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Werner Ruzicka

© Duisburger Filmwoche

Porträt Werner Ružicka: Beharrlichkeit als Sekundärtugend

Neugier und Leidenschaft: Zum Abschied des großen Filmvermittlers Werner Ružicka von der Duisburger Filmwoche.

Der Schriftzug „Bargeld“ prangt, seit ich denken kann, in großen orangen Lettern über einem Ladenlokal am Duisburger Dellplatz. Auf der anderen Seite des großen Runds leuchtet rot das Signet des kommunalen Kinos „film forum“. Hier ist gerade wie jedes Jahr im November die Duisburger Filmwoche zu Gast. Darüber ein unbeleuchtetes Schild mit dem Motto der diesjährigen Ausgabe: „Handeln“. Das ist ein schönes sprachliches Vexierbild. Es kann als ironischer Verweis auf die auf Filmfestivals weltweit florierenden Filmmärkte gelesen werden, aber auch als emphatische Hommage an das alternativ bei der Filmwoche praktizierte gemeinschaftliche Seherlebnis mit diskursivem Nachspiel.

Filme schauen als kollektive Aktion – das funktioniert nach folgenden Regeln: Es gibt immer nur einen Film gleichzeitig zu sehen. Nach der Vorführung gibt es eine Stunde Zeit, um im Veranstaltungssaal der benachbarten Kulturkneipe „Grammatikoff“ die auf einem Podium sitzenden Filmschaffenden von einem Kommissionsmitglied der Filmwoche und dann vom Publikum befragen zu lassen. Und schließlich wird all das protokolliert und veröffentlicht.

Spiritus Rector und Zaubermeister ist seit 33 Jahren Festivalleiter Werner Ružicka, der 1985 die Filmwoche von Angela Haardt übernahm, bis heute erhielt und ausbaute. Doch nach der an diesem Sonntag endenden Ausgabe geht er in den Ruhestand. Das ist schade. Denn der 1947 in Bochum geborene ehemalige Leiter der kommunalen Filmarbeit Bochum, Filmemacher und begnadete Vermittler steckt an mit seiner Filmleidenschaft und der Lust an der begrifflichen Auseinandersetzung.

Ružicka ist der Anwalt des Dokumentarfilms

Dabei sah er sich stets dezidiert als Anwalt nicht nur des Dokumentarfilms im Allgemeinen, sondern auch der eingeladenen Filme im Speziellen. Wenige können so treffsicher wie er aus einer scheinbar belanglosen, gar missglückten Arbeit das Besondere herauskitzeln und verbalisieren – auch wenn sich unter die echten auch mal vergiftete Komplimente mischen. Grundlage sind ein im genauen Sehen geschultes Auge, Neugier, Belesenheit und ein fulminantes, jede Referenz mitbedenkendes Erinnerungsvermögen.

Doch Ružickas größte Leistung ist sicherlich die Beharrlichkeit, mit der er es über Jahrzehnte geschafft hat, das außergewöhnliche, wenig marktgängige Format der Filmwoche bei Geldgebern von Land und Stadt durchzusetzen, egal welcher politischer Couleur diese waren. Es gab Zeiten, in denen der hier so emphatisch praktizierte gewissenhafte Umgang mit dem Dokumentarfilm als diesseitsvergessener nostalgischer Luxus galt.

Heute schätzen gerade viele junge Filmschaffende und -studierende die Duisburger Tage als eine der raren Möglichkeiten zu offener Kritik und Austausch und reisen von weit her an. „Werner“, wie ihn alle nennen, ist mit seiner stets von einem Herrenduft umwehten und aus einem großen Repertoire an Anzügen (Cord ist wieder Trend!) und Accessoires immer stilvoll gewandeten hageren Figur mit dem weißen Vokuhila auch in größeren Ansammlungen immer leicht auszumachen. Er ernährt sich scheinbar nur von Filmen, Kaffee und Zigaretten. Lange nach dem offiziellen Rauchverbot in NRW gehörte das Anzünden einer Zigarette auf dem Podium und im Saal zu den ersten Pflichten nach dem Film.

Raucherpausen markieren so auch die Struktur eines Bandes, der parallel zum Festival im Berliner Verbrecher Verlag erschienen ist. Er enthält zwei von dem Filmkritiker Matthias Dell und dem Bochumer Filmwissenschaftler Simon Rothöhler geführte lange Gespräche mit Werner Ružicka aus dem Frühjahr dieses Jahres. Das Buch ist ein Schatzkästchen zur deutschen Dokumentarfilmgeschichte. Die Schwerpunkte liegen auf Ružickas frühen Jahren als Filmemacher im Rahmen eines an der Oral History orientierten intendierten „Ruhrfilmzentrums“, auf der frühen gewerkschaftlich orientierten Filmwochen-Zeit der Vor-Ružicka-Phase und der Wiedervereinigung und Annektion des DDR-Filmschaffens.

"Was mich angeht: Es war gut. Und dann ist gut.“

Der Buchtitel „Duisburg Düsterburg“ verweist auf einen Text des 2014 verstorbenen Duisburg-Stammgastes Harun Farocki, der hier ebenfalls abgedruckt ist. Farockis Fehlen schmerzt. Doch genauso schwer ist es, sich die Filmwoche ohne Ružimka vorzustellen. Bleiben soll sie, das beteuert die Stadt Duisburg, auch wenn unklar ist, wie und mit wem es weitergeht. Der am Freitag von einer improvisierten Feier im Diskussionssaal überraschte und überwältigte Ružimka formuliert seine Gefühle zum Abschied nüchtern: „Ich bin ganz froh, dass ich nicht mehr nach vorne, in die Zukunft, argumentieren muss, was aus der Filmwoche wird – angesichts der ganzen verstreuten Orte und Apparate, auf denen sich Film heute abspielt.“ Und schließlich, auf gut Ruhrpöttisch: „Was mich angeht: Es war gut. Und dann ist gut.“

Duisburg Düsterburg: Werner Ružicka im Gespräch mit Matthias Dell, Simon Rothöhler, Verbrecher Verlag, Berlin 2018, 22 €

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