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Gitarrenpower. Die Toten Hosen beim Auftritt mit der Band Side Effect.

© IMA/Emmanuel Maillard

Punkrock in Myanmar: Die Nacht der lauten Träume

Besuch von Campino: Wie eine Punkrockband aus Myanmar die langsame Öffnung ihres Landes erlebt.

Es ist schwül, verdammt schwül auf der Myaw Sin-Insel, eine Art Naherholungsgebiet für die gerade entstehende Mittelklasse von Yangon. Sie liegt etwa zwanzig Minuten nördlich der morbid pittoresken Altstadt. Die Krähen schreien, doch man hört sie kaum: Die Band Side Effect übertönt sie. 4000 Leute im Publikum singen mit ihr Woohoowohoowohohoo. Der letzte Akkord verstummt, frenetischer Applaus. Von hinten ruft Campino: „Give me one more“. Die Toten Hosen sind auch hier in Myanmar, wie das alte Burma seit der Umbenennung durch die Militärs im Jahr 1988 heißt. Eine Band aus Düsseldorf in Yangon (einst Rangun)? Warum das?

„Es gibt da eine DVD, die wir in Deutschland gesehen haben. Diese DVD heißt ,Yangon Calling’“, ruft Campino in die jubelnde Menge. Wenig später stehen die lokalen Bands Kaiza Tin Moong, No U Turn, deren Proberaum die Hosen tags zuvor noch besucht hatten, und Side Effect neben ihm auf der Bühne. Aus voller Brust singen sie gemeinsam „Yangon Calling“ zu den Akkorden der Punkhymne „London Calling“ von The Clash.

Den Film, den die Toten Hosen gesehen haben, hat ein deutsches Team vor drei Jahren in Yangon gedreht, er zeigt die kleine dortige Punkszene und erzählt die Geschichte der Bands Culture Shock und Side Effect. Viele junge Männer mit imposanten Stachelfrisuren, nietenbesetzten Lederjacken und großflächigen Tattoos sind darin zu sehen.

Auch Darko C., Sänger und Gitarrist von Side Effect, hat tätowierte Oberarme. Allerdings trägt er eine normale Kurzhaarfrisur und hat sich für den Auftritt mit den Toten Hosen ein schlichtes weißes Hemd übergezogen. Für den 33-Jährigen geht es bei Punk vor allem um Haltung: „Punk ist mehr als einfach nur bestimmte Klamotten zu tragen. Punk bedeutet, seine Meinung zu sagen und zu machen was du machen willst“, sagt er im Gespräch. Darkos Bruder, ein Gründungsmitglied von Side Effect, ist ausgestiegen: „Mein Vater hat Druck auf ihn ausgeübt, damit er Seefahrer wird.“

Side Effect haben die meisten ihrer Alben in Deutschland und den USA verkauft

Die vierköpfige Gruppe Side Effect gibt es seit zehn Jahren. Leben kann Darko, der Englische Literatur studiert hat, allerdings nicht von der Band. Deshalb betreibt er zusammen mit seiner Frau eine Schneiderei. Rund 500 US-Dollar verdienen sie damit im Monat. Manchmal inspiriert Darkos Brotjob auch seine Musik: „Wir haben gerade ein Lied geschrieben, das ,New Outfit’ heißt, und von der Regierung handelt, die einfach ihre Militäruniform abgelegt hat und nun in Zivilkleidung rumläuft,“ sagt Darko. „Das bedeutet aber nicht, dass wir die Veränderung unbedingt spüren. Der Song ist noch nicht veröffentlicht und natürlich etwas gewagt“.

Ohnehin: die Zensur. Am besten sei sie mit einer Flasche Johnny Walker Blue, dem Lieblingsschnaps der meisten Militärs, zu umgehen. Aber auch wenn man das geschafft hat, verkauft sich eine CD wie Side Effects Debüt „Rainy Night Dreams“ in Myanmar nicht sonderlich gut. „Ich will mich nicht beschweren, aber die Leute hier laden sich die Musik natürlich umsonst im Netz runter oder tauschen sie per USB-Sticks oder Bluetooth. Die meisten Verkäufe hatten wir bisher in Deutschland und den USA“, sagt Darko.

Side Effect sind die im Westen wohl bekannteste Punkrock-Band aus Myanmar. Eines ihrer ersten Konzerte außerhalb Asiens gaben sie vor zwei Jahren im mittlerweile abgebrannten Festsaal Kreuzberg, in diesem Frühjahr spielten sie als erste Gruppe aus ihrem Land beim South by Southwest-Festival in Austin, Texas.

Die Militärs haben dem Land einen zögerlichen Reformkurs verordnet

Gitarrenpower. Die Toten Hosen beim Auftritt mit der Band Side Effect.
Gitarrenpower. Die Toten Hosen beim Auftritt mit der Band Side Effect.

© IMA/Emmanuel Maillard

Die westliche Faszination für das Land ist in den letzten Jahren gewachsen. Nicht zuletzt wegen Aung San Suu Kyi, der charismatischen Anführerin der Opposition und Tochter des Volkshelden und birmanischen Unabhängigkeitskämpfers Aung San. Ihr friedlicher Kampf gegen die Militärjunta ist durch Luc Bessons Film „Die Lady“ bei einem Millionenpublikum bekannt geworden. Und sie stieg – vielleicht vergleichbar mit dem Dalai Lama in Tibet – zu einem Symbol westlicher Sehnsüchte für eine gerechtere Welt auf.

Dass Myanmar zwischen den beiden Giganten Indien und China liegt, gibt dem Land geostrategische Bedeutung. Die Großmächte ringen hier um Einfluss. So baut China derzeit Häfen, Autobahnen und Pipelines, die ihm Zugang zum Meer und Öl vom Persischen Golf verschaffen sollen. Barack Obama war im November 2012 als erster US-Präsident nach Burma gereist. Hillary Clinton kam im Dezember 2013 als erste US-Außenministerin seit John Foster Dulles 1955, und betonte damit das Engagement in Chinas Hinterhof. Auch Bundespräsident Gauck war im Februar für vier Tage im Land und eröffnete ein Goethe-Institut.

Kulturelle Diplomatie hat in Burma eine lange Tradition. Schon in den siebziger Jahren waren Jazzmusiker wie Count Basie, Duke Ellington und Charlie Byrd, unterstützt von US-Geldern, ins damalige Rangun gekommen. Vor zwei Jahren spielte als erster großer internationaler Popstar Jason Mraz in Myanmars Metropole vor 50 000 Menschen. Im Rücken die goldene Shwedagon-Pagode – das Wahrzeichen. Die Finanzierung kam von US Aid, der amerikanischen Entwicklungshilfeorganisation, MTV Bangkok übertrug das Konzert in die Welt. Und nun ist also auch die erste große deutsche Band zu Gast. „Ein etwas anderes Jubiläum – 60 Jahre Diplomatische Beziehungen zwischen Deutschland und Burma“, heißt die Veranstaltung in dem von ausländischen Nicht-Regierungsorganisationen übersäten Land. „Wir haben einen Anruf von der Botschaft bekommen, ob wir teilnehmen wollen, um die Öffnung des Landes hin zur Demokratie zu unterstützen“, sagt Hosen-Chef Campino im Backstagebereich, bevor er für seine Ansagen ein wenig Sprachunterricht nimmt.

Diese Öffnung wurde erst möglich durch die Reformen der letzten Jahre – ausgelöst durch die Angst der Militärjunta vor der zunehmenden Abhängigkeit vom Nachbar China sowie der Hoffnung auf einen ökonomischen Boom. So ließen die Generäle Aung San Suu Kyi nach über 15-jährigem Hausarrest frei und die erste Parlamentswahl zu, die die Friedensnobelpreisträgerin allerdings zunächst boykottierte. Bei einer Nachwahl für das Parlament gewann ihre Partei, die National League of Democracy (NLD), vor zwei Jahren 43 der zu vergebenen 45 Sitze – 25 Prozent der Mandate gingen automatisch ans Militär. Aung San Suu Kyi ist nun Abgeordnete. Damit lieferte Präsident Thein Sein, selbst ein Exmilitär, dem Westen den Anlass, die jahrzehntelangen Sanktionen 2013 auszusetzen. Nächstes Jahr wird erneut gewählt.

Sänger Darko traut der neuen Freiheit noch nicht so recht

Funktioniert also der von den Militärs ausgerufene „Fahrplan zur Demokratie“? Gerade 48 Stunden im Land beobachtet Campino: „Bemerkenswert ist die Entspanntheit der Leute. Man kann sich gar nicht vorstellen, dass in Teilen des Landes noch Bürgerkrieg herrscht“, womit er auf die Verfolgung der muslimischen Minderheit der Rohiyngas und anderer ethnischer Gruppen anspielt. Auch Darko traut den neuen Freiheiten noch nicht recht: „Wir können zwar jetzt ,Fuck the President’ sagen, aber wer weiß, ob das nicht irgendwann auf uns zurückkommt. Ich habe immer noch Angst, und will mich nicht unbedingt zu sensiblen Themen äußern – man braucht Courage und muss für seine Freiheit kämpfen.“ Die Aufmerksamkeit des Westens sei positiv. „Solange die westlichen Medien über uns berichten, kann sich die Regierung keine Fehler erlauben“, sagt er.

Das letzte Blutbad, die Niederschlagung der protestierenden Studenten und Mönche während der Safranrevolution 2007 durchs Militär, hat sich ähnlich wie die gewaltsam beendeten Demonstrationen von 1988 tief ins kollektive Gedächtnis eingebrannt. Auch Darkos bester Freund Scum, der Frontmann der Punkband Culture Shock, war jahrelang eingesperrt. Die Zurückhaltung des Sängers ist also verständlich. Seit zehn Monaten ist er Vater. Während des Konzertes schläft das Baby in den Armen seiner am Bühnenrand stehenden Mutter. Es ist eine Nacht der lauten Träume.

Philipp Grefer

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