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Auf der Datenautobahn. Der Whistleblower ist auf allen Bildschirmen präsent. Aber wo seine Reise hingeht, ist unklar.

© REUTERS

"Prism Whistleblower" Edward Snowden: Der spannendste Film des Jahres

Die Fantasie läuft hinterher: Der Fall Edward Snowden fühlt sich an wie ein Kinothriller in der Tradition von James Bond, Mission: Impossible oder Bourne Identity – und ist doch ganz anders.

Was ist der wichtigste Film des Jahres? Das wissen wir schon heute. Zwölf Minuten und 35 Sekunden kurz, technisch schmucklos, gedreht am 6. Juni in Hongkong, läuft er nicht im Kino, kostet keinen Eintritt und ist doch weltweit zugänglich. Auf Youtube wurde „Prism Whistleblower“ mit dem Copyrightvermerk der Dokumentarfilmerin Laura Poitras bis zur Abfassung dieses Textes 1.733.569 mal geklickt. Und im schlichte acht Fragen umfassenden Interview mit dem „Guardian“-Mitarbeiter Glenn Greenwald äußert sich darin mit bestechender Klarheit, so idealistisch wie illusionslos, der über Nacht weltberühmte – oder für manche auch: berüchtigte – Edward Snowden.

Was ist der spannendste Film des Jahres? Das ahnen wir in diesen Tagen. Wie lange er allerdings dauert, wie tragisch oder auch hoffnungsfroh er enden und was er uns alle eines Tages kosten wird, das wissen wir nicht. Denn es ist die Wirklichkeit, die sein Drehbuch schreibt, und wir sind seine Statisten. Snowden, der „infrastructure analyst“ einer für US-Geheimdienste arbeitenden Firma, hat – nach bestem Gewissen und bewusst nicht anonym – durch seine unmissverständlichen Aussagen der Weltgemeinschaft einen beispiellosen Bewusstseinsschub verpasst. Indem er unwidersprochen die Geheimdienste Amerikas und Englands der elektronisch grenzenlosen Überwachung anklagt, reduziert er nichts Geringeres als den globalen Begriffsunterschied zwischen Demokratie und Diktatur. Und bringt damit geläufige Helden-Schurken-Zuordnungen beträchtlich durcheinander.

Held oder Verräter, Zeuge oder Täter: Die historische Rolle des soeben 30 Jahre alt gewordenen Edward Snowden bildet sich erst heraus – und schillert täglich neu. Nur dass er die Hauptfigur eines so finsteren wie faszinierenden Politthrillers ist, das ist klar. Eines Thrillers, der unsere Vorstellung von Science Fiction, die sich mit globaler, totaler und folglich totalitärer Kontrolle verbindet, bedrängend auf die Gegenwart anwendet. Wie seufzte der 1973 geborene Thriller-Autor Alex Berenson soeben in der „New York Times“? „Ich wollte, ich hätte ihn geschrieben.“

Die Fantasiemaschine Kino, für Allmachts- ebenso wie für Ohnmachtsfantasien zuständig, taugt zur Bewältigung der Sprengkraft von Snowdens Enthüllungen nur bedingt. Und zur Ausmalung der Folgen seiner gigantischen Mutprobe hat sie eher die üblichen Ingredienzen Mord und Totschlag zu bieten. Ein Ernstfall dieses Ausmaßes in der Realität ist neu. Wohl aber umkreisen Filme seit jeher alle möglichen und weniger möglichen Horrorszenarien, retten sich mitten im Morast politischer Unmoral in – zumindest Hoffnung zulassende – Cliffhanger und spielen Rollenwechsel durch, wie sie längst auch schon auf Snowden angewendet werden. Zum Beispiel: Kann jemand Held sein und Verräter zugleich?

Die klassischen Agententhriller-Helden, von James Bond bis Ethan „Mission: Impossible“ Hunt, tragen da eher wenig zur Erkenntnisgewinnung bei, gehören sie doch klar zu einem im Kern noch positiv dargestellten Apparat. Die frühen Bonds funktionieren als Assoziationsmaterial allenfalls insofern, als Edward Snowden derzeit nolens volens die einstigen Erzfeinde des Kalten Krieges, Amerika und Russland, aufeinanderhetzt. Aber den mutigen Whistleblower und den Schurken Blofeld mit der Kraulekatze trennen Welten, zumindest jenseits der Propaganda. Auch Tom Cruise bleibt in seinen Hightech-Missionen zumindest ideologisch überschaubar unterwegs. Manchmal gerät er zwischen die Fronten und muss sich, zahllose Finsterlinge beseitigend, rehabilitieren. Aber letztlich dient alle Action einem guten Zweck.

Da ist die dritte und jüngste Mainstream-Agentenserienfigur schon weitaus realitätskompatibler. Jason Bourne schlägt sich nicht nur mit einem dramaturgisch aufregenden Gedächtnisverlust herum, dessen Behebung der CIA extrem gefährlich werden kann. Sondern diese nunmehr böse Institution mobilisiert nun auch immer wieder ihre von einem lückenlosen Überwachungssystem gestützte Killermaschine. Im dritten Teil, „Das Bourne-Ultimatum“ (2008) verabredet sich Bourne alias Matt Damon mit einem „Guardian“- Journalisten in der Londoner Waterloo Station und schleust ihn per Mobiltelefon abenteuerlich am CIA-Überwachungssystem vorbei. Das erinnert durchaus an die komplizierte Begegnungsanbahnung Snowdens mit Greenwald. Im Film kann Bourne abtauchen, der Journalist wird erschossen. Möge die Realität mit den realen Helden sein.

David gegen Goliath: Im Kino funktioniert das Snowden-Modell immer

Auf der Datenautobahn. Der Whistleblower ist auf allen Bildschirmen präsent. Aber wo seine Reise hingeht, ist unklar.
Auf der Datenautobahn. Der Whistleblower ist auf allen Bildschirmen präsent. Aber wo seine Reise hingeht, ist unklar.

© REUTERS

Die Flucht Snowdens als Katz-und-Maus-Spiel? Anfang der Woche generierte das allerhand Komik, als zwei Dutzend Reporter, die Snowden im selben Flugzeug vermuteten, ins kubanische Nirgendwo abhoben. Aber taugen deshalb die derzeit häufig bemühten Vergleiche mit den Steven-Spielberg-Leichtgewichten „Catch Me If You Can“ (2002) oder auch „Terminal“ (2004)? Das hübsche Hochstapler-Stückchen mit Leonardo DiCaprio und die skurrile Story um den von Tom Hanks gespielten Staatenlosen Viktor Navorski, der sich in einem New Yorker Airport häuslich einrichtet, mögen auf vermischten Realien beruhen. Edward Snowden dagegen hat sich, als Regisseur von Weltneuigkeiten, bislang nicht als Humorist profiliert. Und als deren Gegenstand dürfte er das noch viel weniger tun. Da ist der Moskauer Flughafen, der so viele Türen ins Nirgendwo hat wie der Bahnhof Friedrichstraße zu DDR-Zeiten, von gewiss sehr eigenem Kaliber.

David gegen Goliath oder gar gegen mehrere Goliaths: Im Kino funktioniert das Snowden-Mythenmodell immer. Und so ernsthaft wie handfest wie politisch. Schon in Sidney Pollacks Klassiker „Die drei Tage des Condor“ (1975) stellt sich ein übermächtiger Apparat der Wahrheitsfindung entgegen, und ausgerechnet in Tony Scotts „Der Staatsfeind Nr.1“ (1998), dessen Titel derzeit gern als Snowden-Etikett verwendet wird, gerät nicht die CIA, sondern explizit der auch von Snowden angeprangerte militärische Überwachungsdienst NSA ins Visier. Will Smith spielt den ahnungslosen Anwalt, der eine Diskette mit Mordvideo zugespielt bekommt, und die NSA, Auftraggeber des Mordes, ortet ihn überall, verwanzt seine Kleidung, zerstört sein Privatleben und fast seine Existenz. Und das Happy End? Ist nicht wirklich eines.

Ebenso gebremst optimistisch – und elektronisch altertümlich, mit allerlei Faxgeräten – geht Michael Manns 1999 gedrehter „Insider“ vor, in dem Russell Crowe als Wissenschaftler per Fernseh-Interview darüber auspacken will, mit welchen chemischen Mitteln die Tabakkonzerne die Nikotinsucht ihrer Kunden steigern. Der Zeuge und gute Verräter böser Machenschaften wird hier ebenso zum massiv bedrohten Opfer wie die von Rachel Weisz gespielte US-Polizistin in „Whistleblower“ (2010): In Bosnien enttarnt sie eine von UN-Leuten mitorganisierte lokale Mafia, die sich an Zwangsprostitution bereichert. Hochaktuell in ihrem Bekenntnischarakter sind beide Filme; in Deutschland fanden sie nur wenig Publikum.

Vielleicht aber muss man, um den von Edward Snowden neu erschlossenen Realitätsbegriff zu fassen, noch freier und weiter zurückgehen. Ist er ein, freilich einsamer, Wiedergänger Robin Hoods – auch hierzu gibt es einen Film mit Russell Crowe –, nur dass er nicht den Reichen Geld stiehlt und es an die Armen verteilt, sondern so gefährliches wie relevantes Wissen umverteilt von oben nach unten? Und wie steht es dabei um die von ihm vorausgeahnte „größte Angst“, nichts werde sich ändern, sondern alles laufe, neue Antiterror-Panikmache vorausgesetzt, auf eine „schlüsselfertige Tyrannei“ hinaus? Ist es womöglich so, dass die Menschheit, beruflich und privat längst vom Internet abhängig, gerade von diesem Wissen nicht wissen will?

Vor diesem Hintergrund wirkt plötzlich ein zweimal verfilmter Klassiker extrem zeitgemäß, George Orwells „1984“. In seinem Urangst-Szenario einer totalitären Welt sind die Televisoren, jene Augen der Macht, die das Volk bespitzeln und durch Ansprache steuern, überall – nur nicht in dem altmodisch möblierten Zimmer, in dem sich ein Widerstandspärchen trifft. So jedenfalls glauben es Winston und Julia, bis der Televisor sie für tot erklärt. Im Roman steckt das Gerät, das alles sieht, hinter einem Bild, in den Filmen hinter einem Spiegel. Was bedeutet das für den Fall Snowden? Viel wird darauf ankommen, ob und wie wir Menschen es aushalten, hinter den Spiegel zu sehen.

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