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Vor den Vätern sterben die Söhne. August Diehl als Prinz und Peter Simonischek als Kurfürst. Foto: Uwe Lein, dapd

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Kultur: Preußischer Totentanz

Salzburger Festspiele: Andrea Breths seziert Kleists „Prinz Friedrich von Homburg“.

„Träum ich? Wach ich? Leb ich? Bin ich bei Sinnen?“ Das ist die Grundfrage des Kleist’schen Prinzen von Homburg. Und sein Erwachen wird ihn töten. In einer Welt, die sich als realer Albtraum entpuppt: Es herrscht Krieg. Der Kampf hat das Schlachtfeld gegnerischer Nationen längst verlassen, nistet sich ein in den Seelen der Menschen.

Als „Totentanz“ bezeichnete Regisseurin Andrea Breth Heinrich von Kleists Schauspiel „Prinz Friedrich von Homburg“ von 1811, das als Koproduktion mit dem Burgtheater zum Auftakt des Schauspielprogramms unter der neuen Leitung von Sven Eric Bechtolf Premiere bei den Salzburger Festspielen hatte. Breth löscht in ihrer beklemmend düsteren und gleichermaßen bestechend hellsichtigen Inszenierung jeden Funken romantischer Träumerei im Drama um den somnambulen Helden. Ihr Blick ist ernüchternd und macht nicht nur den durch gezielte Manipulation gespeisten Seelenkonflikt des Helden deutlich, sondern auch seine tödliche Verstrickung in die realen Machtspiele am Hof des Herrschers Friedrich Wilhelm, Kurfürst von Brandenburg.

Anstelle eines „Gartens im altfranzösischen Stil“, wie es in Kleists erster Szene heißt, in dessen Hintergrund das Schloss Fehrbellin zu sehen sein sollte, dominiert die Bühne Martin Zehetgrubers im Salzburger Landestheater ein gleißend hell erleuchtetes Versuchslabor, das im Hintergrund von kriegerisch geschändeter Natur begrenzt wird: einem düsteren Wald aus verkohlten Baumstümpfen, den Nebelschwaden durchziehen. Wie auf einem Gemälde Caspar David Friedrichs tasten sich dunkle Gestalten mit Sturmlampen durch eine mondlose Nacht, um den Träumenden lauernd zu umstellen.

Wie ein gefangenes Tier sitzt August Diehl in einem aseptisch weißen, mit Plexiglasplatten streng geometrisch gekachelten Raum – wie auf einem Seziertisch. Die Augen starr aufgerissen, den Blick nach innen gerichtet, den Mund weit geöffnet, flicht er sitzend seinen Lorbeerkranz, ehe er, wie in Trance, Peter Simonischeks Kurfürsten mit der Hand ins Gesicht tappt und „Mein Vater“ murmelt. Er greift nach der Halskette des Herrschers ebenso wie nach dem Handschuh der Prinzessin, die dem Traumwandler zum perfiden Test gereicht werden.

„Ins Nichts mit dir zurück!“, ist die erboste Antwort seines Fürsten: die kriegerische Losung im Vater-Sohn-Konflikt vor dem Hintergrund der historischen Schlacht von Fehrbellin im Jahr 1675. August Diehl ist kein zwischen Vernunft und Gefühl euphorisch hadernder, kein melancholischer Jüngling, dem die Liebe zur Prinzessin glühend Leben einhaucht. Sein Prinz mit dem fahlen Gesicht, den wirr abstehenden Haaren und dem fahrigen Blick ist von Beginn an ein Gebrochener, taumelnd zwischen manischen und depressiven Schüben, zwischen Überlebenskampf und Todessehnsucht. Angstdurchzuckt krümmt sich sein Körper beim Kanonendonner des Schlachtfelds, um im nächsten Moment wie rasend seine Zähne in den Hals eines Offiziers zu schlagen: Blut färbt seine Lippen, als er, entgegen der fürstlichen Order, den Schlachtbefehl zum Angriff gibt.

Ein kalter Stratege, eitel und machtgesättigt, so zeigt sich Peter Simonischek. Brutal presst er seinen prallen Leib an die zarte Gestalt der Prinzessin, fasst ihren Kopf, um ihr einen langen Kuss aufzunötigen: der Preis für die Begnadigung des Prinzen. War sein als Erziehungsmaßnahme getarntes Todesurteil wegen der Befehlsverweigerung des Prinzen doch nur der Gipfel im Kampf um Machterhalt, der auch die Verfügungsgewalt über die Frauen beinhaltet. Pauline Knofs Natalie lässt es steif mit sich geschehen, als wäre es nicht das erste Mal. Angeekelt wischt sie sich rasch mit dem Handrücken über den Mund.

Sie ist – neben dem Kottwitz von Hans-Michael Rehberg – die Einzige in diesem Machtgehege aus devoten Generälen, einem intriganten Graf Hohenzollern (Roland Koch) und einer in preußisch strammer Haltung versteinerten Kurfürstin (Andrea Clausen), die zunehmend an emanzipatorischer Haltung gewinnt. Als sie der Prinz, erstarrt im trotzigen Überlebenskampf mit dem fürstlichen Übervater, verstößt, erkennt sie in seiner Entscheidung, „freiwillig“ in den Tod zu gehen und sich dem Kriegsrecht zu beugen, jenen zarten Moment von Handlungsfreiheit, der ihn aus seinen realen und damit auch seelischen Verstrickungen lösen könnte.

In einem schlichten, langen Kleid aus schwarzem Samt – Moidele Bickel entwarf die dezent historisierenden Kostüme – beugt sie sich zart über den Prinzen, küsst ihn, birgt ihn in ihrem Schoss, gleich einer Pietà, die das Ende metaphorisch vorwegnimmt: Im eigenständigen Handeln werden die Kinder erwachsen.

Andrea Breth inszeniert ihren sprachlich und gestisch detailliert gearbeiteten, beklemmenden Totentanz als eine strenge Folge aus gleißend hellen und nachtschwarzen Szenen, unterbrochen durch scharfe Black-Cuts. Begleitet von den düsteren Sounds Bert Wredes, die akustisch das unheimliche, stete Belauertsein in einem Machtgefüge unterstreichen, gelingt es Andrea Breth, die zeitlosen Zwangsmechanismen im familiären und gesellschaftspolitischen Gefüge sichtbar zu machen.

So werden Menschen vernichtet: Denn die Begnadigung des Fürsten ist keine Erlösung. Als er die perfiden Ränkespiele durchschaut, endet bei Breth die Ohnmacht des Prinzen tödlich. Des anrührend liebevollen Kottwitz’ Frage „Ein Traum, was sonst?“ schwebt als Menetekel über der verlöschenden Szenerie.

Christina Kaindl-Hönig

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