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Fieses feistes Baby. Daniel Hoevels vor einer Aufblaspuppe, die den Abend über langsam an Luft verliert.

© Marcus Lieberenz/Bildbuehne

Premiere am Deutschen Theater: Hose voll

Fast ein Psychodrama: Milan Peschel inszeniert „Der Freund krank“ in den DT-Kammerspielen.

Zwar ist dieser Mittdreißiger, der in den Metropolen des Landes mit Immobiliengeschäften reüssiert, beileibe kein uneingeschränkter Sympathieträger. Aber die Schockserie, die ihn erwartet, als er mal wieder im heimischen Kaff an der B1 vorbeischaut und an der Tür seines Schulfreundes Mirko klingelt, wünscht man ihm dann doch nicht. Auf der Schwelle steht sein einstiger Jugendschwarm: Nora. Mit Schwangerschaftsbauch und Erschöpfungsringen unter den Augen. Und als wäre das nicht Ernüchterung genug, hantiert Nora auch noch mit verdächtig geräumigen Windelhosen.

Mirko, erfährt der Rückkehrer, dieser strahlende Held seiner Kindertage, der ihn aus den aussichtslosesten Schwitzkästen der prügelfreudigen Gebrüder Baschi befreit hatte, liegt reglos auf dem Kanapee und scheißt sich die Hosen voll. Von einem Moment auf den anderen, sagt Nora unter Tränen, habe sich dieses „dumme, miese, feige Kackarschloch“ mental aus dem Dasein verabschiedet und vegetiere jetzt in einer Art Wachkoma vor sich hin. Schwer zu sagen, inwiefern Mirkos Komplettausstieg mit der Schließung des lokalen Werks zu tun hat, dem einzigen ernst zu nehmenden Arbeitgeber vor Ort.

Slapstick und hypercoole Figurenbrüche sind zu besichtigen

„Der Freund krank“ heißt Nis-Momme Stockmanns opulenter Hundertsechzigseiter, der private Beziehungs- in gesellschaftlicher Globalisierungsgeschichte spiegelt. Und weil der Autor sich dafür fast schon unverschämt viel Raum nimmt und seinen Figuren zudem wohltuende Ambivalenzen zugesteht, gelingt das – gemessen an anderen gegenwartsdramatischen Versuchen – tatsächlich erstaunlich gut. Zwei Jahre nach der Frankfurter Uraufführung durch Martin Schulze lässt Milan Peschel das Stück denn auch in den Kammerspielen des Deutschen Theaters wieder aufleben und verpasst ihm einen auffallend ernsthaften Grundton.

Bis dato hatte sich Peschel, einstmals Schauspielstar im Castorf-Ensemble, ja auch als Regisseur mit ziemlicher Ausschließlichkeit auf der schön schrillen Volksbühnen-Stilwelle bewegt. Nun sind zwar großer Slapstick und hypercoole Figurenbrüche gelegentlich auch in „Der Freund krank“ zu besichtigen. Beim Versuch des Schauspieler-Duos Moritz Grove und Daniel Hoevels beispielsweise, sich gemeinsam auf Noras schmalen Einbauküchenhocker zu quetschen, fehlt von der spontanen Bauchwelle bis zur avancierten Pyramide wirklich kein Kunstturnelement aus der Castorf-Schule.

Aber im Vergleich zu Peschels Vorgänger-Arbeiten geht diese fast schon als Psychodrama durch. Wohlgemerkt ohne, dass man mit Pseudo-Sentimentalität oder jenen virulenten Prekariatsklischees behelligt wird, die weniger über das darzustellende Milieu aussagen als über den Horizont des Regisseurs.

Der größte Glücksfall von Peschels Kammerinszenierung ist dabei Kathleen Morgeneyer. Die wechselnden Energieschübe und Verzweiflungszusammenbrüche, die diese Schauspielerin aus ihrer Nora herausholt – einer Art Kobold mit leicht angeprollter Schwarzhaarperücke zum blauen Unschuldskleidchen – treffen auch nach zwei Stunden noch ins Mark.

Noras Gegenüber, den namenlosen Rückkehrer, der gleichzeitig als Icherzähler fungiert, hat Peschel naheliegenderweise auf zwei Akteure verteilt. Denn Stockmanns Stück – eine Art Bewusstseinsstrom mit Hang zur sogenannten Textfläche – strotzt vor inneren Monologen und mehr oder weniger kritischen Selbstreflexionen des Antihelden. Daniel Hoevels gibt hier eher die schnittigen Immobilienbranchler-Anteile, während Moritz Grove sowohl die zweiflerischen als auch die zynischen Persönlichkeitselemente mit sich herumschleppt. Zudem fallen beide Schauspieler abwechselnd in die Mirko-Schockstarre, welche sich jeweils mit einem apart vom Mundwinkel herabtropfenden Speichelrinnsal ankündigt.

Wie Stockmanns Text strebt auch Peschels Inszenierung bei alledem aus dem trostlosen B1-Kaff hinaus ins Universelle: Das einsame amerikanische Haus im Stil Edward Hoppers, das Nicole Timm auf die Drehbühne gebaut hat, verströmt die Depression und den Anticharme des globalen Kapitalismus. Zudem lagert im Bühnenhintergrund eine überdimensionale aufblasbare Babypuppe mit fiesem Altherrengesicht, aus der die Luft entweicht. Auch von diesem Inbegriff der Trostlosigkeit, den man als schlimmstmögliche Symbiose aus Noras ungeborenem Kind und dessen frühvergreistem Vater Mirko lesen kann, lässt sich leider nicht behaupten, dass er auf deutsche Kleinstädte beschränkt bliebe.

wieder am 26.2. und 5.3.

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