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Hin oder her? Hamlet August Diehl hat’s schwer. Foto: APA/Herbert Neubauer

© picture alliance / HERBERT NEUBA

Kultur: Prinz Pathos

Weihevoll: Andrea Breth zelebriert am Wiener Burgtheater „Hamlet“ mit August Diehl.

Die Vieldeutigkeit „Hamlets“ ist ein offenes Geheimnis, das im Spiegel der jeweiligen Zeit Gestalt annimmt. Als präziser Analytiker der Macht und der menschlichen Psyche gleichermaßen eröffnet Shakespeare ein schillerndes Spektrum möglicher Interpretationen – vom Emanzipationsdrama bis zum Politkrimi – und fordert gerade in dieser Ambivalenz, den Blick zu schärfen auf den jeweiligen Schmerzpunkt der Epoche.

Riet der berühmte polnische Theaterwissenschaftler Jan Kott, Shakespeares „Hamlet“ – mit fast 4000 Versen seine längste Tragödie – nie ungekürzt zu spielen, so entzieht sich Regisseurin Andrea Breth dieser Empfehlung und zeigt das Stück am Wiener Burgtheater nun in voller Länge. Gehören eigentlich Tschechow, Kleist, Lessing und Schiller zu Breths favorisierten Dichtern, so widmete sie sich erstmals einer Tragödie Shakespeares und zelebriert diese in August Wilhelm Schlegels Übersetzung in sechs Stunden mit zwei Pausen: eine weihevolle Textexegese, die jedes Wort, jede Pause auf die Waagschale legt, so dass die beflissene Ehrfurcht vor Shakespeares Versen über die Interpretation triumphiert.

Dabei gäbe Martin Zehetgrubers metaphernreiche Drehbühne klug die Richtung vor: Schloss Helsingör entpuppt sich bei ihm als Schaltzentrale eines heutigen Machtpolitikers, dessen sterile, in rot-braunem Mahagoni getäfelte Büroräume sich stetig um ein durch Nieselregen vernebeltes Zentrum drehen: Hinter meterhohen Glasscheiben lauert ungezügelte Natur, ein Urwald aus wild wucherndem Schilf, der sich unmerklich in die Räume der Zivilisation ausbreitet. Ein sinnfälliges Bild für die zunehmende Gewalt in Shakespeares Tragödie ebenso wie für die Triebkraft des Unbewussten, erscheint doch in diesem Horror Vacui dem jungen Dänenprinzen der Geist seines ermordeten Vaters (Hans-Michael Rehberg in weißem Lendenschurz). Gleich einer Pietà liegt der alte König vor dem Sohn und fordert Vergeltung.

August Diehl ist Hamlet: Ein zarter Jüngling in legerem schwarzen Anzug (Kostüme: Moidele Bickel), dem das braune Haar ungezügelt übers bleiche Gesicht hängt. Trauernd in sich zusammengesunken, sitzt er abseits des Hofstaats in einem Konferenzraum. Zu seinen Füßen eine weiße Plastiktüte, lauscht er mit zunehmender Wachsamkeit den Reden des verhassten Onkels, König Claudius (Roland Koch): ein aalglatter Politfunktionär im weißen Anzug. Ungestüm wirft Hamlet den schmucklosen Bürosessel zur Seite, als ihm befohlen wird, am Hof zu bleiben. Später irrt er durch die dunklen Räume dieser modernen Machtzentrale wie durch einen surrealen Albtraum, in dem ihm der ermordete Vater in glänzender Rüstung erscheint.

Diehls Hamlet ist pubertär-trotzig und impulsiv in seiner fahrigen Unentschlossenheit. Mit hochgekrempeltem Hosenbein gibt er den Verrückten, stopft sich Buchseiten in den Mund oder mimt einen krächzenden Raben. Er umarmt Freund Horatio in warmer Zuneigung (Markus Meyer ist als vernünftiger Student mit Nickelbrille ein überzeugender Antipode), bespuckt Polonius (Udo Samel glänzend als wortflinker Bückling) und springt der Mutter an die Gurgel, bis ihr Lachen in blanke Panik kippt. Gerade noch hatte sie mit Claudius lüstern ein Würstchen verspeist, nun hängt sie schluchzend über der edlen Badewanne aus schwarzem Granit. Andrea Clausens Gertrud erschöpft sich in turtelnder Verliebtheit und heulender Klage. Beunruhigt folgen ihre Blicke Elisabeth Orths hohem Singsang, die mit langem weißem Haar eine plötzlich gealterte, entrückte Ophelia gibt, der zuvor Wiebke Mollenhauer als braves Töchterchen kaum Kontur verlieh. Neben dieser etwas skurrilen Doppelbesetzung interessiert sich Andrea Breth nur oberflächlich für das Beziehungsgeflecht am dänischen Königshof. Gelingt es ihr ansonsten oft bestechend eindringlich, die inneren Beweggründe der Figuren durch Sprachgenauigkeit vital zutage zu fördern, so bleibt „Hamlet“ seltsam blutleer.

Changierend zwischen Melancholie und Weltekel, Depression und Rachedurst, wäre Hamlets „wunderliches Wesen“ das Gravitationszentrum von Shakespeares Welttheater, dem eine präzise Zeitdramaturgie zugrunde liegt – getragen durch eine Sprache, der bei aller Gedankentiefe auch stets eine humorvolle Leichtfüßigkeit innewohnt. So bestimmt Hamlet den quälend trägen Rhythmus des Geschehens.

August Diehl spielt allzu pathetisch. Die Verse mit Nachdruck dehnend, greift er sich bei der Frage nach „Sein oder Nichtsein“ salbungsvoll ans Herz, ohne Shakespeares Kunstsprache gegenwärtige Klarheit zu verleihen. Diffus bleibt die innere Entwicklung seiner komplexen Figur, die sich weniger in sprachlichem Ausdruck als in deutlichen Gesten manifestiert, wenn er immer öfter seine zitternde rechte Hand umklammert, als könnte sie unkontrolliert töten. Erst am Grab Yoricks, den nahenden Tod erahnend, scheint Diehls Hamlet bei sich selbst angekommen zu sein: Mit hellem Bewusstsein, das Haar aus dem Gesicht gekämmt, erinnert er den alten Hofnarr und findet zu einer gelassenen Natürlichkeit seiner Sprache. Sie endet in Hamlets Todeskampf mit weit aufgerissenen Augen.

Bildet Breths „Hamlet“ den Kontrapunkt zu Matthias Hartmanns vergangener Saison am Burgtheater, die in der Auseinandersetzung mit österreichischen Klassikern wie etwa Raimunds „Alpenkönig“, Grillparzers „Ahnfrau“ und Nestroys „Talisman“ allzu sehr auf kurzweilige Unterhaltung setzte, so stehen zum 125-Jahr-Jubiläum des Hauses am Ring nun weitere große Tragödien auf dem Spielplan. Ein vielversprechender Ausblick, denn inszenieren werden unter anderen so erfahrene Regisseure wie Peter Stein (Shakespeares „König Lear“ mit Klaus Maria Brandauer), Dimiter Gotscheff (mit Becketts „Endspiel“) und Frank Castorf (mit Jahnns „Die Krönung Richards III.“).

Christina Kaindl-Hönig

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