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Kultur: Publikumsbeschimpfung (Kommentar)

Berlin, Hotel Hilton, morgens um neun. Michael Naumann hält einen Vortrag vor dem Deutschen Hochschulverband, der Interessenvertretung der Professoren.

Berlin, Hotel Hilton, morgens um neun. Michael Naumann hält einen Vortrag vor dem Deutschen Hochschulverband, der Interessenvertretung der Professoren. Sein Thema: der Kulturstaat. Also nichts wie hin. Vielleicht würzt der Minister den Berliner Kulturkampf ja mit neuen Bonmots. Das tut er prompt, indem er den Unterschied zwischen Berlins Bürgermeister und Platon erläutert. Nein, sagt der Kulturstaatsminister, "Diepgen ist nicht Platon". Die populistischen Invektiven des Regierenden gegen die "abgelatschten Künstler" hätten nichts zu tun mit Platons Idee, Kunst und Staat voneinander fernzuhalten (allgemeine Zustimmung). Aber dann kommt Naumann auf die Krise der Universitäten zu sprechen. Er erwähnt die Green-Card-Debatte und das Versäumnis der Hochschulen in Sachen Computerspezialisten (leises Grummeln). Er erzählt von seiner Dozentur an der Bochumer Ruhr-Universität, wo freitags im Trakt der Geisteswissenschaftler gähnende Leere herrschte. Er geißelt die Massen-Uni als Jugendbewahranstalt (lauteres Grummeln). Er fordert Elitebildung, nicht nur bei den Studenten, sondern auch bei ihren Lehrern. Und er kritisiert das Wiederberufsungsverbot. Kein Professor, der älter als 52 ist, kann die Universität wechseln, um weiter Karriere zu machen: "Selbst bei den größten Kantischen Verlockungen werden Sie beginnen, an ein Leben in der Toskana zu denken" (erste "Skandal"-Rufe). Der Staatsminister bricht seinen Vortrag ab und fordert zur Diskussion auf. Die Politik ist schuld, wehren sich die Angegriffenen. Wir sind nicht verantwortlich für die Uni-Misere. Wir denken und forschen sogar am Sonntag. Also doch noch ein bisschen heitere Wissenschaft an diesem Morgen. Naumann zettelt eine Saalschlacht an, in der - vom Publikum! - alles zur Sprache gebracht wird, worüber die Wissenschaft in der Öffentlichkeit gewöhnlich nicht spricht: über den faulen Professor als "melancholischen Kanonier", die veraltete Habilitations-Ordnung und den Kotau der Ausbildungsstätten vor Industrie und Arbeitsmarkteffizienz. Sie planen eine Tagung? Sie fürchten, es könnte langweilig werden? Laden Sie den Michael Naumann ein. Aber wundern Sie sich nicht, wenn Ihre Gäste aus der Haut fahren, kaum dass der Redner vors Mikrofon tritt.

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