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Kultur: Punkrock mit Schaumwein

Schönekreuz, noch ein neues Kunstquartier: An den Yorckbrücken siedeln sich junge und renommierte Galerien an

Der Satz an der Yorckstraßen-Unterführung sitzt. „Veränderung bleibt“ haben die beiden Künstlerinnen Ulrike Cyriax und Johanna Michel mit einem gelbschwarzen Absperrband in den Maschendrahtzaun eines Spielplatzes gewebt. Sie hatten nach einem Spruch gesucht, der immer stimmt. In diesem Fall passt er jedoch besonders gut: Es tut sich was im Kiez – da, wo Kreuzberg mit Schöneberg zusammenstößt, zwischen Bergmannkiez auf der einen und dem Gleisdreieck auf der anderen Seite, durchschnitten von den Gleisen der S-Bahn. So viel, dass Galerist und Street-Artist Marc Scherer der Gegend gleich einen neuen Namen gegeben hat und damit wirbt: Schönekreuz. In die Eylauer Straße ist Scherer kürzlich mit seiner ATM Galerie gezogen – weg von der Brunnenstraße, weg von Mitte. Jetzt zeigt er in einer ehemaligen Bäckerei, die neun Jahre lang leer stand, Berliner und internationale Urban Art, Graffiti und Stadtinterventionen. Außerdem nutzt er die Räume zusammen mit Steve Hiam, einem befreundeten Künstler aus London, als Atelier.

Schönekreuz, das nächste große Ding? Zum Namensvetter Kreuzkölln ist der Weg noch weit, und auch die nahe Potsdamer Straße hat als neue Galerienmeile deutlich mehr Strahlkraft. Aber es gibt Anzeichen. Anfang September fand zum zweiten Mal ein Galerienrundgang im Bergmannkiez statt, über 50 Stationen konnte man ansteuern. Kurt Richter veranstaltet in seiner Galerie „Katz und Bach“ in der Katzbachstraße jeden Freitag ein Event, Konzerte, Partys, Vernissagen. Wer aufmerksam durch die Straßen läuft, entdeckt Pflänzchen künstlerischen Schaffens, die aus dem Underground ans Tageslicht wachsen: Im Fenster einer privaten Parterrewohnung in der Monumentenstraße hängen die Reste einer Performance. Auf einem Foto lehnt eine Künstlerin namens Liena in eben jenem Fensterrahmen. Auf Filz steht in glänzenden Buchstaben: „Schau sich einer das mal an.“

Wer danach googelt, stößt zwar nicht auf die Urheberin, aber auf Sweatshirts mit dem Schriftzug, die man in einem Online-Shop kaufen kann. Im Mai füllten Künstler zehn Tage lang die Kleingartenkolonie Potsdamer Güterbahnhof am Gleisdreieck mit ihren Werken – eine große Freiluft-Gruppenausstellung zwischen Hecken und Sträuchern und in Lauben. Die Aktion „Stay Hungry“ der Kuratorin Anna Redeker und des Künstlers Theo Ligthart zog junges Szenepublikum, Galeristen und Museumsleute an und machte aus einem Schrebergarten, der bisher nicht auf der Kunstlandkarte eingezeichnet war, einen hippen Ort. So sehr, dass sich die drei Galeristen Johann König, Klosterfelde und Tanya Leighton zwei Monate später ebenfalls die Kolonie für eine „After-Opening-Party“ auserkoren hatten (und sie zu allem Überfluss auch „Stay Hungry“ nannten, aber das ist eine andere Geschichte). Den Rahmen abgesteckt haben außerdem die beiden Kunstmessen Preview und Art Berlin Contemporary (abc) mit ihren diesjährigen Veranstaltungsorten: Auf der einen Seite der Flughafen Tempelhof, auf der anderen Seite der alte Postbahnhof an der Luckenwalder Straße. Scherer hatte das gewitzt gleich auf seinen Flyer geschrieben: Die ATM Gallery liege genau dazwischen, steht da. Über einen Zufall hat er Bekanntschaft mit einem weiteren neuen Nachbarn gemacht. Scherer und Hiam saßen in einem Café in ihrem Kiez, die Hosen waren farbenbespritzt von den Renovierungsarbeiten ihrer neuen Räume. Am Nachbartisch saß Werner Müller, ebenfalls verkleckst. So kam man ins Gespräch. Müller hat kürzlich seine erste Ausstellung am neuen Standort in der Mansteinstraße eröffnet. Wie Scherer ist er aus Mitte weggezogen: 14 Jahre lang hatte er die Zwinger Galerie in der Gipsstraße geführt. Wie er denn die Neuschöpfung „Schönekreuz“ fände? „Ehrlich gesagt, weiß ich nicht, ob ich mich da einordnen möchte“, gibt er zu, „aber es ist schon eine hübsche Erfindung.“ Müller sieht sich eher in der Peripherie der Potsdamer Straße. Gleichzeitig freut er sich, dass der Kiez, in dem er selbst schon lange wohnt, sich neu belebt. Gleich nebenan trotzt die altehrwürdige Schnapsbrennerei Leydicke allen Hipster-Wanderbewegungen und bekommt nun wieder neuen Schwung. Müller verrät: „Da habe ich als Student in den Siebzigern schon Erdbeerwein und anderes Schreckliches getrunken.“ Im alten West-Berlin war der Laden Szene-Treffpunkt, die legendäre Disko „Risiko“ nicht weit weg. Künstler Steve Hiam, 40 Jahre alt, schwärmt von den Partys, die dort regelmäßig gefeiert werden und wieder mehr Künstler und anderes Publikum anzuziehen scheinen. „Der Wirt schmeißt sich an einem Abend in verschiedene Kostüme und lädt Punkrock-Bands aus England ein“, erzählt er.

Auch der Amerikaner Mike Ruiz von der Future Gallery hat sich nur wenige Hausnummern weiter an einem alten West-Berliner Szene-Ort niedergelassen. „Um die Ecke wohnt auch eine Kuratorin von den Kunst-Werken“, sagt er. Der 27-Jährige hat im Juni zusammen mit Anne Betting eröffnet, sein Schwerpunkt liegt auf neuen Medien. Zurzeit zeigt er Arbeiten von Spiros Hadjidjanos, Lindsay Lawson, Niko Princen, Rafaël Rozendaal, Swyndle and Hawky und Lance Wakeling. Ruiz ist selbst Künstler, Student der UdK, und gut vernetzt mit Projekträume-Machern und freien Kuratoren der Stadt. Die Ausstellungen wechseln in hoher Schlagzahl, alle zwei bis drei Wochen steht eine Traube Vernissage-Gäste vor der kleinen, unscheinbaren Ladenfront. Offenbar finden genug Leute hierher.

ATM Gallery, Eylauer Str. 13, Mi –Sa 13 –19 Uhr / Zwinger Galerie, Mansteinstr. 5, Di –Sa 12 – 18 Uhr / Future Gallery, Mansteinstr. 3, Do –Sa 13 –18 Uhr.

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