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Und jetzt alle. Sebastian Grünewald, Emma Rönnebeck, Mathis Reinhardt, Lina Mareike Wolfram, Malick Bauer, Katja Gaudard, Zenghao Yang, Sebastian Ryser, Amal Keller, Peter Jordan, Paula Kober (von links nach rechts) formieren sich zum Chor.

© Julian Röder

Premiere an der Volksbühne: Partyvolk und Pufferzonen

Clowneske Rampenduelle: Claudia Bauer inszeniert an der Berliner Volksbühne mit überdrehtem Humor Heiner Müllers „Germania“.

Es sieht nicht gut aus, das Partyvolk, das sich da in einer „Wohnung in Frankenberg/Sachsen“ mit Couch und dominanter Lederphallus-Dekoration eingefunden hat. Die Regisseurin Claudia Bauer hat es für ihren Heiner-Müller-Abend „Germania“ in der Berliner Volksbühne in aufblasbare grüne Ganzkörperanzüge gesteckt: Ein Feier-Trupp mit dem Charme und Phlegma handelsüblicher Wasserbälle.

Und wenn Schauspielerinnen und Schauspieler wie Emma Rönnebeck, Paula Kober, Amal Keller oder Peter Jordan einander immer wieder die persönliche Pufferzone streitig machen, hat das durchaus Unterhaltungswert.

Natürlich ist die Optik auf Augenhöhe mit dem Gesprächsgegenstand: Der Smalltalk, der hier über den imaginären Partytresen geht, hat eine dicke Patina-Schicht. „Meinen Lebensabend werde ich hier nicht verbringen, in eurem Arbeiter- und Bauernstaat“, spricht da etwa Malick Bauer als Architekt aus längst vergessenen realsozialistischen Zeiten in die Genossen-Runde. Er lässt keinen Zweifel daran, dass diese Form der Stadtplanung klaftertief unter seiner Berufswürde liegt: „Weißt du, wie der Volksmund eure Wohnungen nennt? Arbeiterschließfächer!“

An anderer Stelle sprach der Dramatiker Heiner Müller in diesem Zusammenhang bekanntlich auch von „Fickzellen mit Fernheizung“. Eine Reverenz an diese Perlen des DDR-Wohnungsbaus hat der Bühnenbildner Andreas Auerbach denn auch für Bauers Dreistünder in die Volksbühne gebaut: von vorn eine riesige Mehrzweckfassade mit viel Raum für Projektionen und Live-Kamera-Übertragungen, von hinten das mal mehr, mal weniger pralle Zellen-Innenleben für wechselnde Szenen aus dem deutsch-deutschen (Kleinbürger-)Geist, der immer wieder zur Gegenwart aufschließt. Neben dem containerartigen Bau mit Bert-Neumann-Anleihen begleitet ein stattliches Live-Orchester das Geschehen: Hier soll, so das unmissverständliche Signal, in jeder Hinsicht Großformatiges stattfinden.

Die beiden Texte, die Regisseurin Claudia Bauer an diesem Abend an der Volksbühne ineinander schneidet, sind in größerem zeitlichen Abstand entstanden. „Germania Tod in Berlin“ – 1978 in München uraufgeführt – bespiegelt zentrale Ereignisse aus den Anfangsjahren der DDR wie den Arbeiteraufstand vom 17. Juni 1953 nebst bundesrepublikanischer Geschichte auf historischer Folie; von den „Nibelungen“ bis zur Schlacht von Stalingrad. Das 1996 in Bochum herausgekommene und Fragment gebliebene „Germania 3 Gespenster am toten Mann“ betrachtet hingegen sein Sujet viele Jahre und einen Systemwechsel später aus der Nach-Mauerfall-Perspektive.

Goebbels bringt einen „Contergan-Wolf“ zur Welt

Es ist bemerkenswert, dass sich Bauer der Herausforderung stellt, mit diesen „Germania“-Stücken weiträumig über die Gegenwart zu erzählen – gerade nicht als reine Aktualitätsfläche, sondern aus deren Gewordensein heraus. Denn Müllers von historischem Bewusstsein und symbolistischen Verdichtungen getragene Texte klingen für heutige, tendenziell auf Gegenwart gepolte Ohren ziemlich fremd.

In einem Schlüssel-Part aus „Germania Tod in Berlin“ presst ein hochschwangerer Goebbels an der Seite eines Benzinrationen verwaltenden Hitler sowie der „Heiligen Drei aus dem Abendland“, der West-Alliierten, unter entsprechenden Geburtswehen einen „Contergan-Wolf“ aus sich heraus: eine szenische Groteske auf die Entstehung der Bundesrepublik. Dafür braucht man wirklich gute Umsetzungsideen.

[Nächste Vorstellungen am heutigen Samstag sowie am 31. 10., 10./16. 11. ]

Die Regisseurin Claudia Bauer betont die Groteske, setzt auf Überdrehungshumor als Mittel zur Freilegung des deprimierenden Kerns. In Sportdress und Tüllrock liefern sich Schauspieler clowneske Rampenduelle, werden Arbeiterinnen und Arbeiter aus untergegangenen Systemen in quietschbunten Videoprojektionen gegenwartsfit gemacht, tauchen die Gespenster der Vergangenheit als Puppen auf.

Damit gelingt der Regisseurin einerseits etwas, womit gegenwärtige Müller-Inszenierungen schwer zu kämpfen haben – nämlich eine weitgehende Entpathetisierung. Gemessen an vielen anderen Müller-Abenden klingt „Germania“ in der Volksbühne tatsächlich vergleichsweise heutig. Das muss man bei einem Vokabular um Normerhöhung oder die parteiintern geforderte Positionierung zum „Genossen Stalin“ erst einmal schaffen.

Der Preis dafür besteht allerdings darin, dass dieser Sound kaum Differenzierung kennt. So rauscht der Abend als düster-groteske Historien-Schlaglichtabfolge über die Volksbühne. Mit hohem Regieideen-Aufkommen, aber ohne neuen Erkenntniswert.

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