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Greta (Isabelle Huppert) beobachtet Frances (Chloe Grace Moretz) im Schlaf.

© Capelight Pictures / Ascot Elite

Psychothriller „Greta“ im Kino: Isabelle Huppert gibt wieder die Klavierspielerin

Neil Jordans Thriller „Greta“ will zeigen, wie sich ein Mensch in seinen eigenen Dämon verwandelt. Selbst Isabelle Huppert kann diesen Film nicht retten.

Es gilt als wenig sublim und rücksichtsvoll, über das Ende eines Films zu reden. Zumal bei einem Thriller. Aber dieser Film nimmt selber keine Rücksicht auf den Zuschauer, und die letzte Szene ist vermutlich die einzige, die auf einen etwas längeren Aufenthalt in unserem Gedächtnis rechnen darf: eine schön bemalte Holzkiste, wir hören Chopin und versinken in den Anblick des kunstvollen Ornaments. In der Kistenmitte steckt quer ein kleiner Eiffelturm als Pflock im Verschluss. Noch ein paar Takte. Was da von innen klopft, ist Isabelle Huppert, die will raus. Doch das wird nichts.

„Greta“ von Neil Jordan widmet sich der Frage: Wie kommt Isabelle Huppert in die Kiste? Es werden wenig B-Pictures mit großer Besetzung gedreht, meist gilt die Regel: Leicht vertrottelte Handlung passt zu leicht vertrottelten Darstellern. „Greta“ ist eine Ausnahme. Nun kann man nicht sagen, dass Isabelle Huppert das Letzte gibt, diesen Film zu retten, er hätte es auch nicht verdient. Aber der jungen Chloë Grace Moretz zuzuschauen, die in Amerika ein Teeniestar wurde, trägt bis zum Schluss. Die Frage lautet also: Wäre diesem Film zu helfen gewesen, und wenn ja, unter welchen Umständen?

Der Anfang ist gut, gleichermaßen alltäglich und außergewöhnlich. Zwei junge Mädchen finden eine nicht ganz hässliche Handtasche in der U-Bahn. Behalten oder zurückgeben? Ausweis mit Adresse inliegend. Mehr als ihre Freundin neigt Frances (Chloë Grace Moretz) zur zweiten Antwort, und so steht sie bald vor der Tür einer deprimierenden New Yorker Hinterhof-Erdgeschosswohnung.

Übergang aus dem scheinbar Normalen ins Dämonische

Natürlich wird die ehrliche Finderin hereingebeten, und ja, es ist eine Situation, die erlaubt, ein paar Stufen des Konventionellen in der Begegnung zweier Menschen zu überspringen. Schnell weiß Frances, dass die Besitzerin der Handtasche hier nach dem Tod ihres Mannes ein Eremitendasein als Klavierlehrerin führt, mit Liszt als einziger verlässlicher Gesellschaft. Isabelle Huppert setzt sich ans Klavier, und da ist sie wieder, die Klavierspielerin. Eine eremitische Klavierspielerin wie bei Haneke. Fast zwanzig Jahre ist das her, als Haneke Jelineks Roman verfilmte – und war nicht auch das ein Thriller?

Die Übergang aus dem scheinbar Normalen, dem Alltäglichen ins Dämonische: Was für ein Thema, viel zu wichtig, um es dem Genrekino zu überlassen! Man hätte die Annäherung der beiden Frauen zeigen, mit der Magie des Kinos die Magie der Begegnung zweier Menschen einfangen müssen. Wahltochter trifft auf Wahlmutter. Stattdessen gehen Greta und Frances schon am zweiten Tag ins Tierheim, um der einsamen Klavierspielerin einen struppigen Gefährten zu suchen. Zu glauben, dass sich Greta mit allen Seelenfäden mit diesem Mädchen verbindet, wäre die Voraussetzung gewesen, ihr nachher auch das Nicht-Loslassen zu glauben. Die Zurückgewiesene wird zur Verfolgerin. Denn Frances verlässt ihre neue mütterliche Freundin in dem Augenblick, als sie bei ihr noch mehr Handtaschen entdeckt, sorgfältig mit Ausweisen bestückt. Alles Taschen zum Verlieren? Frances geht. Der Boden der Wirklichkeit mit seinen scheinbar zuverlässigen Koordinaten erbebt.

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Neil Jordan ist ein Regisseur, der für die Befreiung des Genrekinos kämpft. Leider scheint ihm das immer weniger zu gelingen. Sein „Interview mit einem Vampir“ wollte den Vampir-Film hinter sich lassen, was missriet, und über „The Brave One/Die Fremde in dir“ von 2007 mit Jodie Foster urteilte eine übellaunige Kritikerin, mit diesem Werk habe der Rächer-Film nun gewiss seinen Tiefpunkt erreicht. Der Rächer-Film?

2016 erreichte er einen neuen Höhepunkt. Isabelle Huppert spielte in Paul Verhoevens „Elle“ eine Frau, die sich wie eine Rasierklinge durchs Leben schneidet, das anderer Menschen eingeschlossen. Ihr Gesicht besitzt eine gleichsam natürliche Aura der Unnahbarkeit, was jede Regung darin zum Ereignis macht. Doch das qualifiziert sie in „Greta“ leider nur, um als ihr eigenes Standbild vor den großen Fensterscheiben des Restaurants zu warten, in dem Frances als Kellnerin arbeitet. Wie verwandelt sich ein Mensch in seinen eigenen Dämon? Bei Haneke und Verhoeven vibrierte diese Frage in jeder Einstellung. Hier ist an dem Punkt Frau-vorm-Fenster schon fast alles verloren.

Mischung aus Langeweile und Amüsement

Nach „Greta“ darf die Zukunft des Stalker-Kinos als durchaus ungewiss gelten.

„Greta“ passiert, was keinem Horrorfilm zuträglich ist. Man betrachtet ihn zunehmend mit einer Mischung aus Langeweile und Amüsement und fragt sich, wie das bei diesen großartigen Schauspielerinnen geschehen kann. Als Greta sich eine Spritze in den Stumpf des Fingers gibt, den Frances ihr mit einem Küchenmesser abgehauen hat, weiß man es wieder.

Was hätte Haneke daraus gemacht? Oder Verhoeven? „Greta“ ist gewiss ein guter Anlass, die „Klavierspielerin“ oder „Elle“ wieder zu sehen.

In 20 Berliner Kinos, davon 9 OmU. OV: Neukölln Arcaden, Cinestar Sony-Center

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