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Promis für den guten Zweck: Im Namen der Pose

Der Charity-Komplex: Wie Prominente für die gute Sache kämpfen und sich gut dabei verkaufen.

Vor nicht allzu langer Zeit hieß die dralle Blondine, die sich mit kongenialem Ehemann und einem englisch betitelten Verein für die Opfer von sexuellem Missbrauch stark machte und dafür mit viel Zuspruch und Zeitungsfläche belohnt wurde, noch nicht Stephanie zu Guttenberg, sondern Veronica Ferres. Alljährlich richtete die Schauspielerin ihre Gala im Bayerischen Hof aus, bei der „Superpromis“ von Boris Becker bis Heiner Lauterbach ihren guten Zweck unterstützten.

Wenn man heute wiederum in jene Berliner Buchhandlung geht, in der Frau zu Guttenberg erst kürzlich – in „mörderscharfen High-Heel Stiefeln“ („Stern“) – vor versammeltem Blitzlichtgewitter ihr in der „Bild“-Zeitung vorabgedrucktes Buch zum gleichen guten Zweck präsentierte, muss man bis in den dritten Stock steigen. Dort erklärt ein Mitarbeiter nach Blick in den Rechner, man möge „hinten links bei Ratgeber und dann beim Unterthema Missbrauch“ suchen.

So richtig gut läuft er nicht, der eher schmale Band „Schaut nicht weg!“, dem auch seriöse Verbände Redlichkeit bescheinigen. Sehr gut hingegen läuft’s für die zu Guttenbergs, er macht in schwieriger Politik, sie in spektakulärem Ehrenamt, addiert ergibt das ein glaubwürdiges Power-Paar, und es stellt sich die Frage, für wen der gute Zweck nun gut ist.

Sex sells, wer wüsste das nicht. Auch am sexuellen Missbrauch interessiert im medialen Kontext vor allem das Wort Sex, vorausgesetzt, er wird auf eine Weise präsentiert, die den Kick mindestens als Option erhält: Weil die geschilderten Praktiken nicht durchgängig abstoßend rüberkommen, die Mitschuld der Opfer nicht völlig ausgeschlossen wird oder eben die Botschafterinnen des Horrors sexuell attraktiv besetzt sind.

„Mit ’nem Teelöffel Zucker schmeckt Dir jede Medizin“ wusste bereits Mary Poppins. Im modernen Wohltätigkeitsmanagement sind Prominente dieser Teelöffel Zucker. Die Wahrheit über sexuellen Missbrauch schmeckt weniger bitter, wenn gut aussehende Blondinen den Opfern Stimme und Gesicht geben. „Wenn’s hilft“, sagen sich auch die wenigen zögerlichen Prominenten und machen mit. Alle meinen es immer gut, nicht nur beim Thema Missbrauch. Was wäre Unicef ohne Roger Moore und Sabine Christiansen, was der Darmkrebs-Monat ohne Iris Berben und Harald Schmidt, Darfur ohne George Clooney und New Orleans ohne Brad Pitt? Und wo wären all die Spendengalas ohne Simone Thomalla oder Estefania Küster an den Telefonen?

Natürlich gibt es Menschen, und es sind nicht wenige, die stellen sich der Bitternis. Aber von ihnen will die Mediengesellschaft wenig wissen, weil sie, wie die Opfer, keinen Glamour versprühen. Man mag ihnen nicht, wie zuletzt Frau zu Guttenberg, die „Goldene Erbse“ verleihen. Das Gegenteil von Charity ist Engagement. Dass Bärbel Bohley die letzten Jahre ihres Lebens in Bosnien mit dem Einsatz für Kriegsopfer verbrachte, konnte die Öffentlichkeit den Nachrufen entnehmen. Monika Hauser und ihrem Verein Medica Mondiale verhalf erst der alternative Nobelpreis 2008 zu kurzfristiger Talk-Show-Tauglichkeit.

Doch das bloße Draufhauen auf die Promis oder die Medien, die bei der Vorstellung neuer Programme, Berichte oder Initiativen reflexhaft nach dem „Gesicht“ der Nachricht fragen, wäre falsch. Weder dem Prominenten noch den Medien und schon gar nicht den um Geld und Unterstützung ringenden Vereinen ist vorzuwerfen, dass sie, der Ökonomie der Aufmerksamkeit folgend, die Marke Prominenz instrumentalisieren. Charity scheint der perfekte Lötkolben zu sein, sich und den guten Zweck zu einer WinWin-Verbindung umzuschmelzen. Die Frage sei dennoch erlaubt: Hilft es?

Gerade wenn es uns – ein uns, das Medien wie ihre Konsumenten einschließt – um missbrauchte Kinder oder vergewaltigte Frauen geht, warum brauchen wir eine Schauspielerin oder Politiker-Gattin, um einen Funken Interesse zu wecken, ein paar Euro oder ein bisschen Engagement zu aktivieren? Organisationen wie „Zartbitter“, „Dunkelziffer“ oder „Wildwasser“ sind seit Jahrzehnten Anlaufstellen für die Opfer. Das geht so lange unter, bis sie sich des Einsatzes Prominenter bedienen, um ihrer Arbeit ein erträgliches, weil medientaugliches Bild zu geben. Jeder, der ein paar hundert Euro Spenden zusammengekratzt hat, fragt, welcher Prominente denn die Scheckübergabe kamerawirksam übernimmt, wissen Fundraiser zu berichten. Warum stellen sich Ferres, Guttenberg & Co eigentlich nicht stillschweigend in den Dienst der vielen bestehenden, vernetzten, respektablen Vereine?

Weil sie damit das größte Tabu in der Mediengesellschaft brechen würden: Das lustvolle Bekenntnis zu Sichtbarkeit und Inszenierung. Den Job darf jeder machen, außer den Opfern selbst. Wenn sich Natascha Kampusch – viel zu gefasst, viel zu wenig „betroffen“ – als TV-Moderatorin erprobt und ein Buch verfasst, wirft man ihr vor, das eigene Schicksal routiniert zu vermarkten. Wenn demnächst irgendeine prominente Kampusch-Darstellerin im Rahmen der Verfilmung ihres Lebens diese Vermarktung übernimmt, wird dies niemanden aufregen.

Wir fiktionalisieren Grauen, indem wir bevorzugt Schauspielern und Models, also Menschen, die von Berufswegen Rollen ausfüllen, das Recht geben, uns für etwas zu interessieren, für das wir uns von den originär Betroffenen nicht interessieren lassen wollen. Weil es zu schlimm sein könnte, zu lang dauern würde oder schlicht zu kompliziert wäre.

Warum sonst hören wir ausgerechnet dann hin, wenn jemand spricht, der qua Beruf gar keine Ahnung vom Thema hat? Bei Klamotten, Urlaubszielen oder „Beauty-Geheimnissen“ mag der Vertrauens-, Kompetenz- und Begehrlichkeits- Transfer von prominenter Person auf die beworbene Marke noch sinnfällig sein. Bei gesellschaftlichen Anliegen wird er absurd. Schauspieler dilettieren in Polit- Talks, Comedians blicken in kostenlos geschalteten Anzeigen düster drein, allerorten stehen „Botschafter“ gut geföhnt im Elend.

Und Wim Wenders hat Spots zum Thema Missbrauch gedreht. Der Regisseur teilt mit, er wisse „... wie viele Menschen darunter leiden, dass sie in ihrem Leben einmal ein Trauma erlebt haben, das sie dann nie wieder losgeworden sind“. „Ich habe selbst ein paar Mal erlebt, welche Befreiung es darstellt, wenn endlich jemand über etwas sprechen kann.“ Und so sehen wir, in einer weiblichen und männlichen Variante gedreht, wie ein grau gekleideter Täter vor einer grauen Wand drei nach Generationen gestaffelten Opfern hinterrücks den Mund zuhält, bis sich das jeweils älteste dem Griff entwindet. Ein Spot, eine klare Botschaft, eine einfache, eine mediengerechte Lösung für eine jahrzehntelange Tragödie.

„Sprechen hilft“ heißt die wohlfeile Kampagne. Die Betroffenen selbst, ob Heimkinder, Internatsschüler oder Opfer familiärer Gewalt, sollen bitte reden, liefern aber dummerweise oft keine prägnanten, medien-kompatiblen Sätze und konkurrieren auch noch untereinander um das schlimmere Leid, den höheren Opferstatus. Medien und die von ihnen bediente Öffentlichkeit wollen klare Ansagen, ein schnelles Ergebnis und das Bedienen des Prinzips Hoffnung. Eindeutige Botschaften in eindeutiger Bebilderung.

Der sogenannte gute Zweck, jene Menschen also, denen Unrecht und Gewalt angetan wurde, brauchen Zeit, Kenntnis, die Fähigkeit, Widersprüche zuzulassen und auszuhalten, Raum für Hilflosigkeit. Die Kampagnen und ihr Gegenstand können also nicht zueinander finden. Für Menschen, die längst verloren haben, gibt es kein Win-Win-Szenario. Man kann ihr Schicksal als Prominenter im Namen der Pose nur ausweiden. Oder man macht dem Charity-Spuk ein Ende, schafft promifreie Schutzzonen und schaut sich an, wie viel Leute bei der Sache bleiben, um die es zu Anfang doch allen ging. Wenn’s schief geht, geben wir ab an Angelina. Die dreht ja bald in Bosnien.

Heike-Melba Fendel leitet die Agentur Barbarella Entertainment mit Sitz in Köln und Berlin. 2009 erschien ihr Roman „Nur die - Ein Leben in 99 Geschichten“.

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