk Neukölln. Dass sie das tun, hat viel mit der Kulturamtschefin und ihrem guten Draht zum Hausbesitzer zu tun. „Der Herr Kopp und ich – wir lieben uns.“

Der gute Draht, das ist es. Und das Netzwerk, der von ihr erfundene, nur in diesem Bezirk existierende und vom Jobcenter unterstützte Verbund von 50 Kulturinstitutionen. Eins der Rezepte, warum sich die Kultur hier so gut entwickelt habe, sagt Kolland. „So entfallen die üblichen Eifersüchteleien in der Szene.“ Nur mit dem Jahresbudget ihres Amtes – 1,4 Millionen Euro – könne sie gerade mal das Gemeinschaftshaus Gropiusstadt und eine der Bezirksgalerien betreiben. Den Rest leisten eingeworbene Drittmittel und der „zweite bis zehnte Arbeitsmarkt“.

Am guten Draht arbeitet die 1947 in Oberfranken geborene Pfarrerstochter, die Gesang, Soziologie und Italienisch studiert und 1978 an der TU Berlin promoviert hat, seit sie hier ist. „Meine ersten Verbündeten waren die Pfarrer, von denen habe ich erfahren, wie der Bezirk tickt“, sagt die mit 23 aus der Kirche ausgetretene Kolland, von deren christlicher Prägung das protestantische Arbeitsethos übrig geblieben ist. Neukölln kannte sie vorher nicht. Ihre zwei Kinder hat die immer Vollzeit arbeitende Mutter mit ihrem Mann Hubert Kolland, der Präsident des Landesmusikrats ist, am Sophie-Charlotte-Platz in Charlottenburg aufgezogen. Und so etwas wie lebendige Kultur gab es 1981 in Neukölln nicht. Nur ein langweiliges Heimatmuseum und 40 Maler und Bildhauer, die alle um die 60 waren und einsam in ihren Ateliers saßen. Mit vielen Gesprächen, mit ersten Mininetzwerken fing langsam der Aufbau einer kulturellen Infrastruktur an.

Wie gut das geklappt hat, lässt sich heute am prall gefüllten Veranstaltungsflyer des Kulturamts ablesen. Oder an dem des Heimathafens Neukölln. Dort prangt die mädchenhaft lächelnde Chefin im Monat Mai als Covergirl vorne drauf. Darüber steht, als Ehrentitel, „Dr. Dorothea Kolland, Die Kulturspinne“. Das sei ihr Abschiedsgeschenk, sagt Stefanie Aehnelt vom Theatermacherteam, das Kolland bei der Bewerbung um die Spielstätte tatkräftig unterstützt hat.

Kolland habe innovative Ideen und gute Kontakte zum Senat, zum Bund und in Europa, sagt Kollands Chefin, die Kulturstadträtin Franziska Giffey. „Es ist ihr Verdienst, dass der Kulturstandort Neukölln inzwischen sogar in der ,New York Times’ wahr genommen wird.“ Oder dass der Bezirk Neukölln als einzige deutsche Stadt bei „Intercultural Cities“, einem Projekt des Europarats mitarbeitet. Dort fungiert Kolland, die auch ewig im Berliner Rat der Künste saß und im Vorstand der Kulturpolitischen Gesellschaft und der Bürgerstiftung Neukölln arbeitet, seit Jahren als Expertin für interkulturelle Kulturarbeit.

„Mir ist Multiethnizität im Gegensatz zu vielen andern im Bezirk eine Lust, keine Last“, sagt Kolland und sinkt nach der kleinen Neuköllner Kulturtour auf ihren Schreibtischstuhl im Kulturamt. Gegenüber hängt das Plakat einer von ihr initiierten Ausstellung über Widerstand in Neukölln. „Das rückt mir immer den Kopf zurecht. Wenn ich ,Nein’ zu etwas sage, steht im Gegensatz zur Nazizeit nie mein Leben auf dem Spiel.“

Die Aufarbeitung der NS-Zeit von unten, noch eine ihrer Baustellen. Eine von denen, die ihr Ärger einbrachten – mit der Bezirkspolitik, mit Historikern. Nicht von ungefähr werden ihr ringsum Adjektive wie „eigenwillig, kantig, kämpferisch“ zugeschrieben. Und bei Antworten wie „Feministin? War ich nie. Ich habe im Amt ebenso viele blöde Frauen wie Männer kennengelernt“, ahnt man deutlich, dass mit dieser netten Dame nicht immer gut Kirschen essen ist. Sie selbst drückt das so aus: „Ich suche nicht den bequemen Weg, ich suche neue Strömungen, ich frage mich: ,Wie machen es die anderen?’“ Immer nur im Bezirk vor sich hin wurschteln, das reicht ihr nicht. Deshalb das europäische Engagement, deshalb die vielen theoretischen Texte zur kulturellen Bildung, deswegen ihr neues Buch „Werkstatt Stadtkultur“, das im Oktober erscheint. „So eine Arbeit geht nicht ohne Reflexion.“

Und sie funktioniert nicht ohne starke moralische Motivation. Teilhabe – darauf fußt Kollands Kulturbegriff, das ist das große rote Mantra der bekennenden Marxistin und ’68erin. Allen das durch Kunst, Literatur, Musik mögliche Glück ohne Ansehen von Herkunft und Geldbeutel nahezubringen, ist ihr zäh verfolgtes und vielfach gescheitertes Ziel. Was da im armen Migrantenbezirk alles nicht klappt, erzählt sie ganz unsentimental. Auch beim Thema Kiezveränderung ist sie deutlich: „Ein bisschen Gentrifizierung tut Neukölln ganz gut. Wenn es uns nicht gelingt, die jungen, gebildeten Zuzügler hier zu halten, fürchte ich weitere Verelendung.“

Donnerstag ist Dorothea Kollands letzter Arbeitstag im Kulturamt. Das Aufhören fällt ihr schwer. Groß Abschied wird trotzdem gefeiert. Da wo alles begonnen hat, im Saalbau Neukölln. Es werden Massen kommen, prophezeit Kulturstadträtin Giffey. Nicht Massen an Bezirkspolitikern, da hat Kolland absichtlich längst nicht jeden eingeladen. Sondern Massen an Kulturschaffenden, die ihre Vorkämpferin zukünftig vermissen werden. Doch in den Saalbau gehen locker hunderte Leute rein. Gut, dass er noch steht.

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