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Die im Text beschriebene Handke-Lektüre-Bank auf dem kleinen Bunkerberg im Berliner Volkspark Friedrichshain.

© privat

Proust, Handke, Knausgård etc: Die Bank auf dem Bunkerberg

Peter Handke im Volkspark Friedrichshain, George Sand im Garten von Combray: Über die Bedeutung der Orte, an denen Bücher gelesen werden.

Es gibt im Berliner Volkspark Friedrichshain eine Bank, oben auf dem kleinen Bunkerberg, die mich immer an Peter Handke erinnert. Der Grund ist ein simpler, nicht dass ich mich hier mit dem österreichischen Schriftsteller nach einem Spaziergang ausgeruht hätte (das wäre was gewesen!).

Nein, ich habe auf dieser Bank sitzend seinen Roman „Die linkshändige Frau“ gelesen, an einem düster-warmen Sommertag, eine blaue Suhrkamp-Taschenbuchausgabe mit Edith Clever auf dem Cover, sie hat die linkshändige Frau in der Romanverfilmung gespielt. Das muss lange vor der Verleihung des Literaturnobelpreises an Handke 2019 gewesen sein, und es war rein privat.

Immer wenn ich nun über den Bunkerberg gehe, muss ich an diese Lektüre denken. Das trägt fast obsessive Züge, ohne dass ich mich an den Inhalt des Romans erinnern könnte. Meist fällt mir dann eine weitere Handke-Lektüre ein, ebenfalls im Volkspark Friedrichshain, in diesem Fall „Wunschloses Unglück“, unten vor dem Kiosk neben dem Café Schönbrunn, auch Jahre vor der Literaturnobelpreisverleihung.

Der Tag war ein sonniger, und ich weiß immerhin, wie ich zu diesem Buch kam: Ich hatte gerade von Karl Ove Knausgård den „Min-Kamp“–Band gelesen, in dem der norwegische Schriftsteller von der Erzählung schwärmt, die Peter Handke Anfang der siebziger Jahre über das Schicksal seiner Mutter geschrieben hat.

"Die Gefangene" lesen in Andalusien - und im Wedding

Wer Bücher liest und sich für Literatur interessiert, weiß um den eigenen Einfluss auf die Lektüren, weiß, dass sich der Text mit den Augen des Lesers noch einmal verändert, eine andere Bedeutung gewinnt. So wie es Marcel Proust gegen Ende seiner „Recherche“ geschrieben hat, in „Die wiedergefundene Zeit“: „In Wirklichkeit ist jeder Leser, wenn er liest, ein Leser nur seiner selbst. Das Werk des Schriftstellers ist dabei lediglich eine Art von optischem Instrument, das der Autor dem Leser reicht, damit er erkennen möge, was er in sich selbst vielleicht sonst nicht hätte erschauen können."

Doch auch die Orte, an denen man liest, die jeweiligen Umgebungen der Lektüren machen etwas mit einem. Sie verändern Zugänge, können zu Verklärungen führen oder Erinnerungen triggern.

Bei Proust gehört der Garten in Combray, in dem der Erzähler als Junge die Dorfromane von George Sand liest, "und zwar unter dem Kastanienbaum in einer kleinen Baracke aus Sparterie und Segeltuch, in deren hintersten Winkel ich den Augen der Personen zu entgehen glaubte, die vielleicht meine Eltern besuchten.", dieser Garten gehört unweigerlich mit den Sand-Büchern zusammen.

Dazu kommt, dass ihm die Handlung darin bisweilen anders, „dunkler“ vorkam, weil „ ich in jener Zeit beim Lesen häufig ins Träumen geriet und ganze Seiten lang an etwas Anderes dachte.“

Es macht dann auch einen Unterschied, einen Proust-Band wie „Die Gefangene“ in einem Ferienhaus in Andalusien zu lesen: morgens, wenn die Sonne dabei ist aufzugehen, Wahrnehmung und Konzentration geschärft sind. Oder eben ein paar Jahre später in einer nicht ganz so lichtdurchfluteten Wohnung in Berlin-Wedding.

Was für eine Feier des Lesens hier, ohne Zwänge und Verpflichtungen, was für Offenbarungen bezüglich des Wechselspiels von Liebe und Eifersucht! Ja, und was für Mühen dort, (beim Lesen von Proust gehören sie allerdings typischerweise dazu), einfach so, zwischendrin, das Frühjahrsprogramm der Verlage außer Acht lassend. Wie es wohl sein wird, „Die linkshändige Frau“ noch einmal oben auf dem kleinen Bunkerberg im Friedrichshain auf eben jener Bank zu lesen?

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