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Kultur: Raketen-Roulette

Wie schrieb Heraklit? "Der Krieg ist der Vater aller Dinge".

Wie schrieb Heraklit? "Der Krieg ist der Vater aller Dinge". Rolf Hochhuth widerspricht dem nicht. Er macht in seinem neuen Stück "Hitlers Dr. Faust" den deutschen Raketenforscher Hermann Oberth (1894-1989) zum Helden und verzichtet darauf, die Rätsel im Lebensgang dieses Genies zu lösen. Ein Friedfertiger, ein Weltabgewandter, so nimmt Hochhuth ihn wahr. Oberth, der Held im Zwielicht, ist eine neuartige Figur für den Dramatiker: keiner, der im strahlenden Glanz naiver ethischer Unbedingtheit lebt, keiner, der sich opfert für eine fleckenlose Menschlichkeit. Sondern ein Forscher, der seine Träume zum Maß aller Dinge macht und also keine Skrupel kennt, wenn es gilt, das Erforschbare zu erforschen. Das Genie im Bunde mit dem Teufel. Denn auch die verwegensten Möglichkeiten der Umgestaltung alles Bisherigen, so die These des Wissenschaftlers, müssen materialisiert werden, ob segensreich oder furchtbar.

Die Handlung beginnt im Jahre 1917 in der österreichischen Provinz und endet 1985 in Huntsville, USA, umspannt also die Zeit der heißen Kriege in Europa und der ihnen folgenden bedrohlichen Auseinandersetzungen zwischen zwei feindlichen Weltlagern. Wahrlich Stoff für eine Jahrhunderttragödie - aber der Dichter gibt sich diesmal bescheiden. Er hält sich zurück, liefert zum Dialog nur knappe Kommentare und sparsame Dokumente, und in der noch einmal komprimierenden Bearbeitung des Stücks durch Marcello de Nardo am Berliner Schlosspark-Theater endet das Spiel schon nach etwas mehr als zwei Stunden.

Zwei Stunden nur, um Segen oder Fluch der "drei Epochemacher: Computer, Atomkraft und Weltraumforschung" (Hochhuth) herauszufinden? Der Dramatiker mag gemerkt haben, dass sich Theater mit einer Debatte wissenschaftlicher Theorien und moralischer Standpunkte schwer tut, schwer tun muss. Er versucht deshalb, seinem Helden und Thesenträger Oberth Fleisch zu geben, ihn zu einer handelnden Figur zu machen. Es gibt eine Liebesgeschichte, es gibt effektvolle dramaturgische Wendepunkte (plötzlicher Kriegstod naher Verwandter), auch eine Prise Abenteuer. So etwas wie "Handlung" vermag in den Sprüngen der einzelnen Bilder über Jahrzehnte hinweg jedoch kaum Fuß zu fassen - weil sich dokumentierte Geschichte den Forderungen des Theaters eben nicht unterwerfen lässt, auch diesmal nicht.

Tapfer und verbissen um Sinnlichkeit müht sich die Inszenierung Marcello de Nardos (Bühnenbild: Stephan Manteuffel) im Schlosspark-Theater. Sogar eine abenteuerliche Flucht wird mit Taschenlampe, schriller Trillerpfeife, Kriechen über den Bühnenboden auf kindliche Weise szenisch ausgeschlachtet - ein peinlicher Versuch, Erörterungen etwa über die Uranbombe spannend zu machen. Glücklich dagegen die Besetzung des älteren und alten Oberth mit Hermann Treusch. Im Rückzug auf das Nachdenkliche zeigt der Schauspieler einen nach innen gezwungenen Gewissenskonflikt, intensiv und glaubhaft, karg und doch auch mit Temperament. Diesem Grübler, diesem nicht selten wie Abwesenden, diesem beeindruckend Klugen hatte Jens Ole Schmieder den jungen Oberth vorangestellt, und zeigte unbekümmert einen verträumten Sonderling, der mit somnambuler Sicherheit zu den Abenteuern der Forschung aufbricht. Die große Altersspanne der Mathilde Oberth zwischen Mädchen und reifer Frau wird ebenfalls durch zweifache Besetzung - mit Christine Wodetzky und Kristina Bangert - aufgefangen. Das Anliegen Hochhuths wollte der Regisseur offensichtlich auf naive Weise schmackhaft machen - durch die gute alte Einfühlung.

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