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Kultur: Rächer des Geerbten

„Spider-Man 3“: Im letzten Teil von Sam Raimis Trilogie schlägt das Imperium der Bösen zurück – und der Superheld wird eitel

Wo kommen die bloß immer alle her? Sandman hat sich zwar gerade verkrümelt, aber gewiss nur vorübergehend. Goblins zorniger Sohn wird wohl auch noch mal wiederkehren. Die schwarze Schlabbermasse wartet schon, und Scharfzahn Venom bekommt auch noch seinen Auftritt. Spider-Man hockt sich erschöpft aufs Dach eines Hochhauses, klopft den Sand aus seinem Stiefel und fragt sich mit einem leichten Anflug von Dienstroutine: Wo kommen die bloß immer alle her? Es ist einer dieser kleinen, selbstreflexiven Augenblicke, die Regisseur Sam Raimi geschickt in seine Filme streut, ohne dass sie ironisch werden müssen: „Spider-Man 3“ ist das Endstück einer Trilogie, und da darf es von jeder Zutat ein wenig mehr sein. Vier prachtvolle Fieslinge werfen sich diesmal in die Schlacht. Schade nur, dass in dem Gedränge keiner die Zeit bekommt, die er eigentlich verdient.

Es beginnt allerdings beschaulich. „Ich bin’s wieder, Peter Parker!“, flötet Spider-Mans bürgerliches Ich aus dem Off und berichtet: Alles bestens. Mary Jane steht ihm zur Seite, New York liegt ihm zu Füßen, das Böse darbt. Spiderman, so scheint es, ist angekommen. Ein Held, der sich nicht quält.

Ankommen – das darf im SuperheldenComic mit seiner Wiederholungsstruktur und retroaktiven Kontinuität eigentlich nicht sein. Wenn da mal geheiratet wird, dann meist nur in einem instabilen Paralleluniversum. Aber „Spider-Man“ stand immer schon im Spannungsfeld von Heldenmythos und Bildungsroman: Als Stan Lee seine Spinne erfand, schuf er die Grundlage für eine Erzählung vom Werden eines Helden – lesbar auch als Pubertätsmetapher eines Jungen aus Queens, der sich mit den Veränderungen seines Körpers konfrontiert sieht. Von allen Vorlagen, die in den letzten Jahren verfilmt wurden, bot sich „Spider-Man“ besonders an, als es darum ging, den Heldencomic endgültig aus dem Mythos in den Bildungsroman zu überführen.

Im ersten Film hatte Peter Parker (Tobey Maguire) seine Fähigkeiten entdeckt und die Verantwortung akzeptiert, die ihm daraus zufällt. Im zweiten rang er darum, seine Gabe in Einklang mit einem gesellschaftlichen Leben zu bringen – und war zeitweise so unglücklich, dass er sein Kostüm in die Tonne warf. Nun schwingt das Pendel in die andere Richtung: Stolz und Zufriedenheit schlagen um in Ignoranz, schließlich gar in Machtdünkel und Rachedurst. Die namenlose schwarze Schlabbermasse – ein Symbiont, der die negativen Eigenschaften seines Wirts verstärkt – bemächtigt sich seiner. Sein Image passt sich an: Spider-Man trägt jetzt das enge Schwarze auf, Peter Parker schwingt die Hüfte und kämmt sich frech die Haare zum Hitlerscheitel.

Eine gute Balance zu finden, das war von Beginn an das Leitmotiv dieser Trilogie. Und Balance war auch das kleine Wunder der ersten beiden Spider-ManFilme von Sam Raimi. Es ist schwer geworden, einen guten Blockbuster zu machen, weil sie mittlerweile so kostspielig sind, dass kein Raum bleibt für Gründlichkeit oder Erfindungsreichtum. Raimi, darin nur noch mit Peter Jackson („Herr der Ringe“) vergleichbar, gelang das seltene Kunststück dennoch gleich zweimal: So glänzend und zwanglos wurden Abenteuer und Romanze, Humor und Herz, „Teenage-Angst“ und die Ansprüche der Fanboys selten in Einklang gebracht. Sein dritter „Spider-Man“ allerdings will die beiden Vorgänger so unbedingt übertreffen, dass es einiger Hilfskonstruktionen aus der Mottenkiste des Drehbuchschreibers bedarf, damit aus den vielen Beigaben und Handlungssträngen kein Schlamassel wird.

Peter Parker und Harry Osborn (James Franco) zum Beispiel. Eigentlich müsste dies doch der Film sein, in dem sich die sorgfältig eingefädelte Konfrontation von ehemals besten Freunden zum Drama zuspitzt. Doch Harry ist gar keine Person mehr. Er ist nur noch dramaturgisches Mittel. Im ersten Abschnitt tritt er als rachelustiger Gegenspieler auf. Als aber Sandman auf der Matte steht, muss die Feindschaft ruhen, denn das große Alle-gegen-Alle darf natürlich erst am Schluss stattfinden. Also erleidet Harry rechtzeitig – Plop! – einen Gedächtnisverlust. Später wird Harry wieder als Gegenspieler gebraucht, und – Plop! – sind Gedächtnis, Vaterkomplex und biblischer Hass wieder da. Gegen Ende schließlich brauchen die Autoren den armen Kerl noch mal anders, und – Plop! – wird er von einer beliebigen Figur mit ein, zwei Sätzen zur totalen Erkenntnis gebracht. Keine Entwicklung, keine Konflikte, keine Logik und auch keine echten Überraschungen – nur forcierte Weggabelungen, die über den Film gestreut sind, um die gewünschte Konstellation für die anstehende Actionszene herzustellen.

„Spider-Man“ 1 und 2 kamen noch ohne diese steifen Handlungsgelenke aus. Jetzt strukturiert das Kai-aus-der-Kiste-Prinzip den gesamten Film, und jene über drei Filme hinweg etablierte Spannung zwischen Harry, Peter und Mary Jane (Kirsten Dunst) fällt in sich zusammen. Die Zutaten sind da, sie werden aber nicht entwickelt, sondern grob verknüpft. Die Balance ist hin: „Spider-Man 3“ ist nur noch eine Comicverfilmung.

Wenn aber die Enttäuschung darüber erst mal verflogen ist, gibt es in diesem 140-Minuten-Film noch viel zu genießen. Sam Raimi und seine Techniker perfektionieren ihre Actionästhetik, die in starkem Kontrast zur fernöstlich inspirierten Kampfkunst der „Matrix“ oder dem neuen Quasi-Realismus aus „Casino Royale“ steht: Hier geht es weniger um den Zusammenprall von Massen, sondern um die Bewegung selbst – den Flug durch die Häuserschluchten und das Durchkreuzen feindlicher Flugbahnen. Diese Kämpfe, eingefangen von einem Kameraauge, das die Bewegungswucht der Figuren wie ein Gegengewicht mitvollzieht, sind laut, rasant – und schön. Und die Geburt des traurigen Sandman (Thomas Haden Church), eines Formenwandlers, der leise rieseln und zugleich kraftvoll zuschlagen kann, ist atemberaubend.

„Spider-Man 3“, der vermutlich teuerste Film aller Zeiten, ist erst der Anfang eines Kinosommers, der zum finanziell erfolgreichsten Hollywoods werden könnte: „Shrek die Dritte“, „Pirates of the Caribbean 3“, „Ocean’s Thirteen“, „Harry Potter“ ... nichts als Fortsetzungen, und doch kann man sich auf diese Filme freuen wie auf „Spider-Man 3“. Und Sam Raimi und den Seinen, die ein paar Jahre in diese Trilogie investiert haben, wünscht man eine Verschnaufpause. Dann aber sollen sie wiederkommen, mit neu gewonnenen Kräften. Denn dort, wo Sandman, Goblin, Venom und die schwarze Schlabbermasse herstammen, da gibt’s noch viele andere.

Ab Mittwoch in 24 Berliner Kinos. OV im Cinestar Sony-Center

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