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Buchautor und Schriftsteller: Joachim Meyerhoff ist ein erfolgreiches Erzähltalent in Wort und Schrift.

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Porträt: "Jetzt ist es wahr"

Der Schauspieler Joachim Meyerhoff hat vorgemacht wovon viele träumen - einen Bestseller schreiben. Die Rekonstruktion einer Erfolgsgeschichte.

Joachim Meyerhoff ist jetzt an einem Punkt in seinem Leben angelangt, an dem er Leute, die ihn sprechen möchten, zum Gespräch auf die Rückbank eines Wagens einladen kann, den ein Fahrer in Richtung Fernsehstudio steuert. Gehalten vom straffen Leder des Erfolgs strahlt er auf dem Weg zu „Lanz“ in Hamburg Altona die Faszination desjenigen aus, der gerade eine Entdeckung gemacht hat. „Wie man behandelt wird als Autor“, schwärmt Meyerhoff, „so respektvoll.“

Der erfolgreiche Schauspieler Meyerhoff, der über acht Jahre am Burgtheater in Wien gespielt hat und jetzt am Schauspielhaus in Hamburg ist, hat sich seine bislang größte Rolle soeben selbst geschrieben: die des Bestsellerautors. Und man hat allen Anlass, ihn darin für glaubwürdig zu halten, seit seine beiden Bücher zusammen stramm auf die 100 000 verkauften Exemplare zugehen. Der Roman „Alle Toten fliegen hoch“, der 2011 etwas stotternd gestartet war, und nun das Buch „Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war“.

Die Hotels mit den hochflorigen Teppichen sind jetzt für ihn. „Sogar die Jahreszeiten ordnen sich neu!“, sagt Meyerhoff, seine knappen zwei Meter in den Fond gefaltet. Hatte er als Schauspieler immer eine Sommerpause, sortiert sich die Welt der Literatur um die Frühjahrs-und Herbstprogramme der Verlage.

Als im September Marcel Reich-Ranicki starb, blieb das Land etwas ratlos zurück. War mit dem Kritiker im Zeitalter der Amazon-Empfehlungen nicht zugleich auch die Spezies des Kritikers ausgestorben? Wer konnte jetzt noch Bestseller „machen“? Wer definierte eigentlich, nach welchen Kriterien ein Buch ein Bestseller wird?

Es ist ja so, dass das Schreiben von Büchern und das Verkaufen von Büchern zwei grundverschiedene Sachen sind. Autoren „machen“ ja keine Bestseller, sie schreiben sie bloß. Tja, und wenn man die Kriterien kennen würde, nach denen das eine Buch ein Bestseller wird, das andere aber nicht, wenn man die herrschenden Gesetzmäßigkeiten kennen würde, nach denen in der langen Kette der Produktion Autoren, Lektoren, Verlage, Vertreter, Buchhändler und Leser einander die Geschichten ans Herz legen und sich für eine entscheiden, dann könnte man vielleicht mehr verstehen. Dann käme es auf einen Versuch an, die Kette zu rekonstruieren, diese lange Reihe der Beteiligten vom Autor bis zum Leser, mit all ihren Orten der Entscheidung.

Olaf Petersenn, Meyerhoffs Lektor beim Verlag Kiepenheuer und Witsch, kennt diverse Spielarten des Erfolgs in der Branche. „Meyerhoff war insofern ein besonderer Fall, als wir es gar nicht mit einem fertigen Manuskript zu tun hatten“, sagt Petersenn. „Ja – nicht einmal mit einem Autor.“ Wie kann das gehen?

Literatur und Irre - eine starke Liaison

Der Schauspieler Meyerhoff, erzählt Petersenn, hatte am Wiener Burgtheater 2009 damit begonnen, szenische Abende aus seinem eigenen Leben zu gestalten. Vielleicht hat es geholfen, dass die Wiener auf die Mischung von Tod, Irrsinn und Humor immer wohlwollend reagieren. Es war ein Riesenerfolg. „Der muss ja mindestens das Dramolett geschrieben haben“, dachte sich Petersenn. Und fuhr hin. Wo Meyerhoff unter den Lachern des Publikums von seiner Kindheit als Sohn eines Psychiatrie-Direktors erzählte, von seinem Jahr in Amerika, dem Tod seines Bruders und seiner Großeltern. Die Berufserfahrung sagte Petersenn: Literatur und Irre, „das ist eine starke Liaison“.

Der Lektor sah schon das ganze Programm ablaufen: Mit der autobiografischen Komponente müsste es gelingen, jenseits der mitternächtlichen Literatursendungen in die normalen Talkshows zu gelangen. Nach jedem Auftritt würden sie das Ausschlagen der Kurve in den täglichen Orderzahlen spüren. Der feinste und aktuellste Seismograf ist die Entwicklung des Verkaufsranges bei Amazon, sekündlich einzusehen von jedermann, befeuert durch lesende Laien mit starken Meinungen. „Der Berufskritiker ist ja weitgehend entmachtet“, sagt Petersenn. Zwischen dem Urteil der Kritik und dem Erfolg ist der Zusammenhang nicht mehr so zwingend wie zu Ranickis Zeiten.

Petersenn ermutigte also den Schauspieler, Autor zu werden. Und da es das Buch selbst noch nicht gab, konnte der Lektor gegenüber seinem Verlag nur Gründe ins Feld führen, die mit dem Buch selbst gar nichts zu tun hatten, aber für den Verkauf relevant waren: Der Autor hatte schon eine gewisse Bekanntheit, Meyerhoff würde erfolgreich Lesungen machen können, seine Bühnenpräsenz war hinreichend bewiesen. Im Gegensatz zu einem scheuen, introvertierten Autor, dessen Bestes schon in den Büchern steckte, würde er unter den heißen Fernsehlampen nicht schrumpfen und verglühen, sondern erst so richtig in seine Rolle finden.

Und dann taten sie etwas, was man ganz selten macht: Sie schlossen einen Vertrag über drei Bücher ab. So umfangreich war das Material. So sicher waren sie sich. Man musste dem Autor nur noch sagen, wie er einer werden konnte: Epischer denken, sich Zeit nehmen, nicht nur Anekdoten auf die Pointen hin schreiben wie für die Bühne.

"Herr Meyerhoff, möchten Sie noch ein Jackett anziehen?"

Meyerhoff mit seinem ersten Roman "Alle Toten fliegen hoch - Amerika"
Meyerhoff mit seinem ersten Roman "Alle Toten fliegen hoch - Amerika"

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Meyerhoff machte sich ans Werk. Abends hatte er seine Aufführungen in Wien, vormittags saß er da und versuchte sich an seinem ersten Buch. Er tigerte zwischen seinen Einfällen im Raum herum. Als der erste Roman fertig war, dachte sich Meyerhoff noch ein Cover aus und wartete auf die Resonanz.

Das nächste Nadelöhr war die Vertreterkonferenz, wo halbjährlich die Verlage ihre Vertreter über das kommende Programm informieren. Hier wird das Verkaufspotenzial jedes Buches eingeschätzt, hier werden Werbemaßnahmen diskutiert, bevor die Vertreter ausschwärmen und die Bücher den Händlern vorstellen.

Empfehlung: "Legt's euch hin!"

Vera Grambow, seit 23 Jahren Vertreterin, erinnert sich, dass sie bei der Vorstellung von Meyerhoffs Buch geschockt waren. Es war die erste Hardcover-Ausgabe von „Alle Toten fliegen hoch“, dessen Umschlag für die Taschenbuchausgabe später geändert wurde. Die Vertreter sahen: ein knalliges Orange. Darauf neun typische Fotos aus einem amerikanischen High-School-Jahrbuch der 80er Jahre: Unbedarfte Blicke, betonierte Frisuren. Dieser Umschlag würde niemals funktionieren. Doch der Verlag erklärte, die Umschlaggestaltung sei eine Idee des Autors, er habe schon drei Bücher im Kopf, es sei Teil eines Gesamtkonzepts.

Als Vertreterin versucht Vera Grambow unter 180 Manuskripten im Halbjahr das Wesentliche zu entdecken und ihren Buchhändlern persönlich ans Herz zu legen, damit sie es im Laden gut platzieren. Bei Meyerhoff kannte sie die Rahmenbedingungen. Der Autor war ein „Promi“, gut vernetzt, er würde einige Presse bekommen, der Verlag setzte auf ihn. „Das beeinflusst die Bewertung.“ Den Buchhändlern, die sie betreut, empfahl sie: „Legt’s euch hin."

Zu ihnen gehört „Hacker und Presting“ in der Charlottenburger Leonhardtstraße, beste Berliner Bildungsbürgerecke. Von Meyerhoffs autobiografischem Roman waren alle drei Mitarbeiterinnen ehrlich hingerissen: Sie mochten, dass sich da ein Junge aufmachte, die Welt zu entdecken. Ein norddeutscher Junge, der für ein Jahr zu einer Gastfamilie nach Amerika geht. Sie mochten das Tempo, die Lakonie und den Humor. Das Verkaufspotenzial haben sie gleich gesehen.

Buchhändlertrick: Am Cover vorbei verkaufen

„Was, der geht jetzt zu Lanz?“, fragt Julia Hacker. „Die Hure!“ Julia Hacker ist an Allgemeinplätzen nicht interessiert. Mit dem unbedingten Willen, sich niemals zu langweilen, betritt sie seit 17 Jahren täglich ihr Geschäft. Sie würde so einiges dafür tun, dass Meyerhoff mal bei ihr liest. Schließlich fühlt sie sich für seinen Erfolg mit verantwortlich, seitdem sie das erste Buch von Anfang an ihren Kunden regelrecht aufgedrängt haben. Einen echten „Buchhändlererfolg“ nennen sie das.

Wenn etwas Witziges verlangt wird, „da zucken Sie als Buchhändler ja schon zusammen“, sagt Julia Hacker. Hier aber gab es tatsächlich einmal Humor. Humor wird gut verkauft, aber selten geschrieben. Zur näheren Beschreibung der Handlung musste sie nicht „Ostblock“ sagen, denn dieses Wort gilt als sichere Verkaufsbremse. „Norddeutschland“ dagegen war gut, dafür haben die Berliner Sympathie. Zwischen feuerroten Regalen haben drei schlaue Blondinen ihre Kriterien für das Verkaufen herausgearbeitet. „Grundsätzlich muss man schneller sein als ein vorhersehbarer Einwand des Kunden.“ Ihn vorwegnehmend, gleichzeitig kommentierend, sagten sie dann zum Beispiel über Meyerhoff: „Ich zeige Ihnen jetzt mal das hässlichste Cover im ganzen Laden. Und da steht etwas Unglaubliches drin.“ Auf diese Art solidarisierten sie sich vorab mit dem Kunden und die Empfehlung wurde nebenbei zu einer Art Geheimtipp: Dies war jetzt das unterschätzte Buch, von seinem eigenen Umschlag um den Erfolg betrogen. Das erste Buch, sagen sie, haben sie auf diese Art „am Cover vorbei“ verkauft.

Es ist eine kleinteilige, aber lohnende Arbeit. Buchhändler machen analog, was das Internet digital leistet: die direkte Empfehlung von Leser zu Leser. Das Schwärmen des Individuums. Und ob man nun das vielstimmige Schwärmen im Netz gleich Schwarmintelligenz nennen will: Bis einen Tag vor Weihnachten stieg „Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war“, das zweite Buch über Meyerhoffs Kindheit als Sohn eines Psychiatrie-Direktors, bei Amazon auf Rang 222 unter allen verkauften Büchern.

„Ein Bestseller wird ein Buch nur dann, wenn es auch verschenkt wird“, sagt Julia Hacker. Aber weil die Deutschen so irre ängstlich beim Schenken sind, dürfen erfolgreiche Bücher vor allem niemandem wehtun. „Das größte Versprechen, das ein Buch mitbringen kann, ist die Aussicht, den Leser zu berühren.“

Sich selbst erfinden, sogar als Autor

Joachim Meyerhoff findet das Cover seines ersten Buches nach wie vor toll. Aber er beugte sich der Meinung, dass die Kunst im Buch stattfinden soll, und dass der Umschlag die Verkaufsfläche ist, um die sich lieber Profis kümmern. Sein Erfolg gehorcht anderen Gesetzen als der Erfolg eines Textes. „Es kann schon sein, dass ich unempfindlicher bin gegenüber Kritik“, sagt Meyerhoff, seit Jahren der Theaterkritik ausgesetzt. Meyerhoff ist es gewohnt, seine Wirkung auf Leute zu kalkulieren, sonst wäre er kein guter Schauspieler.

Als das Publikum in Wien seine szenischen Abende annahm, konnte er selbst an seine Geschichten glauben. Fortan konnte er auch die Geschichte von sich selbst als Autor glauben. „Es gibt auf der Bühne eine spezielle Atmosphäre der Wahrhaftigkeit. Man fühlt: Jetzt ist es wahr“, sagt er. In diesem Fluidum erscheine alles möglich. „Dann kann man plötzlich auch erfinden. Sich selbst erfinden.“ Sogar als Autor.

„Das Material“, sagt er, „reicht für vier Bücher.“ Meyerhoff hat sich angewöhnt, von seinem Leben als dem „Material“ zu reden. Er ist jetzt 46 Jahre alt und entkommen. Nämlich der spezifischen Gefahr des Schauspielers, sich in den Texten Fremder zu verlieren.

Momente der Wahrhaftigkeit schaffen

Bevor Meyerhoff bei „Lanz“ in die Maske muss, nimmt er auf einem roten Sofa Platz, vor dem sich auf einem niedrigen Glastisch Lakritz, Weingummi und Schaumzucker türmen. Der „grundsätzlichen Verlogenheit“ in einem Fernsehstudio entzieht sich Meyerhoff durch das Bewusstsein, auch hier eine Rolle zu haben: die des Autors, der sein Buch unterhaltsam verkörpert.

Sie hätten gleich in der Sendung gerne vor allem Anekdoten: „Die Szene mit der Weihnachtsbescherung in der Irrenanstalt und dass Sie so hibbelig waren.“

„Ich würde dann den Bogen zum ersten Buch schlagen – oder kommt das zu kommerziell rüber?“, fragt Meyerhoff.

„Um Werbung müssen Sie sich keine Sorgen machen, wir blenden das Buch ein.“

„Herr Meyerhoff, möchten Sie noch ein Jackett anziehen?“

„Nein, danke, alles gut so.“

Es ist ganz einfach, im Fernsehen ein bisschen originell zu sein. Und schon umhüllt die etwas schaumzuckrige Art des Moderators die Gästerunde. Die Menschen, die am 5. Dezember um 23.45 zuschauen, sehen neben Manuela Schwesig und Oliver Pocher einen gut gelaunten Autor. Meyerhoff nimmt das Publikum straffer an die Leine als der kleine Pocher ihm gegenüber, dessen Beruf als „Entertainer“ eingeblendet wird. Die Leute, die die Untertitel texten, kriegen bei Meyerhoff gar nicht genug von dem Wort „Psychiatrie“: „Ich wuchs auf dem Gelände einer Kinder- und Jugendpsychiatrie auf“, steht da. „Die Hälfte meines Schulwegs führte mich jeden Morgen durch die Psychiatrie“, „Ich war stolz darauf, der Sohn des Psychiatrie-Direktors zu sein“. Es ist die Exotik der Biografie, die hier das Buch verkauft. Die überhaupt der Anlass ist, die Geschichte zu erzählen.

Das Publikum lacht. Das Versprechen, berührt zu werden, wird gleich an Ort und Stelle derart offensichtlich erfüllt, dass Meyerhoff von allen Studiogästen am längsten reden darf. Der beste Indikator ist Olaf Petersenn, der Lektor. Er sitzt im Publikum in der ersten Reihe und die Wogen der Heiterkeit erfassen auch ihn. Petersenns Lachen ist echt. Er lacht, als hörte er die Geschichten zum ersten Mal. Die Literaturkritik hat viele Bühnen.

Und Meyerhoff hat wieder einen Moment der Wahrhaftigkeit geschaffen.

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