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Kultur: Radio Rosa Luxemburg

Parmesan und Partisan, wo sind sie geblieben - Partisan und Parmesan, alles wird zerrieben. Matthias Beltz ist tot.

Parmesan und Partisan, wo sind sie geblieben - Partisan und Parmesan, alles wird zerrieben. Matthias Beltz ist tot. Er starb am Mittwoch, als er sich in seiner Wohnung in Frankfurt-Sachsenhausen auf den Weg zur Arbeit vorbereitete. Das sei interessant, hat mir Johnny Klinke gesagt, denn wie man stirbt, wäre nicht ohne Aussage. Um 19 Uhr war Showtime angesagt. Und Beltz ist nicht gekommen. Manche sterben bei der Arbeit, andere hinterher, Matthias Beltz hat abgebrochen, als er sie gerade vor sich hatte. Moderation im Variété "Tigerpalast", den er zusammen mit Margareta Dillinger und Johnny Klinke mitbegründet hatte und dort regelmäßig ein- oder zweimal im Jahr durchs Programm führte.

Oft zwei Shows am Tag, das ist für den Kabarettisten Knochenarbeit, aber faszinierend durch die Begegnung mit den Mathematikern, Ingenieuren, Athleten und Erotikerinnen der Unterhaltungsbranche: den Akrobaten. Der Ansager im Variété, wenn er gut ist, packt die Spannbreite von Demut bei der Präsentation der Artisten und Profilierung im eigenen Solo. Wenn man Contorsionistinnen am Trapez, Tempojongleuren und Tigerdompteuren an die tausend Mal aus nächsten Nähe zusieht, wie sie oft mit Lebensgefahr immer neu genau das gleiche machen, dann erfährt man, so hat es mir Matthias Beltz erzählt, wie unordentlich das eigene Kaberettisten-Handwerk ist und wie spannend die Herausforderung, mit den Artisten gleichzuziehen.

Vielleicht ist von hier aus eine Formulierung zu verstehen, die für einen "politischen" Kabarettisten überraschend klingt. Ihm ginge es um Verzauberung des Publikums. Die Leute vor sich zu erleben, wie sie durch seine Wortaktionen von der Wirklichkeit abheben und er sie für einige Zeit in tranceähnliche Zustände versetzt. Damit hatte sich Beltz den Abseitsfallen der Kabarettkritiker entzogen: das Verlangen nach Erkenntnis, Biss, das im Hals steckenbleibende Lachen.

Matthias Beltz hat sein Ideal komischerweise vor allem mit den Nummern erreicht, die in seinem Solo-Programm am meisten abgehoben und kompliziertesten schienen. Damit kommt man seiner speziellen Artistik auf die Spur, die nicht so sehr in der Fähigkeit zu Wortwitz und Assoziationskunst, Reimeschmieden und Aphorismenschnitzen bestand. Darüber verfügte er großartig, aber das war für ihn nicht Ziel der Darbietung, sondern ihr Mittel, wie beim Akrobaten die körperliche Fitness und Sicherheit der Griffe, die Macht in der Politik und der Becher beim Joghurt. Aber erst im Spagat, Salto rückwärts und Neun-Bälle-Jonglage kommen Unterhaltung und Kunst zusammen.

Solche Saltos vor und zurück hat auch Matthias Beltz geschlagen und absturzgefährdete Drahtseilbalancen riskiert: vom Polit-Philosophen Carl Schmitt zum Hausmeister als Freund-Feind-Praktiker und wieder zurück; Weltzusammenhänge in Heinz-Erhardt-Format; Welttheater nicht in fünf langen Akten sondern mit zehn Sätzen auf Tempo gebracht. In seiner Herangehensweise war Matthias Beltz der Gesellschaftsphilosoph unter den Kabarettisten. Die Kombination von Rosa Luxemburg und Radio Luxemburg. Die unbändige Lust, sowas im Kalauer zu erden. Abheben in die Höhenluft von theoretischen Einsichten, um wieder sicher auf dem trügerisch durchweichten Kuchenboden des Erdbeertörtchen zu landen.

Der Kabarettist braucht Feinde und die Freude, sie nach allen Regeln der Kunst fertigzumachen. Aber auch hier Abseitsfallen. Die billige Denunziation zum Beispiel, die spießige Überheblichkeit, der positionslose Rundumschlag, die Pose des superschlauen Durchblicks, die Flucht in denunziatorische Typenkomik. Für Matthias Beltz waren solche Attitüden unästhetisch. Er hatte seine Methode entwickelt, für die unterschiedlichen Aspekte die jeweils adäquate Darstellung anzuwenden, dementsprechend mit vielen Stilmitteln experimentiert und seine Montagetechnik mit der wahrscheinlich größten Formenvielfalt ausgebaut.

Und immer gewieft vorgehend. Die faschistoide Dumpfbacke um die Ecke beispielspielsweise hat er nie unterschätzt, sondern ist (nach dem Motto von Mao: den Feind strategisch verachten, aber taktisch ernst nehmen) quasi trojanisch in diese Typen eingebrochen, hat sie mit ihrem eigenen Selbstverständnis von innen heraus zur Explosion gebracht hat. Die Integration von Verständnis und Exekution. Er war der polemischste unter den Kabarettisten, der den Säbel ganz harter Satire mit einer unvergleichlichen Zärtlichkeit schwang. Seine Killerpointen konnten sehr sanft kommen.

So gäbe es über Matthias Beltz noch sehr viel zu erzählen, von sehr, sehr vielen. Dass er auf einmal tot ist ("jäh", "unvermutet", "mitten aus dem Leben gerissen" usf), dafür gibt es keinen Trost. Die Gedanken rotieren, um sich auf diesen plötzlichen Verlust einen Reim zu machen und damit den Schmerz und die Trauer zu bändigen. Aber bei Matthias keine Chance. Nix tragisch, schicksalhaft oder mit dem Mull eines Sinns zu ummanteln, und die medizinischen Erklärungen bleiben rein physisch, also für die Erklärungsnot ungenügend. Eigentlich unverschämt vom Beltz, so krass nicht mehr da zu sein, ohne dass man Matthias einen Vorwurf machen kann. Ein Zumutung von ihm, bei der er aber selbst das Opfer ist. Eine ganz schwarze Schlusspointe, bei der es nichts zu lachen gibt. Also denke ich viel an die Lebensgefährtin und Frau von Matthias, Christiane. Und lenke die Motorik meiner Trauer wieder auf die Spur von Johnny Klinke: wie jemand stirbt. Beltz hat aufgehört, als er was vorhatte. Menschen in Stimmung und Trance zu versetzen durch die Artistik, das Komplizierte als Kalauer vorzuführen. Und auf vorhandene Antworten präzise Fragen zu passen. Beispiel? "Gott ist tot, du lebst, warum?"

Heinrich Pachl

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