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Bunt und bewegend. Annika Schlicht in der Rolle der Judy.

© Staatsoper/Vincent Stefan

Premiere an der Staatsoper: Kaspar brutal

Grotesk: Die Premiere der Kammeroper „Punch and Judy“ in der Werkstattbühne der Staatsoper im Schillertheater.

Es kann nichts Gutes bedeuten, wenn ein von Kopf bis Fuß weiß gepuderter alter Mann mit koboldhaften Spitzohren und Knollennase in Unterhose einer lieblos verdrehten Babypuppe unter satanischem Lachen (von Piccolo und Es-Klarinette gedoppelt) ein skurriles Schlaflied singt. Tut es auch nicht. Das Baby landet im Ofen und verkohlt, die Mutter Judy wird gleich mit ermordet und Punch zieht bester Stimmung los auf die Balz, um Pretty Polly für sich zu gewinnen.

Seit Jahrzehnten erheitern solche makabren Scherze Briten allen Alters in den traditionellen „Punch and Judy-Shows“, einem brutalisierten Pendant zum Kasperletheater. Was man in Harrison Birtwistles Kammeroper „Punch and Judy“ von 1968 auf der Werkstattbühne der Staatsoper im Schillertheater anfangs ein wenig bang betrachtet, hat man schon bald als Grundton des Abends akzeptiert. Als sich Arzt und Anwalt später die Augen ausstechen, blutende Organe herumgereicht werden oder Judy mit einem toten Fisch masturbiert, zuckt schon keiner mehr mit der Wimper.

Und das liegt nicht zuletzt an der überzeugenden Gesamtumsetzung: Die rhythmisch-gestisch überzeichnete Musik (Leitung: Christopher Moulds), die an grotesken Details überbordende Inszenierung (Derek Gimpel), die spärlich zusammengezimmerte Ausstattung (Christoph Ernst), der Slapstick, die Charakterstimmen – alles wie aus einem Guss. Jeder Anspruch an realistisches Theater löst sich hier bereitwillig in Luft auf. Und dem perfiden Charme des genialen Punch-Darstellers Richard Suart kann sich sowieso keiner entziehen.

Als „tragische Komödie oder komische Tragödie“ bezeichnet der Komponist seinen Einakter. Alle Widersprüche heben sich auf: Tote leben weiter, Gräueltaten erheitern, dazwischen bewegt Judy (Annika Schlicht) plötzlich ernsthaft mit einem eindringlich gesungenen Plädoyer gegen die Hinrichtung des Erzählers (Maximilian Krummen). Und dem mehrfachen Mörder Punch wünscht man insgeheim das ersehnte Liebesglück mit Pretty Polly, wenn er seine von Flöte und Ratsche begleiteten Serenaden singt, die Polly (Hanna Herfurtner) erst mit schrill-mechanischem Koloraturträllern schnöde abweist, bevor sie in einem Liebesduett nach dem Modell Papageno-Papagena doch zueinander finden.

Staatsoper im Schillertheater, Werkstattbühne: wieder am 21., 23., 25., 27. und 31.5.

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