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Kultur: Prädikat Albtraum - Die Diskussion geht weiter

Ende gut, alles gut? Wer weiß.

Ende gut, alles gut? Wer weiß. Zwar hat das Videodrom, die anspruchsvollste und für Cineasten unentbehrlichste Videothek Berlins, jetzt wieder geöffnet - nach drei langen ruinösen Wochen staatlich verordneter Untätigkeit -, aber die Computer sind noch immer nicht freigegeben, die Ermittlungen laufen weiter. Ebenso die Aktivitäten der Freunde des Hauses: Für heute ist eine "Anti-Zensur-Revue" in der Akademie der Künste anberaumt, unter anderem diskutieren der Filmemacher Jörg Buttgereit, der Schriftsteller Bert Papenfuß, die Kulturwissenschaftlerin Gerburg Treusch-Dieter sowie Wiglaf Droste und voraussichtlich auch Ulrich Gregor vom Berlinale-Forum.

Wogegen wird eigentlich genau ermittelt? Es bestehe der "zwingend begründete Verdacht", so die amtliche Formulierung, dass in der Videothek mit indizierten und verbotenen Filmen gehandelt werde. Aber warum wurde erst im November durchsucht, fast drei Monate, nachdem die Anzeige erstattet wurde? Weil in der Zwischenzeit die Realität Horrorfilm-Assoziationen weckte mit Kindern und Jugendlichen, die Schusswaffen gebrauchen, Messer zücken und Massaker planen? Und weil in deren Zimmern prompt entsprechende Videokassetten gefunden wurden? Weil die alte Debatte über die Gewalt in den Medien neue Aktualität erlangte und die gesellschaftliche Stimmung den Jugendschützern in die Hand arbeitete?

Das Videodrom allerdings ist keine der üblichen Videotheken, in denen vorn Kinder und Jugendliche ihren Bilderhunger stillen und hinten, hinter kontrollierten Türen, die Erwachsenen zwischen Porno- und Gewaltfilmen wählen können. Das Videodrom ist nur für Kunden ab 18 zugänglich. Deshalb darf es indizierte Filme verleihen, nicht aber verkaufen. Indiziert: das heißt, dass Jugendliche nicht einmal das Cover zu sehen bekommen dürfen. Wenn sich allerdings verbotene Filme finden, ist ein Straftatbestand gegeben. Die fünfzig Polizisten konnten bei der Durchsuchung ein paar davon hinter einer verschlossenen Stahltür im Lager auftreiben, für Kunden also unzugänglich. Und der Besitz allein ist strafbar.

Warum aber führt eine Videothek, die sich spezialisiert hat auf Filmkunst in Originalsprachen, auf Zeichentrick, schwul-lesbische und Underground-Filme, auch ein kleines Sortiment von Horror- und Science-Fiction, während sie - anders als viele gewöhnliche Videotheken - auf Pornographie gelassen verzichtet? Porno hat nichts mit Filmkunst zu tun, sagt Thomas Klein, Mitarbeiter des Videodroms. Will heißen, für das Immergleiche finden sich die immergleichen Darstellungsweisen. Anders beim Horrorfilm, der als klassisches Genre so alt ist wie das Kino selbst und in der Literatur seine gewichtigen Vorbilder hat.

Es scheint einem menschlichen Bedürfnis zu entsprechen, von Zeit zu Zeit mit Angstlust in die Abgründe des Lebens zu schauen. Und dabei gesellschaftlich gesetzte Grenzen auszutesten und versuchsweise zu überschreiten, die Grenzen des Erlaubten wie die des guten Geschmacks. Es gehört zum Wesen der Kunst, Tabus zu brechen. Mit welcher Hingabe entwarfen Expressionisten wie Fritz Lang ihre scharfen Schwarzweiß-Gemälde über das Böse in der Welt. Mit welcher Lust spielten Filmemacher zu allen Zeiten mit der Angst vor Außerirdischen und vor allem, was anders ist als wir selbst. Nicht wenige Regisseure haben mit solchen Stoffen ihre Karriere begonnen; Tom Tykwer ist übrigens einer davon.

Und wer schaut derlei besonders gern an? Thomas Klein kann keine besondere Kundengruppe ausmachen. Wer Filmkunst liebt, zieht sich auch gern mal einen Splatterfilm rein, Horrorfans wiederum brauchen gelegentlich differenziertere Kost. Ist alles also ein Spiel, ungefährlich für Seele, Geist, Leib und Leben? Wann gerät ein Film auf den Index oder wird gar verboten? Wenn die Lust an der Gewaltdarstellung sich selbstständig macht. Wenn kein erzählerischer oder ethischer Kontext sie abfedert und in konstruktive Bahnen lenkt. Oder wenn der Straftatbestand der "Gewaltverherrlichung" erfüllt ist. Ein dehnbarer Begriff, der noch dazu dem Wandel des gesellschaftlichen Konsenses unterliegt. Stanley Kubrick etwa zog seinen Film "Clockwerk Orange" in England selbst zurück, um den Behörden zuvorzukommen.

Aber auch Special effects nutzen sich ab. Der Markt der Horror- und Splatterfilme schrumpft rapide zusammen, erzählt Thomas Klein. Fernsehen, Internet und Computerspiele sind starke Konkurrenten. Die Videotheken werden einen Teil ihrer Kunden verlieren. Ein Trend, den das Videodrom nicht zu fürchten braucht. Denn das dient allen, die professionell oder aus Leidenschaft mit Filmkunst zu tun haben, als Geheimbibliothek. Jedenfalls so lange, wie es die nun glücklich auf den Weg gebrachte Mediathek noch nicht gibt.Die Anti-Zensur-Revue in der Berliner Akademie der Künste beginnt heute um 19.30 Uhr.

Mechthild Zschau

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