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Potsdam: Satan gibt Fersengeld

Das Hans-Otto-Theater Potsdam verirrt sich in Rushdies Skandalroman. Und nichts passiert.

Die gute Nachricht zuerst: Es ist nichts passiert. Und jetzt die schlechte: Es ist beim besten Willen wirklich schier überhaupt rein gar nichts passiert.

Dabei hätte doch so viel passieren können, passieren sollen. Wütende Proteste von Islamisten hatte man erwartet. Auf die Anwesenheit von Salman Rushdie hatte man gehofft. Und ganz sicher war man sich vorab gewesen, dass in Potsdam „mutiges Theater“ zu sehen sein würde. Die gute Nachricht: Von Islamisten keine Spur. Die schlechte: Von Rushdie auch nicht. Allein das mutige Theater soll gesichtet worden sein – jedenfalls fanden sich nach dem Schlussvorhang bereitwillige Augenzeugen, die den Fernsehkameras Entsprechendes bescheinigten. Es muss inkognito unterwegs gewesen sein, das mutige Theater. Es zeigte sich nur seinen Freunden.

„Die wollen doch nur ins Fernsehen“, sagt denn auch Gibril abwinkend zu Saladin, als ihr Flugzeug auf der Bühne von maskierten Terroristen gekapert wird. Endlich sind sie da, die furchterregenden Fatwa-Vollstrecker, auf die man in Potsdam so nervös gewartet hat. Brüllen Parolen, fuchteln mit Sprengstoff, reißen sich schließlich die Burkas vom Leib und gehen mit entblößter Möse in den Tod, ein schauriger Schock gleich zu Beginn dieses in jeder Hinsicht ausufernden Vier-Stunden-Spektakels. Uwe Eric Laufenberg inszeniert Rushdies „Satanische Verse“ als Mittelteil der Premierentrilogie „Metamorphosen“, die am Samstag mit „Faust I“ beginnt und in der Sonntagnacht mit Katharina Schlenders „Der Zufriedene“ endet. Dazwischen Rushdies schon in Romanform schwer arabeskentreibender Stoff, ein öst-westlicher Gebetsteppich, dem Laufenberg noch einen halben „Faust II“ einwebt.

Gewiss, es gibt lichte Momente. Tobias Rott zum Beispiel, als faustisch zerrissener, Zwei-Kulturen-wohnen-ach-inmeiner-Brust-Inder Saladin, der im vierten Akt zum hilflosen Satan mutiert. Ein teuflisch großer Schwanz schlackert ihm zwischen den Beinen (was so wörtlich gemeint ist, wie es hier steht), statt Füßen wachsen ihm Hufe, auf denen er über die Bühne stakst, ein bravouröser Gang auf satanischen Fersen. Die Verse aber, die satanischen, die bei Rushdie das Skandalpotenzial ausmachten, wollen in Potsdam keinen rechten Reim ergeben. Der Prophet Mahound und seine mehr merkantil als theophil zu Werke gehende Stiftung einer „Religion der Unterwerfung“, die ketzerische Schriftverfälschung durch den Perser Salman, all das verpufft, löst sich auf in ein phantasmagorisches Kuddelmuddel, aus dem nicht klug zu werden ist. Um so irritierender, dass manche Besucher später den Kameras von einem „mutigen Stück“ zu berichten wissen, von einem „Plädoyer für Toleranz“. Wo Klarheit fehlt, bleibt offenbar nur der Reflex. Die Freiheit des Westens gehört verteidigt. Am Hindukusch wie in Potsdam.

Manches an diesem Reflextheater erinnert an den „Idomeneo“-Skandal der Deutschen Oper Berlin. Dort wurde eine Aufführung aus Angst vor islamistischen Ausschreitungen zunächst abgesagt. Auch hier wird einer Inszenierung künstlich Bedrohungspotenzial angedichtet, um in der Folge islamistische Ausschreitungen befürchten zu können, vor denen dann eine breite bürgerliche Front „nicht einzuknicken“ verspricht. Ab diesem Punkt trägt selbst vorsichtig vorgetragene Kritik gemäßigter Muslime nur noch zur weiteren Erregung bei. Et cetera ad absurdum.

„Das ist ein gegenseitiges Sich-BälleZuwerfen“, konstatiert ganz richtig der iranische, im deutschen Exil lebende Publizist Bahman Nirumand. Seine Einschätzung, die Potsdamer Inszenierung und der antiislamische Wilders-Film seien Formen „psychologischer Kriegsführung“, die die Freiheit der Kunst zum Vorwand für „pure Provokation“ nähmen, klingt unter diesem Blickwinkel gar nicht mehr so verschroben.

Natürlich darf Kunst alles. Bloß: Wie klug ist Kunst, die dürfen will, was niemand ihr verbietet?

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