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Spieglein, Spieglein vor der Wand. Susanne Kreusch (lks.) befragt in der Rolle der Stiefmutter Nikola Ivanov, der den Spiegel mit russischem Akzent gibt.

© dpa

Premiere an der Komischen Oper: Sag’s durch die Prilblume

Der Prinz trägt Hosen mit Schlag: Uraufführung von „Schneewittchen und die 77 Zwerge“ an der Komischen Oper.

Mit Altersempfehlungen ist das in der Hochkultur ja immer so eine Sache: Schreiben die Institutionen „ab 6 Jahren“, rücken garantiert jede Menge überehrgeizige Bildungsbürgereltern mit ihren eifrigen Vierjährigen an. Für das neue, ab der ersten Klasse freigegebene Kinderstück an der Komischen Oper bietet sich allerdings statt einer Alters- sowieso eher eine deutliche Zielgruppendefinition an: „Schneewittchen und die 77 Zwerge“ eignet sich nämlich vor allem für Mädchen in der Prinzessinnenphase – einem Zustand, der je nach persönlicher Disposition durchaus bis ins achte Lebensjahrzehnt hinein andauern kann, wie man weiß.

Eine Mütter-und-Töchter-Produktion ist dieses Auftragswerk also geworden. Die meisten Jungs dagegen dürften sich wenig angesprochen fühlen von der puppenstubigen Wohlfühl-Show, zu der die Komponistin Elena Kats-Chernin und ihre Textdichterin Susanne Felicitas Wolf das böse Grimmsche Märchen gemacht haben. Susanne Kreuschs Königin ist eindeutig ein Opfer übermäßiger Frauenzeitschriftenlektüre, vom Schlankheits- und Fitnesswahn befallen. Als bodenständiges, dick bezopftes Schneewittchen wirkt Alma Sadé wie aus einem Astrid-Lindgren-Buch entsprungen.

Andreas Homoki hat in seiner Zeit als Intendant die gute Idee gehabt, alljährlich eine Kinderoper herauszubringen, und zwar auf der großen Bühne, mit vollem Orchester und aufwendiger Ausstattung. Zudem frisch und exklusiv für die Komische Oper geschrieben, als Auftragsarbeit. Eine Tradition, die der aktuelle Intendant Barrie Kosky ebenfalls aus Überzeugung fortsetzt. Mit den beiden „Schneewittchen“-Bearbeiterinnen hat er bereits zu seinem Amtsantritt zusammengearbeitet, als er alle drei überlieferten Musiktheaterwerke Claudio Monteverdis in einer Monsterpremiere auf die Bühne brachte.

Damals haben die aus Usbekistan stammende, in Australien lebende Elena Kats-Chernin und die in Wien lebende Susanne Felicitas Wolf an der Rekonstruktion der Libretti und Partituren der frühbarocken Trilogie mitgewirkt. Für „Schneewittchen“ hätten sie künstlerisch jetzt ganz freie Hand gehabt – und blieben doch sehr nahe am Original. Ob sprechender Spiegel (immer verpennt und mit russischem Akzent: Nikola Ivanov), ob gutmütiger Jäger (Carsten Sabrowski) oder prince charming (Adrian Strooper), das Personal ist altbekannt, die Erzählweise traditionell. Einzig ein weißes Kaninchen wird unvermittelt eingeführt – und umstandslos von Schneewittchen adoptiert. Einen Erkenntnisgewinn zur Story steuert das Tier, das alles, was ihm gefällt, total „schnittlauch“ findet, zwar nicht bei. Aber immerhin hat es einen hohen „Süüüß“-Faktor, weil der im Fellkostüm steckende Dirk Johnston nicht nur singen, sondern auch Broadway-reif tanzen, steppen und Rad schlagen kann. Und wenn der mit Schlaghosen angetane Prinz beim Tanzen John-Travolta-Posen macht, dann lachen auch die Eltern.

Angenehm ohrwurmig und ziemlich retro klingt Elena Kats-Chernins Partitur: Da hört man südamerikanische Rhythmen und Melodien wie in alten Caterina-Valente-Filmen, da sorgen Instrumente wie das Akkordeon oder das ungarische Cimbalon für altmodische akustische Würze. Aber es gibt auch so manche Wendung, die man aus gefühligen Musicals oder Soundtracks im Ohr hat (Dirigent: Pawel Poplawski).

Einige Jahrzehnte zurück hat sich auch Bühnenbildner Lukas Noll gedacht, wenn er Prilblumen auf den Schneewittchensarg streut oder die über Rutschen zu erreichende Zwergenhöhle unter einem putzigen, mit stilisierten Dekobäumen gespickten Halbkugelberg versteckt. Die auf 77 Brüder verelffachten Zwerge sind eine ganz besonders bezaubernde Truppe, denn sie werden vom Kinderchor der Komischen Oper dargestellt. Dagmar Fiebach hat die Nachwuchssängerinnen und -sänger musikalisch bestens vorbereitet, von Kostümbildnerin Karin Fritz wurden sie mit übergroßen, hobbithaften Nacktfüßen ausgestattet und in zipfelmützige Kapuzenpullis gesteckt.

Lustig tollen sie herum – und wenn die Königstochter ihnen anbietet, das Haus zu fegen, lautet ihre Antwort: „Aber wir haben doch einen Staubsauger!“ Weiter gehen die Aktualisierungsversuche des Librettos nicht, und auch Regisseur Christian von Götz möchte keine zarte Kinderseele verschrecken. Mehrfach dürfen die kleinen Besucher sogar wie im Kasperletheater „Ja!!“ oder „Nein!!!“ schreien, je nachdem, ob gerade die Guten oder Bösen auftauchen. Nur ein einziges Mal berühren die Märchen-Inszenierung und die Lebenswirklichkeit der jungen Besucher einander: Wenn das vor der diktatorischen Stiefmutter geflohene Schneewittchen samt Kaninchenkumpel bei den Zwergen um Asyl bittet. Deren Willkommenskultur aber ist selbstredend vorbildlich ausgeprägt.

Wieder am 8., 9., 12., 22. und 30. November sowie am 1., 11., 21 und 26. Dezember.

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