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Kultur: Poser, Pop und Pappmaché

„Romeo und Julia“, die ideale Liebe? Lars Eidinger schleift an der Schaubühne einen Mythos.

Romeo Montague hat uns quer durch die Jahrhunderte und Regiemoden ja schon mit einigen Spleens auf Trab gehalten. Aber dass im Shakespeareschen Teenager ein Unterhaltungsmusikfachmann von geradezu enzyklopädischem Ausmaß steckt, erfahren wir erst jetzt bei Lars Eidingers Inszenierung in der Schaubühne. Wenn sich Romeo nach der Kostümparty im verfeindeten Hause Capulet von seiner Angebeteten Julia verabschiedet, zappelt er einen Plattitüden-Song nach dem nächsten aufs Szenario – Hauptsache, die Vokabel „Love“ kommt vor. Dass Romeo zudem über ansehnliche Moonwalker-Qualitäten verfügt, kommt dank seines körpernahen Kostüms besonders gut zur Geltung. Eidingers Ausstatterin Nicole Timm hat sämtliche jungen Männer – ganz gleich, ob vom Montague- oder vom Capulet-Clan – in farbenfrohe Kinderwollstrumpfhosen gesteckt. Die prinzipiell altersgerechten Pullover, die sie dazu in aller Trash-Würde kombinieren, schließen dann ihrerseits nahtlos zum Berlin-Mitte-Nerd auf.

Kurzum: Lars Eidinger arbeitet konsequent daran, die Behauptung von der himmelstürmenden, unschuldigen Herzensaufwallung – mithin das romantische Liebesideal, als dessen Inkarnation „Romeo und Julia“ ja gilt – einer kritischen Revision zu unterziehen. Dass Lovestorys in unseren postromantischen Tagen gern zu Endlospartys narzisstischer Poser mutieren, die sich mehr an ihren eigenen Gefühlen als am gefühlsauslösenden Objekt berauschen und mit einer Art Emotionskaraoke am breit gefächerten Pop-Reservoir vergreifen, dürfte ja den wenigsten Zeitgenossen völlig fremd sein. Und so führt der schlaksige und im Übrigen wunderbar verstrahlte Romeo von Moritz Gottwald selbst in dem Moment, in dem er das Giftfläschchen zum Freitod ansetzt, noch seinen literarischen Selbstmörderkumpel Werther im Munde, dem Goethe ja den schönen Stoßseufzer in den Mund legte: „Wie ich mich selbst anbete, seitdem sie mich liebt!“

Auf den Unterhaltsamkeitsquotienten des Abends wirkt sich Eidingers Poser- und Popzitatzugriff in der Thomas-Brasch-Übersetzung natürlich überaus vorteilhaft aus: Vor wechselnden anskizzierten Umgebungen – mal steht das Ensemble im Pappmaché-Häusermeer eines lustigen Kunst-Veronas, mal hockt es in Julias Doppelstockbett vor einer Bravo-Posterwand – wird wunderbar semi-ironisch gefochten, kurzweilig gestorben und hoch illustrativ Kunstblut gespuckt wie einst in „Pulp Fiction“. Von Tybalts spektakulärem Ableben im weißen Trainingsanzug auf abgedunkelter Bühne könnten sich sämtliche Musikvideoproduzenten gleich fünf Scheiben abschneiden. Und dass der hehre Maskenball im Hause Capulet, auf dem sich Romeo und Julia kennenlernen, zur stockordinären Faschingssause verkommt, ist der Gastgeberin mehr als angemessen: Regine Zimmermann spielt Lady Capulet als geile Midlifecrisis-Verdrängerin, die den lila Pailettenglitzerschlüpfer zur Feier des Tages gegen ein offensives Vagina-Kostüm tauscht, dank formvollendeter Beinakrobatik in wirklich jeden Körperwinkel ihrer Gesprächspartner vorzudringen versteht und ihrer Tochter die basalen Lehrsätze des Universums am liebsten an der Schließmuskeldynamik eines nackten Ammenhinterns veranschaulicht. Irgendwie folgerichtig, dass die relativ unverdruckste Julia der Iris Becher fleischfarbene Ganzkörper-Catsuits mag und lieber handgreiflich über Romeo herfällt als weitschweifig über Nachtigallen und Lerchen zu schwadronieren.

Als der Schaubühnenstar Lars Eidinger vor fünf Jahren mit Schillers „Räubern“ sein Regiedebüt gab, ließ er die Darsteller sämtliche Revoluzzerposen umstandslos in zielsicher verspätete Eighties-Hits entsorgen: Schon der erste kriminelle Oppositionsakt versickerte in Queens „Bohemian Rhapsody“. Dagegen wirkt „Romeo und Julia“, als sei Eidinger öfter auf halbem Dekonstruktionsweg stehen geblieben: Von Revoluzzergedanken lässt es sich offenbar leichter Abschied nehmen als vom romantischen Liebesideal – was zwar nachvollziehbar und durchaus nicht unsympathisch ist, allerdings zu mancher unentschiedenen, ungenauen und relativ ausgebreiteten Szene führt. Andererseits gelingt in den größten Momenten etwas Seltenes: Dank des live rockenden Duos James Brook und Iza Mortag Freund bekommen Musik, Zitat und Selbstinszenierung so etwas wie eine eigene Wahrheit, die der kulturkonservative Spießervorwurf vom Second-Hand-Gefühlsposing hoffnungslos verfehlt. In solchen Augenblicken ist Lars Eidinger auf der Höhe der Gegenwart – und eines jugendlichen Zielpublikums – wie nur wenige seiner Regiekollegen. Christine Wahl

wieder am 20.4. und 13.5.

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