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Wilhelm-Karl Prinz von Preußen (r) erhielt im März 2001 in Hannover von Niedersachsens Ministerpräsident Sigmar Gabriel das Große Verdienstkreuz mit Stern. Es wurde ihm für seine Verdienste um den Aufbau des Johanniterordens in den neuen Bundesländern und seinen Beitrag zur Völkerverständigung. dpa

© dpa-Bildfunk

Preußentum: Iring Fetscher über eine Begegnung mit einem Prinzen

Eine Erinnerung an Prinz Wilhelm Karl von Preußen / Von Iring Fetscher

Anfang 1944 begegnete ich im Reitstall des Artillerieregiments 23 in Potsdam einem Zivilisten in Reitkleidung. Ich stellte mich vor und erhielt zur Antwort „Preußen“. Offenbar handelte es sich um ein Mitglied der hohenzollerischen Familie. Erst viel später erfuhr ich, dass es sich um Wilhelm Karl handelte, den einzigen Angehörigen des Herrscherhauses, der in einem Artillerieregiment diente. Der Tradition entsprechend waren die jüngsten Söhne sowohl Artilleristen als auch Herrenmeister des Johanniterordens. Der Prinz war soeben aus der Wehrmacht verabschiedet worden, weil die Nazibehörden seiner Familie „wegen internationaler Versippung“ nicht trauten. Der entlassene Offizier fühlte sich gekränkt, weil man ihm offenbar Unzuverlässigkeit unterstellt hatte. Der Kommandeur der Ersatzabteilung erlaubte ihm aber wenigstens, am Reiten in der Halle und im Gelände – mit anderen Offizieren – teilzunehmen. So lernte ich den glänzenden Reiter damals kurze Zeit kennen.

Viele Jahre später – als die Sowjetherrschaft beendet war – nahm ich Kontakt mit einem kleinen ukrainischen Dorf auf, dessen Ortskommandant ich im Frühjahr 1943 einige Wochen lang gewesen war. Ich schrieb an den Ortsvorsteher von Sareschnoje, der mich daraufhin einlud, das Dorf zu besuchen. Auf meine Frage, wie ich den Dorfbewohnern eine Freude machen könne, erhielt ich zur Antwort: Am liebsten hätten wir einen motorisierten Krankenwagen. Das Dorf hatte keinen eigenen Arzt, und bei schweren Krankheiten oder Unfällen musste erst ein Wagen aus dem 30 Kilometer entfernten Charkow herbeigerufen werden. Darüber konnte so viel Zeit vergehen, dass es für die Leidenden oft zu spät war. Nur wenn es vor Ort einen Krankenwagen gäbe, würde sich das ändern. Wie aber sollte ich den beschaffen?

Da kam mir ein glücklicher Zufall zu Hilfe. Der aus den USA heimgekehrte Thomas-Mann-Forscher Klaus Jonas, mit dem ich korrespondiert hatte, teilte mir mit, bei meiner Begegnung in Potsdam habe es sich um Prinz Wilhelm Karl gehandelt, mit dem seine Familie gut bekannt gewesen sei. Als Herrenmeister des Johanniterordens könne er mir vielleicht bei der Beschaffung eines Krankenwagens behilflich sein. So begann ich 1998, wieder Kontakt zu meinem Reiterkameraden aus dem Jahr 1944 aufzunehmen. Wir erzählten uns gegenseitig unser Leben, und Prinz Wilhelm Karl berichtete mir, dass die Amerikaner ihn – obgleich er Zivilist und Landwirt in Ausbildung war – seines Namens wegen verhaftet hatten und nach Frankreich deportieren wollten. Es gelang ihm aber, auf dem Weg dorthin aus dem Bahnwagen zu entkommen und in Münster bei Erzbischof Graf Galen, der ihn „rührend aufnahm und beriet“, unterzukommen. Von Münster aus kehrte er zu Fuß in sein Elternhaus zurück.

Die Aufnahme eines Studiums in Göttingen verhinderten britische Besatzungsoffiziere wiederum aufgrund seines Namens. So blieb ihm denn nichts anderes übrig, als – wie er selbstironisch schrieb – „ein mehr oder minder begnadeter Kaufmann“ zu werden. Mit dem Sohn des Unternehmensgründers leitete er bis zu seiner Pensionierung einen kleinen Betrieb in Holzminden, der seither zu einer weltweit tätigen Firma geworden ist.

Durch seine Fürsprache bei der Johanniter Unfallhilfe gelang es Prinz Wilhelm Karl, mir 2003 einen gut instandgesetzten Krankenwagen zu beschaffen, den Fahrer der Unfallhilfe von Frankfurt an der Oder bis an die ukrainische Westgrenze brachten, wo ihn der Ortsvorsteher von Saroschnoje abholte. Kurz darauf fuhr ich zusammen mit meiner Frau selbst dorthin und konnte in einer schönen Zeremonie offiziell den Schlüssel des Kraftfahrzeugs überreichen. Prinz Wilhelm Karl hatte mich gebeten, seinen Namen zu verschweigen und zu erklären, „ein Freund“ habe mir zu dem Fahrzeug verholfen. Jetzt, nach seinem Ableben, muss ich diese schöne Tat nicht länger verschweigen und kann sie endlich öffentlich bekanntgeben. Über die Berichte in ukrainischen Zeitungen und im Fernsehen, deren Übersetzung ich an ihn weiterleitete, hat sich Prinz Wilhelm Karl aufrichtig gefreut. Ich gedenke seiner in dankbarer Bewunderung für sein mit gelassener Würde ertragenes schweres und trotz aller Schicksalsschläge erfolgreiches Leben.

Iring Fetscher, geboren 1922, ist Politologe und lehrte in Frankfurt / Main. – Für den Ostermontag gestorbenen Prinzen Wilhelm Karl findet am Donnerstag, 14 Uhr, eine Trauerfeier im Berliner Dom statt.

Iring Fetscher

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