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Tilman Rammstedt

© dpa

Porträt Tilman Rammstedt: Der Enkel von China

Für seine Familiengeschichte "Der Kaiser von China" hat der 33-jährige Autor den Ingeborg-Bachmann-Preis in Klagenfurt gewonnen. Eine Begegnung mit dem Berliner Tilman Rammstedt.

Als Tilman Rammstedt am Samstag im Klagenfurter ORF-Studio zum Gewinner des Bachmann-Lesens gekürt wurde, schien es, als könne er das gar nicht glauben. Verschämt fuhr er sich durch die Haare, kämpfte mit seiner Mimik, schaute fast entschuldigend zu seinen Konkurrenten herüber. Zwei Tage später, in einem Café in Berlin-Prenzlauer Berg, wirkt der 33-Jährige wieder gelassener. Nein, sagt er, so schlimm sei es nicht mit den Anfragen, das lasse sich gut bewältigen. Nur einem Ansinnen der „BZ“ könne er nicht nachkommen: „Die drucksten herum, von wegen, sie wüssten, dass mein Text nicht autobiografisch sei, und fragten dann, ob sie nicht ein Bild meines Großvaters bekommen könnten!“

Ein Großvater ist die Hauptfigur in Rammstedts Siegergeschichte „Der Kaiser von China“ – ein tougher, glamouröser, im wahrsten Sinn des Wortes nicht unter- und totzukriegender älterer Herr, der im Krieg einen Arm verlor und von seinem Enkel, dem Ich-Erzähler, zärtlichverwundert porträtiert wird. Die Jury in Klagenfurt war sofort überzeugt von Rammstedts großem Humor, betrachtete wohlwollend den tragischen Kern, störte sich aber vereinzelt am Pointengeprassel. Rammstedt kann das verstehen, sagt aber: „Ich wollte das so. Ich wollte ganz dick Humor auftragen. Ich finde es auch vermessen zu sagen, ich hätte etwas dagegen, zu unterhalten.“ Das ihm das helfen könnte, sei ihm bewusst gewesen, ansonsten aber überwog die Skepsis gegenüber Klagenfurt: „Natürlich ist das eine dubiose Veranstaltung. Aber ich dachte dann auch ,Jetzt oder nie’, nicht zuletzt weil sich sowieso so viel geändert hat in meinem Leben.“

Tatsächlich ist Rammstedt, der vor einem halben Jahr Vater wurde, kein Unbekannter mehr im Literaturbetrieb. Der Wettbewerb hätte für ihn auch zu einem kleinen Imageschaden werden können. Nachdem er 1998 nach Studien in Edinburgh und Tübingen nach Berlin gekommen war, „verzettelte“ er sich, wie er sagt, zunächst in Projekten beim Theater und mit bildenden Künstlern und versuchte sich als Musiker (noch heute spielt er in der Gruppe Fön).

Dann gründete er unter anderem mit den Lyrikerinnen Nikola Richter und Monika Rinck die Lesebühne „Visch und Ferse“, von da an ging es flott. Er gewann 2001 den Berliner Open Mike, veröffentlichte zwei Jahre später sein Debüt, den Erzählband „Erledigungen vor der Feier“, und legte 2005 den Roman „Wir bleiben in der Nähe“ vor. Darin beschreibt er mittels einer Dreiecksbeziehung und an Hans Weingartners Film „Die fetten Jahre sind vorbei“ erinnernd das Lebensgefühl von gesettelten wie irrlichternden Twentysomethings. Elke Heidenreich fühlte sich zu einer ihrer typischen Lobeshymnen animiert: „Ein gescheiter, witziger Roman, der die richtigen Fragen stellt“. Rammstedt ist zu zurückhaltend, um daraus viel Gewese zu machen, „das hat gerade mal für Platz 47 gereicht“. Und er weiß zu gut, das der Bachmann-Preis nicht nur eine schöne Auszeichnung und die Bestätigung seiner Schreibarbeit ist, sondern auch eine Bürde für ihn darstellen kann. Denn der „Kaiser von China“ ist der Anfang seines gleichnamigen zweiten Romans, der eigentlich Ende August herauskommen sollte, aber noch nicht ganz fertig ist. „Es hätte sich vor Klagenfurt allein vom Psychologischen her für mich viel besser gemacht, wenn das Buch rechtzeitig fertig geworden wäre. Aber so schnell ging es dann auch wegen meiner neuen Lebenssituation nicht.“

Rammstedts Verlag ist selbstredend auch beglückt, muss sich aber noch gedulden. Das Buch ließe sich mit dem frischen Preisruhm sicher besser vermarkten, nun soll es wenigstens pünktlich zur Frankfurter Buchmesse erscheinen: „Das ist für alle Beteiligten nicht optimal“, weiß Rammstedt, zuckt aber mit den Schultern: „Geht halt nicht anders.“

So müssen seine Fans, die ihm in Klagenfurt auch den Publikumspreis bescherten, warten und sich vorerst mit Romanbeschreibungen zufriedengeben. Laut Rammstedt hat der Roman zwei Stränge: Das Porträt des Großvaters durch seinen Enkel, der auch ein Selbstporträt liefert in der Art, wie er über ihn spricht. Der andere Strang ist die Schilderung einer Reise nach China, die nie stattfindet, die der Großvater sich aber zu seinem 80. Geburtstag von seinen fünf Enkeln wünscht. Um die Geschwister zufriedenzustellen und als Gedenken an den Großvater, der schließlich doch stirbt, erfindet der Erzähler die Reise mit Hilfe eines China-Reiseführers. Mehr weiß auch Rammstedt nicht, er war nie in China.

„Als Schriftsteller und als Leser traue ich den Geschichten mehr, die mit Humor geschrieben sind“, sagt Rammstedt, noch einmal auf den Pointenreichtum seiner Klagenfurterzählung angesprochen. „In total ernster Prosa erkennt man die Effekte oft zu schnell, die Rührung oder Trauer erzeugen sollen. Hinter Humor kann man solche Effekte besser verstecken, und auf die ernsten, tiefgründigen Seiten kommt es mir genauso an.“

Man spürt, wie Rammstedt noch nach Worten sucht, um seine Poetologie zu beschreiben, seine Vorstellungen von Literatur zu entwickeln. Er betont, dass seine Geschichten sich aus seinen Figuren heraus entwickeln, und erzählt, wie toll er es fand, als eine Lesung von ihm einmal irrtümlicherweise und mit falschem Datum versehen mit dem Satz „Tilman Rammstedt erzählt Geschichten aus Deutschland und China“ angekündigt wurde. „Da wäre ich gern dabei gewesen, das ist doch eine schöne Lügengeschichte!“, strahlt er, verabschiedet sich und verschwindet in einer der Straßen rund um den Kollwitzplatz, um noch Spielsachen für seinen Sohn zu kaufen.

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