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Szene aus "Schnee".

© Gorki / Uta Langkafel

Premiere: "Schnee" am Gorki Theater: Im Clash der Religionen

Eine Adaption von Orhan Pamuks Roman „Schnee“ am Berliner Maxim Gorki Theater spielt die Islamisierung des Abendlandes durch. Regisseur Hakan Savaş Mica spürt den sozialen Bedingungen nach, die in die Radikalisierung führen.

Gewieft sind sie. Echte Rattenfänger eben. Die Islamisten ziehen von Tür zu Tür und schenken den Frauen Saftpressen und Waschmittel. Den Kindern heften sie Goldstücke an. Kein Wunder, dass selbst die Müllers und Schmidts dieser sinistren Charme-Offensive erlegen und mit fliegenden Fahnen konvertiert sind. Hurra, wir kapitulieren. „Beim letzten Schützenfest“, ächzt der Journalist und Bürgermeisterkandidat Herbert, „ist ein Moslem Schützenkönig geworden. In einem ‚Allah Loves You’-T-Shirt hat er die Scheibe an sein Haus genagelt. Na ja, schießen können die gut“.

Aus der Schwimmhalle soll eine Moschee werden. Und die Frauen verhüllen sich massenhaft. Herbert und eine Restschar gleichgesinnter wackerer Christenmenschen scheinen dagegen mit der Losung „Freies Haar für freie Bürger“ auf verlorenem Posten zu stehen. Der Horror der Islamisierung des Abendlandes ist Realität geworden.

Ein ins Absurde überspitztes Szenario, das sich der Theatermacher Hakan Savaş Mican schon viele Jahre vor Michel Houellebecq ausgedacht hat. Wo der Franzose in „Unterwerfung“ über den muslimischen Siegeszug mitten in Europa phantasiert, entwirft Mican eine durchaus verwandte Schlacht der Ideologien in einem fiktiven deutschen Städtchen namens Karsberg. Frei nach Motiven des Romans „Schnee“ von Orhan Pamuk. Der türkische Nobelpreisträger erzählt in diesem 2002 veröffentlichten Roman vom Dichter Ka, der nach Jahren im Frankfurter Exil nach Ostanatolien reist, wo sich eine Suizidserie unter jungen Kopftuchträgerinnen ereignet hat. Mächtig schwelen hier die Spannungen zwischen Islamisten, Lokalpolitikern, Kemalisten, Exkommunisten, Militärs und Koranschülern. Und um die Eskalation zu forcieren, schottet Pamuk die Stadt Kars auch noch per Schneefall von der Außenwelt ab.

Mican verlegte die Geschichte nach Deutschland

Sehr türkeispezifisch, diese weltanschauliche Konfliktlage. Als Mican den Stoff 2010 erstmals fürs Ballhaus Naunynstraße adaptiert hat, entschied er sich deshalb dafür, die Geschichte nach Deutschland zu verlegen. Damals noch frisch unter dem Eindruck der Sarrazin-Debatte.

Inzwischen ist die Welt leider nicht zur Vernunft gekommen. Die Neuinszenierung von „Schnee“, die Mican jetzt am Gorki Theater unternommen hat, ist im Gegenteil durchdrungen vom Nachhall des Charlie-Hebdo-Attentats und des Pegida-Geschreis. Entsprechend musste Mican an seiner Fassung nichts Grundlegendes ändern, sie ist nur an einigen Stellen entstaubt und aufgefrischt. Mehmet Yilmaz spielt wie damals Ka, einen Mann im weißen Trenchcoat zwischen allen Stühlen, der wegen seiner frisch geschiedenen Jugendliebe Seide (Lea Draeger) nach Karsberg reist. Dort tobt längst ein veritabler Bürgerkrieg zwischen dem wortgewandten Islamistenführer Grün (Dejan Bucin) und dem patriotischen Europäer Herbert (Godehard Giese), der sich mit seiner Bewegung „Freies Karsberg“ zum Gralshüter der Aufklärung stilisiert und die örtliche Schwimmhalle zu verteidigen versucht: „Von unserem Zehnmeterbrett ruft kein Muezzin!“

Die Gutgläubigen bleiben auf der Strecke

Auf der Strecke bleiben in diesen Grabenkämpfen die Gutgläubigen. Wie der junge Koranschüler Johann (großartig: Nora Abdel-Maksoud), der in einer der besten Szenen von einem Brandanschlag erzählt, dessen Opfer er wurde. Ein Ausweg aus diesem Gegeneinander scheint fern. Was auch die Bühne von Magda Willi versinnbildlicht. Die besteht nur aus einem gewaltigen schwarzen Quader, der sich im Laufe des Abends immer tiefer senkt, bis die Spieler sich schließlich nicht mal mehr darunter durchquetschen können.

Regisseur Mican wahrt das Poetisch-Absurde, das seine Pamuk-Inszenierung schon im Ballhaus Naunynstraße ausgezeichnet hat. Ihm liegt nicht daran, sich auf irgendeine Seite zu schlagen in diesem Clash der Religionen. Er will stattdessen den sozialen Bedingungen nachspüren, die in die Radikalisierung führen. Anders als noch im Ballhaus wirkt dieser Versuch im Gorki allerdings seltsam brav und richtungslos. Deutschtümelei gegen Islamisten-Hetze, eine böse Biedermann-Polonäse, dazu die ins Leere laufende Liebesgeschichte zwischen Ka und Seide – alles gut inszeniert, bloß spiegelt sich das Ausmaß des realen Irrsinns darin nicht mehr. Eher wirkt der Abend wie ein Schneeball, der gegen einen Flächenbrand geschleudert wird.
wieder Sa 16. und Mi 20. Mai, jeweils um 19.30 Uhr

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