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Kultur: Puppe in der Puppe

Als Hanna Schygulla 1967 von ihrem Mitschüler Rainer Werner Fassbinder gebeten wurde, für eine erkrankte Kollegin in einer Münchner Off-Theater-Produktion einzuspringen, konnte sie nicht wissen, was daraus folgen würde.Sie habe sich in einen traumatisierten Zustand begeben und das Gefühl besessen, "mit offenen Augen zu träumen.

Als Hanna Schygulla 1967 von ihrem Mitschüler Rainer Werner Fassbinder gebeten wurde, für eine erkrankte Kollegin in einer Münchner Off-Theater-Produktion einzuspringen, konnte sie nicht wissen, was daraus folgen würde.Sie habe sich in einen traumatisierten Zustand begeben und das Gefühl besessen, "mit offenen Augen zu träumen." Diese Empfindung, sich zwischen Traum und Wirklichkeit zu bewegen und die Kraft einer intuitiven Idee zu spüren, wurde für Schygulla zum Maßstab ihrer Arbeit.Doch Fassbinder ist seit 16 Jahren tot und Kinogeschichte.Seiner erotischen Ikone, Hanna Schygulla, blieben die "bitteren Tränen" des Älterwerdens nicht erspart."Ich bin nicht meine eigene Denkmalspflegerin", sagt sie mit Blick auf die grandiosen Erfolge der siebziger Jahre.

Seit zwei Jahren tritt Hanna Schygulla mit einem Musikprogramm auf, über das die Kritiker sich immer wieder wundern.Sie habe keine Stimme, sagen die einen, warum singt sie dann Chansons? Weil sie, um eine magische Aura zu entfalten, keine Stimme braucht, sagen die anderen.Sie selbst bleibt davon unberührt.Den Vergleich mit Marlene Dietrich, Ingrid Caven oder jüngeren Chanteusen fürchtet sie nicht."Ich habe weder ein tolle noch eine schlechte Stimme", sagt sie."Sie ist ein Instrument, das mir zur Verfügung steht, um mich auszudrücken." Mit ihrem eineinhalbstündigen Programm "Quel que soit le songe" bewegt sie sich auf einem Terrain, das das traditionelle Chanson nur streift.Sie versucht dabei einen narrativen Bogen zu spannen: "Das Rezital ist eine Reise durch die verschiedenen Altersstufen und Erlebniswelten meines Lebens.Wie bei einer Matrioschka, jener russischen Holzpuppe, bei der eine Figur in der anderen steckt.So fühle ich mich: Wie eine Hanna, die in der anderen steckt und in ihr wieder eine." Sie nehme die Vergangenheit nicht als etwas wahr, das sie zurückgelassen habe, sondern als Erinnerungen, die sich gleichzeitig ins Bewußtsein drängen und eine Fülle von Alterstufen ergeben.

Auf der Bühne versucht sie, diese Gleichzeitigkeit darzustellen."Die Lieder sind Mini-Dramen, die ich mit meiner Stimme und meinem Körper auslebe." Viel benötigt sie nicht.Nur Licht, den Pianisten und sich selbst - eine Schauspielerin mit Sinn für die feinen Nuancen seelischer Empfindungen.Die Schygulla singt Texte von Fassbinder, Thomas Bernhard, Peter Handke, Heiner Müller, Jean Claude Carriere, Baudelaire und Rimbaud allesamt in französischer Sprache.Die deutschen Autoren hat sie selbst ins Französische übersetzt.Man erwartet nicht, daß sie ihre Gefühle preisgibt, deshalb ist man fast dankbar, wenn ihr auf der Bühne etwas mißlingt.Es macht die Legende wirklicher und sympathischer."Ich habe nicht den Zug zum Vollkommenen", wehrt sie ab." In allem, was Kunst ist, ist Überraschung enthalten.Wenn sie fehlt, dann fehlt das Geheimnis."

Hanna Schygulla singt heute abend in den Kammerspielen des Deutschen Theaters 20 Uhr

KAI MÜLLER

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