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Kultur: Punkten mit Pirelli

Die Berlinische Galerie hat seit 18 Monaten ein eigenes Quartier. Nun sortiert sie sich neu

Den Ponys geht es gut. Ihre Koppel ist groß genug für drei und Stroh ist auch ausreichend vorhanden. Wenn Ursula Prinz in ihrem Büro am Fenster steht und den Blick schweifen lässt, kann sie den Tieren des Kinderbauernhofs der Deutschen Schreberjugend, Landesverband Berlin e.V., beim Spielen zusehen. Ob die stellvertretende Direktorin der Berlinischen Galerie dabei an die idyllischen Seiten der Großstadt denkt, ist im Moment eher fraglich. Seit 16 Monaten residiert das Berliner Landesmuseum für moderne Kunst, Fotografie und Architektur nun schon in seinem schmucken neuen Domizil an der Alten Jakobstraße, doch die anfängliche Euphorie ist mittlerweile spürbarer Ernüchterung gewichen.

Zwar gab es damals allseits Lob für die gelungene Verwandlung der ehemaligen Lagerhalle in ein Museum. Doch in den Chor der Gratulanten mischten sich auch Stimmen, die der Berlinischen Galerie eine problematische Zukunft prophezeiten: Das neue Haus liegt ab vom Schuss in Kreuzberg, kaum im Bewusstsein des einheimischen Publikums, fern der Touristenströme – und ist damit praktisch chancenlos im Wettbewerb mit den übrigen, prominenter gelegenen Berliner Museen. 220 000 Besucher wurden in den vergangenen knapp anderthalb Jahren gezählt. Kein schlechter Schnitt, wobei die Bilanz ohne die Brücke-Ausstellung letzten Herbst, die allein 120 000 Menschen anlockte, allerdings um einiges prosaischer ausgefallen wäre.

Bei der Berlinischen Galerie wird man langsam nervös. Der Senat drängt, möchte Erfolgsmeldungen hören, nachdem er dem Museum ein schönes Haus hingestellt hat. Dass dies seinerzeit zu einem konkurrenzlos günstigen Preis geschah, interessiert im notorisch klammen Berlin mittlerweile niemanden mehr. „Wir sind hinter den Erwartungen zurückgeblieben“, sagt auch Ursula Prinz und macht dabei keinen sehr entspannten Eindruck. Wen kümmert’s, ob die Abstimmung mit den Füßen ein tauglicher Indikator für Qualität ist. Die Politik zahlt – und will Zahlen sehen.

Doch das grassierende Quotendenken in der Berliner Museumslandschaft ist für die Berlinische Galerie fatal. 28 Ausstellungen hat das Museum seit Oktober 2004 eröffnet, die meisten davon mit viel versprechenden jungen oder zu wenig beachteten älteren Berliner Künstlern. Das ist verdienstvoll, aber eben nicht gerade geeignet, ein Massenpublikum in die Alte Jakobstraße zu ziehen.

Jetzt hat die Berlinische Galerie Konsequenzen angekündigt. „Auf Dauer werden wir eine solche Menge von Ausstellungen nicht durchhalten“, sagt Ursula Prinz. Die Anzahl soll reduziert werden, um sich auf die öffentlichkeitswirksameren Veranstaltungen zu konzentrieren. Ein Beispiel, wie das künftig aussehen könnte, gibt es bereits. Demnächst wird eine Schau mit erotischen Fotografien aus dem Pirelli-Kalender stattfinden – für Ursula Prinz ein fragwürdiges Vergnügen. „Wir erhoffen uns dadurch natürlich mehr Besucher“, sagt die Museumsfrau, die sich selbst – wie auch der Direktor der Berlinischen Galerie, Jörn Merkert – über viele Jahre hinweg einen Namen als Kuratorin kunsthistorisch intelligenter Ausstellungen erarbeitet hat.

Ob das eine Entwicklung in die richtige Richtung ist, darüber darf man uneins sein. Seit der Schließung der Staatlichen Kunsthalle 1993 wird immer wieder eine Nachfolgeeinrichtung gefordert. Bislang waren die Bemühungen vergeblich, doch mit den Präsentationen in ihrem „Jetzt/Now“-Raum und dem Raum für Wechselausstellungen hat die Berlinische Galerie diese Funktion zumindest teilweise übernommen. Am heutigen Donnerstag wird nicht nur die neue Dauerausstellung erstmals gezeigt, es werden mit Sabine Hornig, Fritz Balthaus und Eberhard Blum auch noch einmal drei Berliner Künstler auf einen Schlag vorgestellt.

Doch das hat, wie gesagt, in dieser Form bald ein Ende. Stattdessen stöhnt Ursula Prinz über die internen Schulungen in Marketing, die sie seit kurzem über sich ergehen lassen muss – mit begrenztem Nutzen, aber umso höherem bürokratischen Aufwand. Die Berlinische Galerie soll mehr Geld verdienen – nur wie, ist so recht keinem der Verantwortlichen klar. Daran ist die Museumsleitung bis zu einem gewissen Grad selbst schuld. Werbung auf Taxis (nur mit Namensnennung, ohne Angabe der Adresse) oder auf Postkarten, die in Berliner Kneipen verteilt werden, sind Versuche, die bisweilen hilflos wirken. Für mehr jedoch fehlen die Mittel, und Sponsoren klingeln auch nicht täglich an der Tür. „Wir haben einfach keine Mitarbeiter, die sich darum kümmern“, sagt Ursula Prinz. Nicht jeder inspirierte Ausstellungsmacher ist gleichzeitig auch ein einfallsreicher Fundraiser. So steckt die Berlinische Galerie im Dilemma: ohne Geld keine Werbung, ohne Werbung kein Geld, zumal zusätzliche Unterstützung vom Senat sicher nicht zu erwarten ist.

Das alles könnte unschöne Folgen haben. Und ist auch ein bisschen ungerecht. Denn was die reine Museumsarbeit betrifft, so stehen Merkert und Prinz eigentlich gut da. Bei der neuen Dauerpräsentation haben sie aus dem Vollen geschöpft und die Gemälde und Skulpturen, Fotografien und Architekturmodelle ihrer immer wieder erstaunlichen Sammlung unter Oberbegriffen wie „Realismen“, „Fragmentierungen“ und „Entgrenzungen“ miteinander kombiniert. Dabei spielen die üblichen chronologischen Abfolgen weniger eine Rolle als die mitunter verblüffenden Paarungen (so hieß eine Ausstellung von Ursula Prinz im Kunstforum der Grundkreditbank), die sich daraus ergeben. Wenn man Künstler wie den Wortschöpfer Adib Fricke neben Dada-Grafik und das Lautgedicht des Fluxus-Pioniers Emmett Williams hängt, wenn in unmittelbarer Nachbarschaft Oskar Kokoschka und der junge Wolfgang Petrick auftauchen, dann sind nicht nur die bis in die Gegenwart reichenden Traditionslinien der Klassischen Moderne zu erkennen. Dann erscheinen auch die Alten plötzlich jung und überraschend frisch.

Dazu kommt, dass, seit die Neue Nationalgalerie ständig für Wechselausstellungen leer geräumt wird, die Berlinische Galerie das einzige Berliner Museum ist, in dem die Werke von George Grosz und Otto Dix, den russischen Konstruktivisten, den Dadaisten und den Malern der Neuen Sachlichkeit ihren Ort haben. So betrachtet, füllt sie sogar noch eine größere Lücke als jene, die durch ihr jahrelanges Dasein im Depot entstanden ist. Doch offenbar wissen die Berliner immer noch nicht, was sie an ihrem Museum haben. Vielleicht weil es ihnen bisher niemand deutlich genug gesagt hat.

Alte Jakobstraße 124-128. Eröffnung der neuen Dauerausstellung „Flic Flac“ sowie der Sonderausstellungen heute, 19 Uhr.

Ulrich Clewing

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