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Einer der lächelnden Engel von Reims.

© dpa

Propaganda im Ersten Weltkrieg: Der lächelnde Engel von Reims

Das Pariser Architekturmuseum zeigt, wie zerstörte Kulturstätten in Frankreich während des Ersten Weltkriegs für nationale Propaganda genutzt wurden.

Wenn man all die eindrucksvollen Gipsabgüsse abgeschritten hat, die von Bauteilen französischer Kirchen, Kathedralen und Schlösser in den hohen Hallen des Pariser Architekturmuseums versammelt sind, schließt sich ein nüchterner Ausstellungsraum an. Dort ist die Ausstellung „Das Patrimonium zieht in den Krieg“ zu sehen, sie beleuchtet die Instrumentalisierung des nationalen Erbes für die Propaganda im Ersten Weltkrieg. Der deutsche Einmarsch vom Sommer 1914 lieferte die Grundlage für die französische Propaganda frei Haus: die Brandschatzung der Bibliothek von Löwen und die Beschießung der Kathedrale von Reims, der hochmittelalterlichen Krönungskirche der französischen Könige.

Das Stereotyp vom deutschen Vandalen oder Hunnen war geboren. Neben die bildliche Darstellung der teutonischen Barbaren in Karikaturen und patriotischen Plakaten trat zunehmend die Indienstnahme der zerstörten Objekte selbst. Das Arrangement zerbrochener Engelsfiguren rief unmittelbar die Assoziation versehrter Soldaten herauf. Die Trümmerteile wurden sakralisiert, sie standen stellvertretend für die millionenfach verletzten Soldaten. Die Ausstellung nimmt sich allein der französischen Propaganda an, doch in kritischer Distanz.

So wurde der „Lächelnde Engel“ aus Reims, von dem es eine Abformung gab, beim deutschen Bombardement des 19. September 1914 stark beschädigt. Später trat ein Abguss vom Abguss an dessen Stelle. Die öffentliche Aufmerksamkeit, die die zerstörte Skulptur fand, führte zur Ausstellung der versehrten Kunstwerke im Jahr 1916, nach dem Ende der Schlacht von Verdun, die Frankreich enorme Siegeszuversicht gegeben hatte.

Statt Bomben die Farben der Freiheit

Verdun als Symbol des französischen Widerstands gegen die preußische Invasion verschmolz mit den gezeigten Kunst-Trümmern zu einer einzigen Anklage. Ähnlich die Statue des Hl. Sebastian aus dem Marne-Städtchen Bétheny nahe Reims: den Wunden, von denen die Heiligenlegende berichtet, fügten die deutschen Granaten weitere Verwundungen hinzu. Die sakrale und die tagespolitische Aussage verschmelzen.

Nach dem Krieg verblieb die beschädigte Statue im Petit Palais, diesem „Hospital der versehrten Skulpturen“, wie es in der Presse hieß. 1929 wurden die dort versammelten Kunstwerke an ihre früheren Aufstellungsorte zurückgeführt - außer dem Sebastian. Er geriet in Vergessenheit und wurde, nachdem noch 1987 ein entsprechender Hinweis an das Historische Museum von Reims unbeantwortet geblieben war, erst für die jetzige Ausstellung restauriert.

„Der Hl. Sebastian, gemäß der Aufstellung von 1916 wiederhergestellt, findet hier sein Gesicht und seine Geschichte wieder“, wie es im Katalog heißt. Der schließt mit einer Pointe. 1918 überfliegt ein Luftschiff des seit 1915 verbündeten Italien die Habsburger-Hauptstadt Wien. Flugblätter werden abgeworfen, mit einem Text, der besagt, dass man auch Bomben hätte abwerfen können: „Wir aber entrichten nur einen Salut in drei Farben: den Farben der Freiheit.

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