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Er lebte in Rom, stellte überall aus. Cy Twombly in seiner Galerie im Menil Collection Art Museum in Houston, Texas.

© Polaris/laif

Rätselhafte Linien: Die Farben des Meeres

Neue, andere, verstörende Formen: Die Gemälde des US-Künstlers Cy Twombly wurden lange als "Gekritzel" geschmäht - bis sich ihre Expressivität durchsetzte. Jetzt ist der Wahl-Europäer 83-jährig in Rom gestorben. Ein Nachruf.

Farben zucken gewittrig über die Leinwand, verdichten sich, verfließen, Linien verwirren, knicken ab, enden im Nichts, im leeren Weiß der Leinwand. Und doch ist ein Drama zu spüren, das Ungreifbare ist greifbar nah. Cy Twombly hat es „Lepanto“ genannt, wie der Ort im Golf von Korinth, in dem die Venezianer 1571die Türken in einer Seeschlacht besiegten, die stolze Republik zwang das osmanische Sultanat in die Knie, ein Clash of Civilizations, der den Zeitgenossen als Wendepunkt der Weltgeschichte vorkam.

Er blieb dann doch nur Episode, doch Cy Twombly hat den Namen für seinen zwölfteiligen Gemäldezyklus von 2001 mit Bedacht gewählt. Wo der unvorbereitete Betrachter nur Liniengewirr und Farbsprengsel wahrnehmen mag, ruft der Maler die ganze Geschichte des Mittelmeerraums ins Gedächtnis, denn Lepanto steht stellvertretend für all die Schlachten, die auf den Wellen jenes Meeres ausgetragen wurden, das die Römer als mare nostrum vereinnahmten.

Ein mare suum war es für Cy Twombly. 1928 im amerikanischen Virginia geboren, dem Staat, der seinen Namen aus dem Lateinischen herleitet, war er der Maler des Mittelmeers und der umliegenden Länder, ihrer Geschichte und ihrer Mythen. Twombly fand in Rom seinen Sehnsuchtsort, er lebte dort ein halbes Jahrhundert, nachdem er nach langen Reisen zwischen Europa und Nordafrika sesshaft geworden war. Am Dienstag ist er in seiner Wahlheimat im Alter von 83 Jahren nach langer Krankheit gestorben.

Twombly reiht sich ein in die lange Liste der Auslandsamerikaner, die anderenorts einen kulturell ergiebigeren Boden suchten, die sich, anders als die jeweiligen Einheimischen, denen die eigene Geschichte und die eigenen Mythen selbstverständlich sind, davon inspirieren ließen, ja sich damit vollsogen und den uralten Erzählungen eine nie dagewesene Form gaben.

Twomblys Formen sind neu, anders, verstörend. Lange Jahre wurden seine skripturalen Gemälde als „Bleistiftgekritzel“ geschmäht. Noch die Nachricht seines Todes versehen die Agenturen mit dem Hinweis, seine Gemälde sähen aus, als hätte jemand beim Telefonieren gelangweilt auf einem Block herumgemalt. Gewiss macht es Twombly dem Betrachter nicht leicht; als ob es darauf überhaupt ankäme. Twomblys reife Gemälde der letzten Jahre zeigen nichts aus der physischen Wirklichkeit, sie sind nicht einmal abstrakt in dem Sinne, dass sie etwas Vorgefundenes verknappen, sie sind schlichtweg ungegenständlich.

Sie sind zunächst vor allem weiß. Auf diesem Weiß, als ob es nicht berührt werden dürfte, finden sich Linien, zittrige, nervöse Striche, die sich ziehen, kreuzen und kreisen. Farbe kommt hinzu, bleibt aber örtlich begrenzt – was sie um so ausdrucksstärker macht,. Allein im „Lepanto“-Zyklus hat sich Twombly der Farbe in überwältigender Weise bedient.

Linie und Farbe sind bei ihm stets von großer Intensität, sie sind expressiv. Also liegt es nahe, Cy Twombly zunächst dem Abstrakten Expressionismus amerikanischer Prägung zuzuordnen, neben Jackson Pollock, Mark Rothko oder Willem de Kooning. Bereits mit 14 Jahren begann Twombly, Malkurse zu besuchen, studierte dann in Rome, Georgia und bei der berühmten Art Students League in New York, dem unerschöpflichen Reservoir amerikanischer Künstler des 20. Jahrhunderts. Schließlich ging er ans zeitweise noch berühmtere Black Mountain College, das in den frühen 50er Jahren das künstlerische Zentrum Nordamerikas bildete. Sein Lehrer war Robert Motherwell.

Mit Robert Rauschenberg, dem späteren Mitbegründer der Pop Art, den er in New York kennenlernte, unternahm er ausgiebige Reisen, von Italien bis Marokko: Beginn einer lebenslangen Freundschaft. Man muss sich Cy Twombly, als er sich 1957 in Rom niederließ und bald eine Italienerin heiratete, als einen gelehrten Maler im antiken Sinne vorstellen, in der Literatur bewandert, besonders der Poesie. Über den Einfluss von Stéphane Mallarmé auf sein Frühwerk hat er sich selbst geäußert. Der berühmte, bereits in Rom entstandene Gemäldezyklus „Poems to the sea“ nahm Gezeichnetes, Geschriebenes, Skizziertes auf. Auch so ist Twomblys Arbeit zu verstehen: als Verschmelzung von Malerei und Dichtkunst. Es verwundert nicht, dass Roland Barthes, der über den Mythos arbeitete und den „Tod des Autors“ verkündete, auch über Cy Twombly geschrieben hat.

Seine großformatigen Bilder hängen in den bedeutenden Sammlungen der Welt, etwa im New Yorker Museum of Modern Art, auch im Hamburger Bahnhof in Berlin ist er prominent platziert. Eines seiner wandfüllenden Werke verursachte 2007 bei einer Französin in Avignon einen derart heftigen Glücksmoment, dass sie das Gemälde küsste – die Entfernung des Lippenstifts kostete 4500 Euro.

Der Künstler selbst war ein zurückhaltender Mann. Der Rummel, den seine Altersgenossen von Rauschenberg bis Warhol genossen, war ihm zuwider. Ob er die astronomischen Preise als Bestätigung empfand, die der Kunstmarkt auf seine Werke setzte, ist kaum anzunehmen. Bedeutende Ehrungen wurden ihm zuteil, so der Goslarer Kaiserring 1995, im Jahr darauf der Praemium Imperiale. Und doch hat das Kunstpublikum immer mit Unsicherheit auf seine Arbeiten reagiert, die es nicht einzuordnen wusste und weiß.

Für die Faszination, die von seinen verschlüsselten Gemälden ausgeht, fehlt oft das Sensorium – wenn man sie nur flüchtig anschaut. Dabei hatten die écriture automatique der Surrealisten und später das Informel der Nachkriegszeit durchaus den Boden bereitet, auf dem die Kunst Cy Twomblys reifen konnte. Und man muss das anspruchsvolle Werk des Malers und in jüngerer Zeit auch des Bildhauers ja nicht im Vorbeigehen wahrnehmen. Mit gutem Grund hat das Sammlerpaar Brandhorst, als es im Gegenzug für die Schenkung seiner Sammlung von München ein Museum gebaut bekam, einen eigenen Saal für den „Lepanto“-Zyklus vorgesehen, in dem sich alle zwölf Bilder mit einem Blick erfassen, dann aber eines nach dem anderen betrachten lassen.

Der Seesieg bei Lepanto war das letzte große Ereignis, das die späte Renaissance noch einmal zu künstlerischen Anstrengungen herausforderte. Palladio hatte seine Loggia del Capitaniato in Vicenza 1571 errichtet und mit Motiven geschmückt, die den Sieg verherrlichen. Um Palladios Bauten zu sehen, war der amerikanische Maler einst ins Veneto gereist.

Mit Cy Twombly ist nun ein amerikanischer Künstler gestorben, der sich der Tradition verpflichtet fühlte, dem Erbe des Mittelmeerraums als der Wiege Europas. Auf seine Weise hat er es aufgezeichnet – mit mal zarten, mal kräftigen Spuren auf weißem Grund.

Twomblys Werke sind in Berlin im Hamburger Bahnhof zu sehen. 60 seiner Gemälde und Skulpturen sind in der Münchner Sammlung Brandhorst versammelt, dort ist außerdem noch bis zu diesem Wochenende eine Schau mit Fotos von Twombly präsentiert. Im Schleswig-Holsteinischen Landesmuseum in Schleswig werden bis Oktober Grafiken und Fotografien des Künstlers gezeigt.

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