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Steckenpferd. Das Ensemble von „Gefährten“ am Theater des Westens: Von links Vater Ted Narracott (Heinz Hoenig), Mutter Rose (Silke Geertz), Sohn Albert (Philipp Lind) und Pferd Joey. Foto: Stage Entertainmentnent/Morris Mac Matzen

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Premiere in Berlin: Krieg ist ein Ponyhof

Schlachtengemälde: Das international erfolgreiche Theaterspektakel „Gefährten“ läuft ab jetzt im Theater des Westens.

Der Krieg glänzt schwarz wie Kohle, ist hart und piekst. Zumindest wenn man seinen Schauplatz befühlt, den mit Schlacke überzogenen Bühnenboden und die durch den Saal hinaufführende Rampe. So greift der Schützengraben nach dem Publikum und droht: Der Urschlacht namens Erster Weltkrieg kann keiner entkommen.

Hach, ist das Fohlen süß, das da auf staksigen Beinchen auf Englands grünen Hügeln steht und in den vogelschwirrenden Morgen schnaubt. Nur dass Puppenspieler die auf Stecken applizierten Schwalben schwenken, das Pferdchen aus Holz, Rattan, Leder und Aluminium gebaut ist und die Hügel nur als Schwarz-Weiß-Zeichnung auf der im Bühnenhintergrund hängenden Projektionsfläche existieren. Ein im Jahr 1912 in Devon spielendes britisches Vorkriegsidyll, das trotzdem, nein, gerade wegen seiner Künstlichkeit funktioniert.

Das international erfolgreiche Theaterspektakel „Gefährten“ ist am Wochenende in Berlin im Theater des Westens angekommen. Aus London importiert vom Unterhaltungskonzern Stage Entertainment, der inhaltlich und formal mit der englischen Pferdepuppensaga im Land des einstigen Kriegsgegners Deutschland durchaus was riskiert. Zumal das Theater an der Kantstraße seit 35 Jahren auf Musiktheater abonniert ist und „Gefährten“ zwar musikalisch untermalt, aber eindeutig Sprechtheater ist. Und auch sonst fällt es in jeder Hinsicht sperriger aus als die im Sommer abgespielte Show „Tanz der Vampire“. Und auch hier geschieht das Wunder, dass künstliche Pferde nicht nur die besseren Menschen, sondern auch echter als wirkliche Schauspieler sind.

Was allerdings nicht nur an der visuell beeindruckenden Ästhetik von „War Horse“ liegt, wie das Stück im Original heißt, sondern daran, das es eine einfache, plakative Geschichte erzählt. Gespielt von Typen, nicht von komplexen Charakteren. Weswegen vom Ensemble niemand groß schauspielerisch punktet.

Die Romanvorlage für das 2007 vom National Theatre London uraufgeführte und seither in den USA, in Australien und Kanada gezeigte Stück stammt von Michael Morpurgo, einem vielfach ausgezeichneten britischen Jugendbuchautor. Morpurgo ist ein Philanthrop, der im heimischen Devon eine gemeinnützige Farm gründete, auf der zerrüttete Stadtkinder die heilenden Kräfte des Landlebens kennenlernen können. So ein Mann kennt im Krieg nur Opfer, keine Täter und spiegelt Menschenleid ohne Arg im Leid der unschuldig von Menschen geschundenen Kreatur. So auch zu sehen in Steven Spielbergs rührseliger Hollywood-Adaption, die vergangenes Jahr sehr schnell wieder aus den deutschen Kinos verschwand.

Die deutsche Bühnenfassung hat John von Düffel geschrieben, der für Stage Entertainment bereits als Librettist von „Der Schuh des Manitu“ gewirkt hat. Seine Geschichte von Joey, dem fuchsfarbener Vollbluthengst, der vom Bauernsohn Albert (Philipp Lind) innigst geliebt und sorgsam aufgezogen wird, fällt im Prinzip unverändert aus. Genauso wie im Londoner Westend, wo der Publikumsrenner „War Horse“ nun im New London Theatre vor Pferde liebenden Schulmädchen und ergriffenen Veteranen läuft, verkauft Alberts versoffener Vater Ted (Heinz Hoenig) Joey an die Kavallerie, die 1914 auf die französischen Schlachtfelder zieht. Albert folgt, um sein Pferd zu suchen, das wechselnden Herren und Kriegsparteien dient und sich im Stacheldraht des Stellungskrieges verfängt.

Doch die Deutschen, die im Original, trotz zweier positiv gezeichneter Figuren natürlich die bösen Kriegsgegner sind, fallen im Theater des Westens durch verstärkte Präsenz und kriegskritische, ja fast schon pazifistische Töne auf. Die schöne Färbung der Originalproduktion durch britische Dialekte und die in ihren jeweiligen Landessprachen redenden Soldaten ist in der deutschen Fassung futsch. Auch der Songman mit dem Akkordeon, der Joeys Katharsis nach Art altenglischer Volkssänger kommentiert, ist jetzt ein Barde, der Balladen auf Deutsch singt.

Die Tragödie der Kriegspferde beruht auf Tatsachen: Der Erste Weltkrieg kostete 10 Millionen Menschen und 8 Millionen Pferden das Leben. Doppelt so viele wurden an allen Fronten eingesetzt. Zum Kämpfen, zum Verwundetentransport, zum Kanonenziehen. Erstaunlich, wie gelungen die Figuren der Handspring Puppet Company in Materialmix und Bewegungsästhetik den teils altmodisch, teils hochindustriell geführten Ersten Weltkrieg zitieren. Jeweils drei Puppenspieler bewegen ein Pferd, bei den Schlachtfeldkrähen oder der Farmgans reicht einer. Noch erstaunlicher, wie schnell man die Spieler vergisst. Das ist der abstrakte Zauber des Figurentheaters, das tote Materie lebendig werden lässt. Die Grazie des Gliederwesens ohne Bewusstsein, von dem Heinrich von Kleist in seinem Aufsatz über das Marionettentheater spricht.

Wichtiger als die Licht- und Soundeffekte der gut zweistündigen Aufführung, als die Tweedkostüme, Ledergamaschen und Uniformen, wichtiger als jeder Dialog ist der Atem der Puppen. Die rasselnden Pferdelungen, die sich hebenden und senkenden Brustkörbe. Atem ist Leben. Und das wird nirgends deutlicher als im Krieg, für den „Gefährten“ gerade in der Abstraktion der leeren, von maximal 20 mit wenigen, transportablen Requisiten bewehrten Darstellern immer wieder gute Bilder findet. Verglichen mit der Weite der halbrunden Amphitheater-ähnlichen Londoner Spielstätte könnten sie allerdings größer sein. Im Guckkasten des Theater des Westens wirkt das Kriegspanorama, bei dem zum Schrecken von Joey auch ein ratternder Panzer auftaucht, doch reichlich zusammengestaucht. Dafür ist der Raum intimer und der Arm im hohlen Bauch des süßen Fohlens in den ersten Reihen schön zu sehen.

Als Kulturpartner der Produktion hat die Stage das Deutsche Historische Museum gewonnen, das „Gefährten“ mit Themenführungen und Begleitmaterialien für Kinder zum Ersten Weltkrieg und zu Pferden an der Front flankiert. Überhaupt läuft die Maschinerie zum Großgedenkjahr bereits auf vollen Touren. Ausstellungen laufen an (siehe Tsp vom 20.10.), ZDF und ORF drehen den „Event“-Fernsehfilm „Sarajevo“, Christopher Clarks Buch über den Kriegsbeginn, „Die Schlafwandler“, führt die Bestsellerlisten an. Da fügt sich kinderkompatibles Eventtheater mit Antikriegsappeal bestens ein. Nicht lange und der Erste Weltkrieg nimmt im deutschen – bislang mehr auf den Zweiten Weltkrieg fokussierten Gedächtnis – womöglich einen ebenso großen Stellenwert wie im britischen ein. Dann haben Pferdepuppen ihren guten Teil dazu beigetragen.

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