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Früher stand Ziúr auf Punkrock. Vor vier Jahren begann sie damit elektronische Musik zu produzieren.

© Claudia Kent

Portrait der Musikerin Ziúr: Wenn meine Salatschüssel lacht

Die Berliner Musikerin Ziúr produziert abstrakte Elektrotracks, zu denen es sich auch gut tanzen lässt. Eine Begegnung.

Ziúr – allein unter ihrem Künstlernamen will sie in der Zeitung auftauchen. Ihren bürgerlichen Namen gibt die Musikerin aus Berlin nicht heraus. Auch das Internet kennt ihn nicht, und das soll ihrer Meinung nach möglichst so bleiben. Ihre Nationalität: auch unwichtig, sagt sie. Fragen zu Gender und Queerness: lieber nicht. „Bei der Thematisierung all dieser Punkte wird schnell eine Kiste aufgemacht, und in die würde ich dann hineingeworfen. Darauf habe ich keinen Bock“, sagt sie beim Gespräch.

Im queeren Berliner Stadtmagazin „Siegessäule“ hatte sie eine Zeit lang eine Kolumne und mit „Boo Hoo“ betreibt sie eine Partyreihe, die gerne als queer gelabelt wird. Aber als Musikerin will sie diesen Diskurs außen vor halten „Dadurch träte die Kunst in den Hintergrund. Ich will durch meine Kunst bestechen und nicht dadurch, dass ich irgendwelchen Kriterien entspreche oder eben nicht.“

Sie selbst wäre nie auf die Idee gekommen, ihre „Boo Hoo“-Partys als Events für die LGBT-Community zu bezeichnen. „Es geht einfach nur darum, einen offenen Ort zu gestalten. Natürlich ist es wichtig, dass man als Veranstalterin schaut, dass da nicht nur weiße Typen gebucht werden, aber solche Gedanken sollte sich meiner Meinung nach heutzutage jeder Party-Organisator machen.Zudem habe sie so ihre Probleme mit Queer-Partys. Da gebe es Schminkecken, Glitter und Einhornluftballons. Das sei eher nichts für sie.

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Ziúrs Bemühen um Anonymität mag zunächst so wirken, als arbeite sie mit viel Aufwand an der eigenen Mystifizierung. Aber wenn man der groß gewachsenen Frau im Kreuzberger Südblock gegenübersitzt, wo sie auch die meisten ihrer „Boo Hoo“-Partys veranstaltet hat, stellt man recht schnell fest, dass dem nicht so ist. Sie versteckt sich ja nicht, trägt keine Maske wie so viele Popmusiker, die mit ihrer Identität spielen. Und man darf ruhig wissen, dass sie fließend Deutsch spricht, aus einer Kleinstadt kommt, seit zwölf Jahren in Berlin lebt und Mitte Dreißig ist. Es ist ohnehin absurd, dass heutzutage jemand, der kein Interesse daran hat, jedes Detail seiner Identität öffentlich preiszugeben, sofort Verdacht läuft, sich gerade dadurch interessant machen zu wollen.

Eine gewisse Vorsicht, zu viel zu offenbaren, zieht sich dann aber schon durch das ganze Gespräch. Ihr Debütalbum als Ziúr, das unter dem Titel „U Feel Anything?“ Ende letzten Jahres beim Londoner Label Planet Mu erschienen ist, ruft automatisch eine Reihe klassischer musikjournalistischer Fragen auf. Wie kommt jemand dazu, eine derart verknotete, vertrackte und schwer einzuordnende elektronische Musik zu machen? Man hört Anflüge von Dubstep heraus, verwehte Reminiszenzen an das grummelnd bassige Footwork-Genre, klassischen Industrial und die Verrücktheiten eines Aphex Twin. Dazu sagt Ziúr: „Ich kenne all diese Leute und Genres, aber ich würde sie nicht als Einflüsse bezeichnen. So funktioniert meine Arbeit nicht, ich bediene mich nicht hier oder dort, ich mache keine Baukastenmusik. Was ich produziere, kommt ganz einfach aus mir selbst heraus.“

Ihre Musik klingt unkategorisierbar

In ihrer Jugend wurde Ziúr von lauter Gitarrenmusik geprägt, Punkrock, das sei ihr Ding gewesen: „Punk war auf dem Dorf schlichtweg das einfachste Mittel zur Rebellion“ – aber auch damals schon, so sagt sie, habe ihre eigene Musik unkategorisierbar geklungen und eben nicht wie Band X oder Y. Das scheint einfach ihr Ding zu sein, sich nicht auf etwas festlegen zu wollen. Auch privat höre sie ganz verschiedene Arten von Musik. Wenn sie auflegt, lässt sie gerne mal ein Stück von Nina Simone auf Black Metal folgen. „Lustigerweise funktioniert das ganz gut.“ Und den Song von Smokey Robinson & The Miracles, der gerade im Südblock läuft, möge sie auch ziemlich gerne.

Gesungen habe sie damals, bei ihren Bands auf dem Dorf, dann Gitarre gespielt, später auch noch Schlagzeug – „theoretisch könnte man sagen, dass ich jetzt mit dem Laptop, mit dem ich meine Musik produziere, auch wieder mehrere Instrumente spiele, nur sozusagen gleichzeitig.“ Sie singt auch weiterhin, wobei ihre Stimme jetzt so gut wie unhörbar, in die komplexen Texturen ihrer elektronischen Musik eingearbeitet ist. Auch hier gilt also: keine klaren Zuschreibungen. Immerhin verrät sie, dass das glockenhelle Klirren in „Laughing And Crying Are The Same Things“ von einem Gerät aus ihrem Küchenregal stammt – „von meiner Salatschüssel.“

Die Pogo-Szene fand sie irgendwann uninteressant

Als Ziúr vor zwölf Jahren nach Berlin gezogen ist, ließ sie nicht nur die Provinz, sondern auch den Punk hinter sich. „Typen spielen vor Leuten, die Pogo tanzen und lassen sich dabei von der eigenen Freundin die Jacke halten. Das war – überspitzt gesagt – diese Szene irgendwann und ich fand das unangenehm und uninteressant.“

In Berlin arbeitete sie erstmal eher hinter den Kulissen der Musikbranche, unter anderem drei Jahre lang als Technikerin im Südblock, wo sie während des Gesprächs allenthalben von neu auftauchenden Gästen mit großem Hallo begrüßt wird. Erst vor etwas mehr als vier Jahren habe sie dann selbst damit begonnen, Musik zu produzieren. Mit Peaches war sie auf Tour, die kanadische Wahl-Berlinerin habe ihr „anfangs unter die Arme gegriffen“, sagt sie. Inzwischen produziert Ziúr nebenbei auch Musik fürs Theater. Alles laufe ganz gut gerade, und sie könne inzwischen von ihrer Musik leben. Zu der, so sagt sie, bei ihren Clubauftritten tatsächlich getanzt wird, auch wenn man sich fragt, wie das zu ihren abstrakten Klanggewittern eigentlich gehen soll.

Performance von Ziúr und Jesse Darling am 6.3., 20 Uhr, Roter Salon

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