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Kultur: „Putin ist ein neuer Typus Mann“

Die Berliner Dramatikerin Marianna Salzmann über die Wahlen in Russland.

Frau Salzmann, Sie schreiben gerade an einem Theaterstück über die aktuellen Ereignisse in Russland. Können Sie erklären, warum Putin bei den Russen so beliebt ist?

Es gibt extrem viele Gründe. Er ist der erste Nicht-Alkoholiker, er sieht aus wie ein Mann und nicht wie ein aufgeschwemmtes Maskottchen. Es gibt ja einen Hype um seinen Sex-Appeal. Außerhalb Russlands findet man das wahrscheinlich sehr lustig. Putin hat gute Manieren, redet gewandt, schiebt dir den Stuhl hin und sagt Sätze wie: Wir schlagen unsere Frauen nicht. Wir wollen gesund sein. Er verkörpert einen neuen Typus Mann. Vor kurzem hat er angeblich beim Tauchen antike Vasen entdeckt und tritt immer wieder mit freiem Oberkörper auf. Das ist so lächerlich, dass Europa ihn nicht ernst nimmt. Und das ist das Problem.

Sie haben mit ihrer Familie 1995 Russland verlassen. Warum?

Weil wir Juden sind. Kontingentflüchtlinge, so lautete unser Status, als wir hierher kamen. In Russland sagt man, man leidet an Paragraf 5. Unter diesem Paragrafen ist die Nationalität festgehalten und bei mir steht „jüdisch“. In Russland wird man dann anders behandelt.

An was denken Sie, wenn Sie an Ihre Kindheit in Russland denken?

An meine Großeltern. An meinen Theaterunterricht und meine Ballettstunden, worin ich furchtbar war, oh Gott. Und an meine Mutter, die Geschenke mitgebracht hat, als die ersten Westgeschäfte aufgemacht haben und die wollte, dass ich in guten Sachen in die Schule gehe. In den ersten drei Klassen musste ich noch Uniform tragen, dann durfte ich bunte Kleider tragen. Also eigentlich ganz schöne Erinnerungen.

Möchten Sie als russischstämmige Autorin wahrgenommen werden?

Natürlich nicht! Ich bin keine Deutsche, aber ein Teil dieses Landes. Ich zahle Steuern und leiste meinen Beitrag in der Kunst. Ich sehe das auch an meinen Kollegen mit sogenanntem Migrationshintergrund. Ich mag das Wort nicht. Wenn ein Autor, der vom Literatur- und Theatermarkt als Türke verstanden wird, eine nicht-migrantische Geschichte erzählen will, bekommt er keine Chance. Das muss dann alles ein bisschen Ghetto sein, ein bisschen Hermannplatz. Das macht mich wahnsinnig. Beim Kleist-Förderpreis hieß es in den Medien: „Unsere russische Autorin!“ Ich schreibe auf Deutsch und mein Stück „Muttermale Fenster blau“, für das ich die Auszeichnung bekommen habe, hat nichts mit Russland zu tun. Das Erste, was man über mich lesen konnte, war, dass ich mit Goethe Deutsch gelernt habe. Blödsinn.

Warum machen Sie Theater?

Damit die Leute ihre Positionen hinterfragen. Ich will die Zuschauer verunsichern, weil auch ich mich ständig verunsichert fühle. Eine Freundin sagte kürzlich: Don’t believe what you think. Ein wichtiger Satz. Die Welt ist jeden Tag eine neue.

Um was geht es in Ihrem neuen Russland-Stück „Rot Werden“?

In dem Dokumentarfilm „Der Fall Chodorkowski“ über den inhaftierten russischen Milliardär wird von einer Oligarchen-Siedlung erzählt. Sieben Häuser, so groß wie Kleinstädte. Fünf von diesen Häusern sind leer, weil die Oligarchen nach der Verhaftung Chodorkowskis geflohen sind. Aber die Dienstboten sind geblieben. Und sie putzen noch und tauschen Konserven aus – für mich eine Metapher der aktuellen russische Situation. Davon träumt meine deutsche Protagonistin: echte russische Männer, Wohlstand, eine starke Hand. Die Präsidentschaftswahl hat ja etwas von einem klassischen Drama. Es gibt den bösen Diktatur Putin, den bösen Oligarchen, den rot-roten Kommunisten, den rechts-rechts-rechts-konservativen Rechten und einen No-Name, der zur Wahl wahrscheinlich nicht zugelassen wird. Dramaturgisch ist das gut gebaut.

Wie frei sind Künstler in Russland?

Viele Leute schaffen es, in der Enge zu arbeiten. Zum Beispiel im Moskauer Teatr Doc: Unter den unmöglichsten Bedingungen zeigen sie dort dokumentarische Stücke, in denen Unrechtsfälle aufgegriffen und nochmals geprüft werden. Wobei die Politik dann wieder sagen kann: Seht her, wir tolerieren Kritik.

Was machen Sie am Wahlsonntag?

Ich werde mit meiner Mutter in Hannover telefonieren und wir erzählen uns jüdische Witze. So machen wir das immer angesichts einer unmöglichen Situation, über die man nicht vernünftig reden kann.

Sie lieben Galgenhumor.

Klar! „Marianna, Du musst immer sehr fleißig sein und viel lernen, dann wirst du eine große russische Autorin.“ – „Aber Mama, was ist, wenn ich gar nichts tue und faul bleibe?“ – „Na, dann bleibst du für immer eine kleine, unbekannte Jüdin.“ Das habe ich oft gehört.

Was wünschen Sie sich denn für Russland?

Eine Rosa Luxemburg, Clara Zetkin, ein bisschen Lenin, eine homosexuelle Präsidentin mit tschetschenischem Hintergrund. Ich glaube, dass eine Veränderung kommen wird. Weil sie kommen muss.

Das Gespräch führte Anna Pataczek.

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