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Kultur: Putins Njet

Eine Miniatur von Dragan Aleksic.

Vor sechs Jahren, als wir in die USA kamen, lernte mein älterer Sohn in der Schule den Jungen Henry kennen, der ihm erzählte, dass er aus Russland stammte und mit zwei Jahren adoptiert worden war. Eines Tages fotografierte ich in der Schule Henry und meinen Sohn Stevan. Unter die Fotografie schrieb ich „Slavic People“ und bat meinen Sohn, sie Henry als Geschenk mitzubringen. Am nächsten Tag erzählte mir mein Sohn, dass das Foto Henrys Vater sehr gefallen hatte. Henry lud oftmals Freunde von der Schule in sein großes Haus in einer schönen Straße zum Spielen ein. So lernte ich Henrys Eltern kennen.

Der Vater arbeitete im Theater, die Mutter in der Post. Der Vater bearbeitete gerne Holz und hatte in seiner Garage eine kleine Werkstatt. Einmal fertigte er den Jungen Schwerter nach ihren Entwürfen. Henrys Vater liebte Musik, und in seiner Garage stellte er nicht nur Schwerter für die Kinder und Landschaftskulissen für eine Theatervorstellung her, sondern er spielte darin auch mehrmals pro Woche Jazz mit seinen Freunden. Er spielte Saxofon und Henry besuchte Klavierunterricht. Henry war Mitglied der Kindertheatergruppe in dem Theater, in dem sein Vater arbeitete. Henry trainierte Schwimmen. Henry reiste während der Schulferien mit seinen Eltern quer durch Amerika.

Als vor ein paar Monaten mein Sohn begann, für das Schwimmteam der Schule zu trainieren, sah ich Henry wieder. Nun war er nicht mehr der neunjährige blonde, russische Kuschelbär, sondern ein hochgewachsener, schlanker, gut aussehender, eleganter junger Mann. Die Schwimmer und Schwimmerinnen kamen, den Schulregeln folgend, zum Wettbewerb feierlich gekleidet: Stoffhosen, weiße Hemden, Krawatten, die Mädchen in Röcken, weißen Hemden, dunklen Sakkos und schönen Schuhen ... Nach jedem Schwimmwettbewerb plauderte Henrys Vater mit mir. Er lobte meinen Sohn und ich lobte Henry. Beide waren wir froh, dass die Jungs sich gut verstanden und gemeinsam diesem gesunden Sport nachgingen.

Vor ein paar Tagen erzählte mir Henrys Vater: „Ich habe in den Fernsehnachrichten gesehen, dass Putin den Amerikanern verboten hat, in Zukunft Kinder aus Russland zu adoptieren.“ Ich sagte zu dem Mann, der vor 13 Jahren mit seiner Frau ins ferne Russland reiste und in einem erbärmlichen Waisenhaus teures Geld für den kleinen zweijährigen Jungen zurückließ, dem er von dem Moment an, als er ihn erblickte, sein ganzes Leben widmen sollte: „Wladimir Putin sagte Njet. Würde er dich und Henry kennen, hätte er das nie getan. Putin sagte Njet und es wird keine neuen Henrys mehr geben, keine Väter wie dich und Mütter wie deine Frau, es wird keine so glücklichen Familien mehr geben. Vergeblich werden Jungen und Mädchen in den Waisenhäusern Russlands zur Türe hin spähen: In diesen Türen werden keine Eltern mehr auftauchen.“

Der Autor, 1958 im serbischen Bela Crkva geboren, lebt seit 2006 in North Olmstedt im US-Bundesstaat Ohio. Im Berliner Verlag Matthes & Seitz erschien 2011 sein Miniaturenband „Vorvorgestern“. Den hier gedruckten Text hat Elena Messner aus dem Serbischen übersetzt.

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