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RAF-Drama: Bei aller Liebe

Erstaunlich fantasielos: Das Spielfilmdebüt "Wer wenn nicht wir" von Andres Veiels ist honorig gescheitert. Der Film kommt am 10. März ins Kino.

Diese Berlinale hat es mit den Katzen. In Miranda Julys „The Future“ soll eine Katze eine leergelaufene Liebe mit Sinn erfüllen, stirbt aber nur unwesentlich später als die Liebe. Im koreanischen Wettbewerbsbeitrag „Kommt Regen, kommt Sonnenschein“ könnte sie sich als der späte Sonnenschein eines Paars erweisen, das gerade einträchtig für die Trennung packt. Und in Andres Veiels „Wer wenn nicht wir“ wird sie gleich zu Beginn erschossen. Begründung des Schützen gegenüber seinem Sohn: Die Katzen seien „die Juden unter den Tieren“.

Der Junge, Bernward Vesper, hat die Katze geliebt. Da hat der Vater Will Vesper, zumindest als Schriftstellertäter, mit den Juden unter den Menschen längst aufgeräumt – in lyrischen Führer-Huldigungen und als Organisator der Bücherverbrennung in Dresden 1933. Weil er seinen begabten Sohn nach dem Krieg aber selber lobend zum Dichter hochzüchtet, kann der dem Vaterhass keinen freien Lauf lassen. Und zerbricht daran.

Das ist beileibe nicht die ganze Geschichte, die Andres Veiel hier erzählt und die August Diehl als Bernward Vesper eindrucksvoll verkörpert, aber es ist ihr Kern. Der Riss zwischen Vaterhass und Vateridentifikation überschattet und untergräbt Bernward Vespers Reifungsprozess – und seine Liebe zur Pfarrerstochter Gudrun Ensslin, die aus einem jener Haushalte kommt, die den Widerstand gegen Hitler sicherheitshalber nur in den eigenen vier Wänden zelebriert haben. Ensslin kann sich losreißen in den Terrorismus, Vesper nicht. Beider Ende ist früh: Der eher drogen- als schreibsüchtige Vesper nimmt sich 1971 das Leben, Ensslin stirbt mit ihrer zweiten, mörderischen Liebe Andreas Baader sechs Jahre später in Stammheim.

Zu einer Zeit, da der bundesrepublikanische Mythenstoff RAF weidlich ausbebildert ist, mögen die zehn Jahre der vorrevolutionären Kleinfamilie Vesper/Ensslin ein übriger Kinostoff sein. Der verdiente Dokumentarfilmer und Spielfilmneuling Andres Veiel aber inszeniert das penibel recherchierte Material seltsam fantasielos, wobei ihm immer wieder durchaus bemerkenswerte Momente gelingen. Chronologisch hetzt er, Tempo machend und gleichzeitig Tempo fortwährend herausnehmend, durch die sechziger Jahre, und stets wechseln sich die private Liebesbiografie und die öffentliche der Bundesrepublik artig ab.

Flott geht es durch die Stationen, wobei die Szenen selten länger dauern, als es ihre narrative Beweiskraft unbedingt verlangt: Studium in Tübingen, Gründung des gemeinsamen Kleinverlags, kurze Ménage à trois, Wechsel nach Berlin, Geburt des Sohnes, finales Abtauchen in den Terrorkampf (Ensslin) bzw. den Drogensumpf (Vesper). Ebenso flink zwischengeschnitten: das sattsam bekannte Schwarzweiß-Material der Fernseharchive, unterlegt mit Evergreens: Billie Holidays „Don’t explain“ ertönt vielsagend zu den Kaufhaus-Brandstiftungen, „Summer in the City“ zu dem blutig endenden Berliner Schah-Besuch vom 2. Juni 1967.

Dieser doppelte V-Effekt, als ästhetische Deeskalationsmaßnahme funktioniert er durchaus. Andererseits wird der Zuschauer so fortwährend aus der Liebesgeschichte herausgerissen, die sich der Regisseur doch „extrem, bedingungs- und maßlos“ wünscht. Arg ungelenk zudem sind die Leidenschaften selbst in Szene gesetzt, erst die Ensslins zu Vesper, dann die heftigere zu Baader. Und ob Letztere sich ganz auf den Gangster und das durch Schläge gefügig gemachte Liebchen reduzieren lässt, werden wohl erst künftig zugängliche Archive restlos klären.

Neben August Diehl als Vesper geben Lena Lauzemis und Alexander Fehling ihr Bestes, und das ist einiges. Aber ihre Dialoge knistern oft eher papieren als erotisch, und in den zahlreichen revolutionären Plenumssitzungen nistet doch beträchtlich der Staub des mittleren 20. Jahrhunderts. Bei aller Liebe: Sogar in Uli Edels „Baader-Meinhof-Komplex“, dem jüngsten filmischen Reanimationsversuch in Sachen RAF, hat jene Zeit weniger alt ausgesehen.

Heute 12 und 23 Uhr (Friedrichstadtpalast), 18.30 Uhr (Eva Lichtspiele). Der Film kommt am 10. März ins Kino.

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