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Kultur: Postkartendschungel

Ob aus dem Londoner Nebel oder aus Schwaden von ostdeutschem Braunkohlemief, das jäh auftauchende großflächige Antlitz von Richard Burton prägte sich ein. Wissend und zugleich aller Illusionen beraubt, aus Berufsgründen neugierig und doch jeder erschlichenen oder erpressten Information schon im voraus überdrüssig - so blickte nur einer drein: Der Spion Alec Leamas, der aus der sprichwörtlichen Kälte kam.

Ob aus dem Londoner Nebel oder aus Schwaden von ostdeutschem Braunkohlemief, das jäh auftauchende großflächige Antlitz von Richard Burton prägte sich ein. Wissend und zugleich aller Illusionen beraubt, aus Berufsgründen neugierig und doch jeder erschlichenen oder erpressten Information schon im voraus überdrüssig - so blickte nur einer drein: Der Spion Alec Leamas, der aus der sprichwörtlichen Kälte kam. Kaum ein anderer Film hat die Atmosphäre des Kalten Krieges derart treffend symbolisiert wie "The Spy who came in from the Cold" aus dem Jahr 1963. Die Romanvorlage stammte von David John Moore Cornwell. Dieser schriftstellerische Coup ermöglichte es dem jungen Sekretär der Britischen Botschaft in Bonn, selbst aus dem Schattenreich des Agententums zu treten. Ein letztes Mal nahm er einen Decknamen an: Aus Cornwell wurde John le Carré.

Spionage bedeutet meist das zermürbende Warten auf Nachrichten, auf die Fortsetzung des Auftrags. Seit fast vierzig Jahren, als "A murder of Quality" ("Ein Mord erster Klasse") erschien, läßt John le Carré seine besten Leute warten. Auf Alec Leamas folgte der grüblerische Geheimdienstmann George Smiley, von Alec Guinness mit britischer Noblesse einfühlsam verkörpert. Später verabschiedete sich der Meister des Spionagethrillers, dem als Autor alles zu glücken scheint, vorübergehend von dieser Figur. Er wandte sich anderen Konflikten zu wie dem im Nahen Osten ("The Little Drummer Girl", auf deutsch "Die Libelle") oder dem Freiheitskampf im Kaukasus ("Unser Spiel"). Einen Aufenthalt in der Sowjetunion destillierte er zu "Das Russlandhaus". Stets gelingt es ihm, die Balance zwischen Information und Spannung zu wahren.

Unterhaltungsromane müssen laut le Carré immer einen ernsten Kern enthalten. Das Recherchieren dafür lernte er Ende der 50er Jahre beim Nachrichtendienst der britischen Armee in Wien. Mit 16 hatte er sich dem unguten Einfluss seines Vaters, eines ewigen Bankrotteurs, in die Schweiz entzogen, um dort Germanistik und Neue Sprachen zu studieren. In mehreren Romanen wie "A Small Town in Germany" kehrte er an den Hauptschauplatz des Kalten Krieges zurück. Während der letzten Berlinale stellte er die Filmadaption seines Romans "Der Schneider von Panama" mit Geoffrey Rush und Pierce Brosnan vor, wollte sich aber nicht schon wieder an der Glienicker Brücke fotografieren lassen.

Denn diese Zeiten sind endgültig vorbei. Die neuen Feinde der Helden des John le Carré heißen Tyrannei, Ausbeutung der Dritten Welt, Umweltkatastrophen. "Je tiefer ich in den pharmazeutischen Dschungel eindrang, desto klarer wurde mir, dass mein Roman, verglichen mit der Wirklichkeit, ungefähr so harmlos ist wie eine Urlaubspostkarte", schreibt er im Nachwort zu "Der ewige Gärtner", seinem 18. Roman. Er prangert die verbrecherischen Praktiken globaler Pharmakonzerne in Afrika an. Die Wirklichkeit hat den idealistischen Realisten, der über die Jahre zum engagierten Kritiker des Westens wurde, überholt. John le Carré zeigt sich in diesen Tagen (FAZ vom 17.10.) bitter enttäuscht vom "Versagen unserer Geheimdienste", das eine "furchtbare, notwendige, demütigende Polizeiaktion" zur Folge habe. Am heutigen Freitag wird der Chefagent der Imagination im friedlichen Cornwall siebzig Jahre alt.

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