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Kultur: Priester des exotischen Kults

In Goethes "Faust" ist Mephistopheles die beherrschende Gestalt und die bessere Rolle - das hat die Bühnenpraxis längst erwiesen.Seine verknappte Faust-Version, die der Choreograph Ismael Ivo zusammen mit dem Regisseur Marcio Aurelio erarbeitet hat, und die nun an Weimars Nationaltheater ihre Uraufführung erlebte, konzentriert sich vollends auf Mephisto, verkörpert von dem Afrobrasilianer selbst.

Von Sandra Luzina

In Goethes "Faust" ist Mephistopheles die beherrschende Gestalt und die bessere Rolle - das hat die Bühnenpraxis längst erwiesen.Seine verknappte Faust-Version, die der Choreograph Ismael Ivo zusammen mit dem Regisseur Marcio Aurelio erarbeitet hat, und die nun an Weimars Nationaltheater ihre Uraufführung erlebte, konzentriert sich vollends auf Mephisto, verkörpert von dem Afrobrasilianer selbst.In der Galerie der "Faust"-Bearbeitungen, die im Goethejahr in der Kulturstadt Europas 1999 zur Aufführung kommen, wird dieser "Mephisto" sicherlich herausragen als ein multikultureller Teufelskerl, dessen dämonisches Treiben sich mit unterschiedlichen Attributen schmückt.Die Stimmkünstlerin Diamanda Galas beschwört in ihrer "Litanei des Satans" "den schönsten aller Engel".

Dieser Mephisto weiß sich einen glanzvollen Auftritt zu verschaffen.Auf hohen Sohlen schreitet er in einem prächtigen Purpurmantel einher, das mag der Zaubermantel sein, den Faust begehrt und den er sich später überstreifen wird.Mephisto, dem Verführer und Verderber, leiht Ismael Ivo eine Verführungskraft, die sich ganz aus dem Körperlichen speist.Faust ist ihm von Anfang an verfallen, und natürlich ist Mephisto sein Alter ego, die Nachtseite des Faust.Und die Figur des Welt- und Ichsuchers ist wiederum gespalten.Dem Grübler mit schlohweißem Haar wird ein Jüngling mit kahlgeschorenem Kopf gegenübergestellt.Die Musikcollage kombiniert Auszüge aus der "Mefistofele"-Oper des Verdi-Zeitgenossen Arrigo Boito mit dem bombastischen Sound einer Pop-Oper, und immer wieder erklingt brasilianische Trommelmusik.

Das Spiel zwischen Himmel und Hölle, das nun seinen Lauf nimmt, ist auch ein Clash unterschiedlicher Kulturen.Mephisto ist der Regisseur und Spielleiter mit der Trillerpfeife und Zigarre, obendrein ein hohnlachender Beobachter menschlichen Treibens, das unweigerlich zu schuldhafter Verstrickung führt.Die Inszenierung hält sich nicht damit auf, szenische Phantasmagorien auszuschmücken, konzentriert sich statt dessen auf das Gretchen- und das Helena-Spiel.Doch zuvor wird der Magier Mephisto eingeführt.Aus einer Zinkwanne, die später an einen Sarg erinnern wird, holt er ein Widdergeweih und andere Requisiten seines schwarzen Zaubers.Ivo mit nacktem Oberkörper ist der tanzende Priester, der sein Opfer umkreist.Die Verhexung wird zu einem immens körperlichen Vorgang, da fließen Blut und Speichel.Im Gretchen-Spiel erscheint Mephisto als lüsterner Verführer und Verderber, er lockt, neckt und fesselt die kindliche Maid mit ihren Stoffzöpfen, mit eindeutigen Berührungen entzündet er in der Unschuld die sexuelle Begierde.Gretchen, zwischen den beiden Fausts hin- und hergereicht, wird zum Spielball in einer Männerwelt.Der schuldig gewordenen Frau fallen dann Knochen groß wie die eines Mammutbabys aus dem blutbefleckten Gewand - auch der Kinds- und Muttermord verweist auf die Sphäre des Archaischen.Wenn sich Riccarda Herre wie eine verbogene Gliederpuppe über den Boden schleppt, ihre gespreizten Beine sich nicht mehr schließen wollen - das ist sehr eindringlich gestaltet.

Helena, das Ur- und Lockbild des Weiblichen, entsteigt dem Kühlschrank.Nicht das klassische Altertum wird hier herbeizitiert; als gelte es, die eurozentristische Sicht zu korrigieren, kommt Helena als brasilianische Schönheit auf nackten Sohlen daher, jede Faser ihres bemalten Körpers verspricht glühende Sinnlichkeit.Aus der Vereinigung von Faust und Helena geht ein militantes Monstrum hervor: der Sohn Euphorion ist ein Freischärler mit Maschinengewehr.Die Körper ineinander verknäult, rollen Faust und Mephisto am Ende über die Bühne.Wenn der Teufel seinen Antipoden tötet, erscheint er wie ein Opfer seiner eigenen Obsession.Und wenn er sich die Seele Fausts aneignen will, dann wirkt sein Zauber nicht mehr.Denn Faust zwo wird derweil von den Engeln gen Himmel geschickt.Ismael Ivo erzählt noch einmal von der Faszination des Dämonischen, am Ende weist er das Böse aber in seine Schranken - ob aus Heilsoptimismus oder aus Glaube an die Kraft des Guten, bleibt undeutlich.Ivo will das Seelen- und Ideendrama als körperlichen Vorgang darstellen, doch wirklich neu aufzuschließen vermag er den "Faust" damit nicht.Bei allem optischen Reiz ist das Spiel aus Anziehung und Abstoßung, aus Doppelung und Spaltung nur mäßig fesselnd.

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