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Auch der Auster-Roman "4 3 2 1" hat seine Längen.

© Kai-Uwe Heinrich

Quälen ist sinnlos: Bestseller abbrechen – oder nicht?

Auf Twitter fand der Hashtag #abgebrocheneBestseller viel Resonanz. Bücher, mit denen man nicht zurechtkommt, sollte man tatsächlich weglegen.

Von Arno Schmidt stammt die legendäre Berechnung, dass es einem literaturaffinen Menschen nicht vergönnt ist, mehr als 3150 Bücher in seinem Leben zu lesen. Schmidt ging dabei von einer „aufnahmefähigen“ Lesezeit von nur 45 Jahren aus, vom 15- bis zum 60. Lebensjahr. Doch selbst wenn jemand bei gutem Verstand, sagen wir: bis zu seinem 80., 85. Lebensjahr bleiben und die doppelte Menge, also 6300, womöglich gar 10.000 schaffen sollte, sind diese Zahlen, wie Schmidt es schrieb, wirklich ein „erschreckender Umstand“, der zur Umsicht und sorgfältigen Auswahl mahnt.

So ist es unbedingt begrüßenswert, dass in den letzten Tagen beim sogenannten Mikroblogging- und Kurznachrichtendienst Twitter mit seinem Pop-immanenten Listenwesen der Hashtag #abgebrocheneBestseller auf viel Resonanz stieß.

Erstaunlich war wieder einmal, mit was für einem heiligen Ernst die Twitter-Literatur-Gemeinde dabei zur Sache ging und viele Bücher nannte, die gemeinhin zur Hochkultur zählen: Salman Rushdies „Satanische Verse“ oder Robert Musils „Mann ohne Eigenschaften“, Günter Grass’ „Blechtrommel“ oder das Gesamtwerk des kolumbianischen Literaturnobelpreisträgers Gabriel Gárcia Marquez, Jonathan Franzens „Korrekturen“ oder Uwe Tellkamps „Turm“, um nur ein paar zu nennen.

Leser von Bestsellern machen es sich gern darin gemütlich

Klar, es waren auch Titel von Dan Brown, Diana Gabaldon, Simon Beckett, Frank Schätzing dabei, die von klassischen Bestsellern, also Schmökerware. Die kann man zwar schneller und leichter lesen als zum Beispiel den „Mann ohne Eigenschaften“ oder den „Zauberberg“, trotzdem sind sie Zeitfresser. Und werden oft auf ein bestimmtes Gewicht, eine hohe Seitenzahl hingeschrieben, auf dass Leser und Leserinnen es sich richtig gemütlich machen können, auf dass diese inständig hoffen, die 1000 Seiten mögen nie zu Ende gehen.

Ob nun aber Schmöker oder literarische Werke, ob Bestseller oder nicht – die vorgegebene Lebens- und Lesezeit ist zu kostbar, der Bücher gibt es viel zu viele. Schmidt sprach da schon vor weit über einem halben Jahrhundert, vermutlich einfach mal so über den Daumen gepeilt, von „zwischen 10 und 20 Millionen Bücher auf unserem Erdenrund“. Weniger sind es ganz sicher nicht geworden. Weshalb es geradezu eine Pflicht ist, Bücher abzubrechen, sie wegzulegen, wenn man während der Lektüre merkt, mit ihnen nichts anfangen zu können, sich ein Anfangsverdacht verstärkt, dass dieses Buch nicht passt. Man wundert sich da fast, dass der #abgebrochene Bestseller zu einem Trend bei Twitter wurde.

Keine Zeit für Kitsch oder Durchschnitt

Allerdings ist es eine heikle Angelegenheit, vom Beginn beispielsweise eines Romans auf das Ganze zu schließen. Die ersten Sätze müssen gerade in der Literatur nicht immer gleich „hereinziehen“. Es braucht auch die Gewöhnung an einen Stil, an eine bestimmte Form, ein Einlesen. Fünfzig bis hundert Seiten sollte man den allermeisten Büchern schon geben, sonst könnte vielleicht doch etwas Aufregendes, Großes verpasst werden.

Nur sich zu quälen, weil man ein pflichtbewusster Mensch ist und dem Buch zumindest bis zum Ende Gerechtigkeit widerfahren lassen will, ist meistens sinnlos. Das gilt genau so für die Bücher einer Ildikó von Kürthy, einer Rebecca Gablé und selbst eines Stephen Kings, der oft gute, aber noch öfter viel zu lange Bücher schreibt.

Arno Schmidt hat es damals natürlich anders ausgedrückt, Bestseller und Schmökerzeugs hatte er sowieso nicht auf seiner Bücher-pro-Leben-Rechnung: „Sie haben einfach keine Zeit, Kitsch oder auch nur Durchschnittliches zu lesen: Sie schaffen in ihrem Leben nicht einmal sämtliche Werke der Hochliteratur“. Das ist bitter. Deshalb kann es nur heißen: nicht rechnen, sondern lesen!

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