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Seit der 7. Klasse steht sie im Rampenlicht – Bettina Brezinski ist schon als Schülerin fasziniert davon, wie ein Stück entsteht, von der ersten Leseprobe bis zur Aufführung

© Carsten Janke

Porträt: Schauspielerin Bettina Brezinski: Das Leben ist Kampfkunst

Bettina Brezinski ist freischaffende Schauspielerin. Es mangelt ihr weder an Talent noch an Ehrgeiz, aber an Aufträgen.

Für Bettina Brezinski gibt es ein Davor und ein Danach. Die Zeit vor und die nach dem Loch, in das sie im Frühjahr letzten Jahres fiel. Es war ein Loch, in dem sie sich gefangen fühlte, in dem es dunkel war und ziemlich hoffnungslos. Vielleicht muss man das wissen über diese junge Frau, die so zielstrebig und bestimmt wirkt. Dass es im Leben der Schauspielerin eben auch andere Zeiten gab. Zeiten, in denen ihr Freund ihr sagte, Sie müsse ihr Feuer wiederfinden. Zeiten, in denen sie schlapp war, antriebslos und gereizt.

Anfang April sitzt Brezinski in einem Café in Prenzlauer Berg, die Sonne scheint seit langer Zeit wieder und das alles wirkt weit weg. Die Schauspielerin mit den schulterlangen blonden Haaren trägt eine große Sonnenbrille und lächelt viel. Sie hat sich vor einigen Tagen im Fernsehen gesehen, „Aktenzeichen XY… Ungelöst“ im ZDF. Eine kleine Rolle, aber trotzdem ein Erfolg, der sie bestärkt. Zeigt er doch, dass sie endlich verstanden hat, wie das wirre Geflecht aus Castingbüros, Schauspiel- und Werbeagenturen und Filmproduktionsfirmen in Berlin funktioniert.

„Es ist ein knallhartes Business“, sagt die athletische 28-Jährige, die in ihrer Freizeit Karate trainiert. Sie steht in ihrer Karriere noch weit am Anfang. Brezinski hat Schauspiel studiert, erhielt direkt danach ein befristetes Engagement bei einem Tourneetheater. Seit mehr als einem Jahr ist sie freischaffende Schauspielerin in Berlin. Wer sich mit Brezinski unterhält, versteht, wie schwer es ist, in dieser Welt Erfolg zu haben. Und wie groß die Belastung für junge Schauspieler ist, die zwar jede Menge Ehrgeiz haben, aber nur wenige Aufträge.

Ehrgeiz und Willensstärke – das sind die Eigenschaften, die Brezinski aus dem Karatetraining geprägt haben. Sie hofft nun, dass sie sie im Schauspielgeschäft ebenso voranbringen wie im Leistungssport
Ehrgeiz und Willensstärke – das sind die Eigenschaften, die Brezinski aus dem Karatetraining geprägt haben. Sie hofft nun, dass sie sie im Schauspielgeschäft ebenso voranbringen wie im Leistungssport

© privat

Die junge Frau ist eigentlich Erfolg gewohnt - in ihrem zweiten Leben als Karateka. 1997 hat sie mit dem Sport begonnen, früher noch als mit der Schauspielerei. Ihr Vater, selbst Karate-Trainer, motiviert sie dazu und Brezinski schafft es in den folgenden acht Jahren bis zum schwarzen Gürtel. Einige Jahre lang betreibt sie Karate auch als Leistungssport, trainiert vier bis fünf Mal in der Woche und wird 2003 Dritte bei den Deutschen Meisterschaften. Sie gewinnt mehrere Berliner Meisterschaften, reist nach Mailand, Rotterdam und Paris. Es ist eine Zeit, die Brezinski sehr prägt. Eine, die sie Disziplin lehrt und sie stark macht.

Im Karate lässt sich Erfolg durch Fleiß erreichen. Hier kann Brezinski Kontrolle ausüben, kann ihr Vorankommen kalkulieren. In der Schauspielerei dagegen funktioniert das nicht. Hier regiert oft der Zufall.

Seit der 7. Klasse steht sie im Rampenlicht – zunächst in der Musical AG ihrer Schule. Brezinski ist fasziniert davon, wie ein Stück entsteht, von der ersten Leseprobe bis zur Aufführung. Sie spürt, dass das was sie tut, beim Publikum ankommt, ist berauscht von dem Applaus. In der zehnten Klasse spielt sie im Stück „Geschlossene Gesellschaft“ von Jean Paul Sartre eine der Hauptrollen.  Doch obwohl sie viel Bestätigung bekommt, traut sie sich nach ihrem Abitur nicht, direkt Schauspiel zu studieren. Was wenn sie nicht gut genug ist? Was wenn man sie ablehnt?

Der Gedanke an die Schauspielerei lässt sie nicht los

Stattdessen bewirbt sie sich an der Sporthochschule in Köln. Dort hineinzukommen, ist ein Kampf. Brezinski will das zu diesem Zeitpunkt unbedingt. Quält sich mit Schwimmtraining und trainiert etwa auch Akrobatik und Fechten. Sie wird angenommen. Nach zwei Semestern merkt sie, dass sie der Gedanke an die Schauspielerei nicht loslässt. Und so macht sie doch den Schritt und beginnt ein sechssemestriges Studium an der Schauspielschule Charlottenburg, einem privaten Institut.

Ihre Karriere danach beginnt zunächst vielversprechend mit der einjährigen Anstellung bei dem Weimarer Tourneetheater. Doch dann, im Herbst 2014, stirbt Brezinskis Vater. Auch heute ist sie noch den Tränen nahe, wenn sie davon erzählt. Er, der sie im Karate angetrieben hat und immer bei ihren Theaterauftritten im Publikum saß, ist plötzlich nicht mehr da.

Als ihr Engagement beim Tourneetheater endet, scheint Brezinskis Schausspiellaufbahn in eine Sackgasse geraten. An staatlichen Theatern hat sie wegen ihrer privaten Ausbildung kaum eine Chance. Sie hangelt sich von Projekt zu Projekt, arbeitet teilweise unentgeltlich. Sie erhält Absagen auf ihre Bewerbungen und oft noch nicht einmal das. Es ist eine Zeit, die Brezinski verunsichert und frustriert. Sie lernt, was Misserfolg bedeutet.

Zu ihrem persönlichen Verlust kommt dieses berufliche Tief. Brezinski hat einen Nervenzusammenbruch. Sie weint viel, ist ratlos, wie es mit ihrer Karriere weitergehen soll. Die junge Schauspielerin wird diese Wochen später als „das Loch“ bezeichnen.

Ihre Karriere beginnt vielversprechend nach der Ausbildung mit einer einjährigen Anstellung beim Weimarer Tourneetheater. Doch dann fällt Bettina Brezinski in ein Loch, ihre Schausspiel-Laufbahn scheint in eine Sackgasse zu geraten
Ihre Karriere beginnt vielversprechend nach der Ausbildung mit einer einjährigen Anstellung beim Weimarer Tourneetheater. Doch dann fällt Bettina Brezinski in ein Loch, ihre Schausspiel-Laufbahn scheint in eine Sackgasse zu geraten

© Xiomara Bender

Wer die junge Schauspielerin heute beobachtet, kann sehen, dass sie den Weg hinaus gefunden hat. Mitte April, Karate-Training in einer heruntergekommenen Turnhalle in Steglitz. Diese Welt hat nichts Glamouröses. Brezinski steht in dem steifen, weiten Karatedress mit den Trainingskollegen in einer Reihe. „Seiza!“ ruft Brezinski und die Gruppe kniet sich hin. „Mokuso!“ Alle schließen die Augen. Meditation.

Brezinski ist heute nicht – wie so oft – die Trainerin. Trotzdem merkt man, dass auch die älteren Mitglieder des Steglitz-Zehlendorfer Vereins, oft massige Männer, der zierlichen Brezinski mit ihrem schwarzen Gürtel Respekt entgegen bringen. Trainingskollegen sagen, sie habe sich in dieser Welt mit einer unglaublichen Kraft durchgesetzt.

Die junge Frau steht jetzt breitbeinig mit in der Luft gekreuzten Armen vor ihrer Gegnerin, die einen orangen Gürtel trägt. Brezinskis Blick ist fest nach vorne gerichtet, das markante Kinn leicht gesenkt. Es ist der kämpferische Ausdruck in ihrem Gesicht, den man auch sieht, wenn sie von ihrem Ehrgeiz für die Schauspielerei erzählt. Brezinski platziert einen angedeuteten Tritt an den Hals ihrer Gegnerin, den nächsten an die Hüfte, dreht sich einmal um sich selbst und berührt mit ihrem Fuß die Kniekehle der anderen. Sie umkreist die Gegnerin, elegant, fast tänzerisch.

Eine Weile ging es der jungen Schauspielerin nicht gut: Zum Verlust des Vaters kommt ein berufliches Tief, Brezinski hat einen Nervenzusammenbruch. Wer die junge Schauspielerin heute beobachtet, kann sehen, dass sie den Weg hinaus gefunden hat
Eine Weile ging es der jungen Schauspielerin nicht gut: Zum Verlust des Vaters kommt ein berufliches Tief, Brezinski hat einen Nervenzusammenbruch. Wer die junge Schauspielerin heute beobachtet, kann sehen, dass sie den Weg hinaus gefunden hat

© Xiomara Bender

Die Rituale des Karate geben Brezinski Kraft. Sie sind für sie so selbstverständlich geworden, dass sie etwa über die kleine Verbeugung beim Betreten des Trainingsortes nicht einmal mehr nachdenkt. Gleichzeitig geben sie ihr selbst in unsicheren Momenten vor, was zu tun ist. Dass sie hier Erfolg hat, hilft auch Misserfolge in ihrer anderen Welt, der Schauspielerei, auszugleichen. „Es ist schön zu merken, dass man was kann“, sagt sie.

Brezinski hat nicht geglaubt, dass sie es im Schauspielgeschäft so schwer haben würde. Vielleicht war das naiv. Aber als Karateka ist Brezinski Einzelkämpferin und so versucht sie auch dieses Problem allein zu meistern. Nach der Zeit im Loch will sie verstehen, wie das System funktioniert, das den einen Rollen beschert und den anderen Absagen. „Ich habe mich dahinter geklemmt“, sagt die Schauspielerin.

Sie schneidet sich ihre geliebten, langen, rot gefärbten Haare ab, um wieder zu ihrer Naturhaarfarbe Blond zurückzukehren. Die rote Mähne war für viele Rollen zu speziell. Sie lässt neue Porträtfotos von sich machen, um up to Date zu sein. Sie bewirbt sich bei Schauspielagenturen, mindestens 70 müssen es schon gewesen sein.  Und sie versteht, dass Castings selten öffentlich ausgeschrieben werden. „Es gibt Caster, die entscheiden, wer zum Casting kommt und die Projekte besetzen“, erklärt Brezinski.

Sie hat den Weg ins System gefunden

Wenn Brezinski nun unentgeltlich in Kurzfilmen mitspielt, weiß sie, dass ihr die Aufnahmen als Demomaterial dienen und das Engagement ihre Vita füllt – das ist wichtig für die Schauspielagenturen. Schon vor einiger Zeit lieh sie sich 1000 Euro von ihrer Oma, um ein vierminütiges Video zu produzieren, das sie als Hauptdarstellerin in zwei unterschiedlichen Szenen zeigt. Arbeitsproben quasi.

Brezinskis kurzer Auftritt bei „Aktenzeichen XY… ungelöst“ ist für sie vor allem deshalb ein Erfolg, weil sie die Rolle über eine Casterin bekommen hat. Es ist kein Durchbruch, aber sie hat den Weg ins System gefunden. Die Casterin kennt jetzt ihren Namen. Und auch im Theater geht es für Brezinski weiter: An der Volksbühne Michendorf bei Potsdam spielt sie demnächst in dem Stück „Fenster zum Hof“ eine der Hauptrollen.

So wenig wie möglich dem Zufall überlassen

Ehrgeiz und Willensstärke – das sind die Eigenschaften, von denen Brezinski hofft, dass sie sie im Schauspielgeschäft ebenso voranbringen wie im Leistungssport. Noch reicht es nicht. Zwei Tage in der Woche macht sie einen Bürojob, um über die Runden zu kommen. Im Laden muss sie überlegen: Kauft sie jetzt dieses T-Shirt oder lieber nicht? Im Restaurant sucht sie nach dem billigsten Gericht auf der Karte. Brezinski sehnt sich danach, sich ein schönes Leben aufbauen zu können.

Und natürlich ist da die Angst, dass es nie klappt. Nach den Maßstäben des Schauspiel-Business ist Brezinski schon jetzt fast nicht mehr jung genug, um als „Nachwuchs“ zu gelten. Sie will sich keine Grenze setzen, keinen Punkt festlegen, an dem sie dieses Leben hinter sich lässt. Sie wüsste ja doch nicht, welchen Weg sie sonst einschlagen sollte.

Deshalb glaubt sie noch immer an den Glückstreffer. Hofft darauf, irgendwann zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Hofft auf das Glück, und will doch so wenig wie möglich dem Zufall überlassen.

Volksbühne Michendorf, Potsdamer Straße 42, Michendorf, So, 26.6., 17 Uhr, Fr/Sa 8./9.7., jeweils 19.30 Uhr

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