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Liebe tut weh. Lance Ryan als Siegfried und Irene Theorin als Brünnhilde.

© dapd

Premiere an der Staatsoper: Treuepunkte im Ringgeschäft

Guy Cassiers und Daniel Barenboim arbeiten sich an der Berliner Staatsoper durch Wagners „Siegfried“.

Ach, Siegfried, du hast es nicht leicht. Alle Teile von Wagners „Ring“ sind beliebter als du: das flott funkelnde „Rheingold“, die dramatisch zugespitzte „Walküre“ und sogar der reichlich verschlungene Weg in den Weltenbrand der „Götterdämmerung“. Dem Helden als Jugendlichen dagegen, seinen elementaren Konflikten mit abwesenden Erziehungsberechtigten und deren durchweg ungeeigneten Platzhaltern ergeht es so wie vielen dringenden Bildungssujets: Der Prozess dauert lange, erfordert Geduld, durchlebt regressive Phasen und kommt womöglich gar nicht zum Ziel.

Siegfried, der Schwererziehbare, ist eine Bewährungsprobe selbst für überzeugte Wagnerianer. Das mag zu einem Teil das Fehlen jeglicher Premierenstimmung im Schillertheater erklären, jener unbeschwerten Gewissheit, dass sich der Abend schon lohnen werde. Der andere liegt in der Vorgeschichte eingeschrieben, nicht der des raunenden Mythos, sondern der der realen Staatsopernwelt. Die ersten beiden Teile des neuen „Ring“, der zu den Festtagen 2013 zum ersten Mal komplett erklingen soll, schürten keine Erwartungen an das, was das Team um den belgischen Regisseur Guy Cassiers in der gewaltigen Tetralogie noch entdecken mag.

So gleicht die Stimmung eher einem Arbeitstermin, wenn der unsichtbar bleibende Daniel Barenboim tief unten im Graben, der bei Wagner-Aufführungen im Schillertheater wirklich ein Abgrund ist, den Auftakt gibt. Darauf sind die einen besser, die anderen schlechter vorbereitet. Die Staatskapelle spricht selbst auf extrem zurückgenommene Impulse ihres Chefs noch an, organisiert ihr Zusammenspiel beinahe mit geschlossenen Augen: der Traum eines fühlenden, denkenden Kollektivs. Auf der Bühne aber geht es noch ärger zu als ohnehin schon gesehen. In verschachtelten Metallkästen eiern Mime und Siegfried unsicher umher, nur damit später einmal die ganze Chose aufrecht gestellt werden kann. Das rumpelt, ist komplett frei von weiterführenden Gedanken und einzig ein Fall von Gefährdung der Betriebssicherheit.

Arg ist zudem, dass Wagners Stabreime nicht nur ulkig klingen, sondern durchaus pointiert umreißen, was eigentlich geschieht – oder szenisch glaubhaft werden sollte. „Dir glaub ich nicht mit dem Ohr, dir glaub ich nur mit dem Aug’: Welch’ Zeichen zeugt für dich?“, dringt Siegfried drohend in den zuckenden Zwerg Mime, der nur widerwillig von der Herkunft des ungestümen Helden berichtet. Welch’ Zeichen zeugt für dich? Das will man auch Cassiers sowie seinen Bühnenbildner, Lichtdesigner, Videoerzeuger und Choreografen gerne fragen. Ihre Welt ist in Pixel zerstoben, Kohärenz darf hier niemand mehr erwarten. Bühnenhintergründe morphen in perfekter Projektionstechnik von grünem Dickicht in zerbombte Städte, von Mondlandschaften hin zu Vogelschwärmen, die schwarz wimmelnd eine ohnehin nur sehr ausgespart erhellte Bühne weiter verdunkeln. Fährt irgendetwas vom Schnürboden herab, dann nur, um noch ein paar Bildpunkte mehr auf eine andere Materialoberfläche zu werfen.

Die dazu verdammt sind, sich durch diese Bühnenräume zu schleppen, sehen alle aus wie Wolpertinger, ob Nibelung oder Gott: Assemblagen von Fellteilen und Flügeln umspannen umfassend bewegungshemmend ihre finstere Tracht. Doch vom Fleck kommt hier ohnehin niemand, selbst wenn er Tänzer ist. Was sich ein profilierter Choreograf wie Sidi Larbi Cherkaoui zuzuliefern getraut, ist verstörend. Seine fünf Tänzer dürfen als Projektionsfläche für den Drachen ein bisschen mit Bettlaken wedeln, danach umringen sie Siegfried zum Schwertertanz und bilden dabei einen einwandfreien Davidstern. Der amerikanische Kulturwissenschaftler und Gastdramaturg Michael P. Steinberg ist sich sicher: Hier entsteht „ein Ring für das 21. Jahrhundert“. Zumindest was die Datierung angeht, kann man ihm da nicht widersprechen.

Leider lässt sich nicht behaupten, dass sich an Cassiers’ dürftig arrangierter Bühnenwüstenei die Phantasie der Sänger entzündet. Halt- und heimatlos stehen sie da, in jeder Hinsicht. Waren beim „Rheingold“ und in der „Walküre“ noch ehemalige oder aktive Ensemblemitglieder zu erleben, lebt „Siegfried“ allein von Leiharbeit. Lance Ryan ist dabei, der Siegfried des Augenblicks, der anders als Klaus Florian Voigt als Lohengrin keine unmittelbar zwingende stimmliche Verschmelzung mit seiner Rolle mitbringt. Zu Beginn ringt er im Duell mit Peter Bronders gnatzigem Mime um Prägnanz und Vorherrschaft zwischen diesen recht eng beieinander liegenden Tenorstimmen, flüchtet sich dann dankbar ins Schmiedelied und arbeitet sich konditionsstark, wenn auch nicht immer geschmackssicher durch den sich dehnenden Abend. Dem Wanderer von Juhu Uusitalo bleibt unterwegs immer mal kurz die Luft weg, Johannes Martin Kränzles scharfkantiger Alberich ist dafür viel zu gerissen, während Iréne Theorin als forciert tremolierende Brünnhilde vermuten lässt, dass sie lange auf ihrem feuerumtosten Walkürenfelsen geschlafen haben muss.

Und wo steckt Barenboim, was fördert er aus dem Tiefen seines Orchestergrabens zutage? Er lässt viel laufen, nimmt oft die Rolle des ersten Zuhörers seiner Staatskapelle ein. Sein mitunter gefürchtetes gewaltvolles Dreinfahren liegt ihm hier plötzlich ganz fern, die Tempi werden langsamer. Manches klingt wunderbar zart, fast schon liebevoll dekonstruiert – aber auch dem dramatischen Geschehen abgewandt, wie mit dem Rücken zur Bühne musiziert. An diesem Abend nimmt Barenboim mehr von seiner Staatskapelle als er ihr wiedergibt. Intakte Beziehungen halten das aus, eine Zeit lang.

Nächste Vorstellungen von „Siegfried“ am 6. und 10.10. „Götterdämmerung“ hat am 3.3.2013 Premiere, der erste neue „Ring“-Zyklus ist im Rahmen der Festtage der Staatsoper am 23., 24., 27. und 31. März 2013 zu sehen.

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