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Kuschelig. Sänger Till Lindemann.

© DAVIDS

Rammstein in Berlin: Wohlfühlgrusel beim Topfschlagen

Kirmes-Rock: Rammstein spielen in der Berliner Wuhlheide zwei ausverkaufte Konzerte, bei denen sie routiniert ihrem Provokationsbusiness nachgehen. Inklusive Raketen, Gummi-Piephahn und einer dampfenden Gulaschkanone.

Das also auch mal erlebt. Bei Rammstein gewesen. Doll. Was die Leute nur immer mit dieser Band haben. Mal sollen sie schröckliche Teutonen sein, oder Sadomasochisten, oder Gewaltapostel, oder Nazis, Zündler, Kannibalen, Frauenhasser, in jedem Fall verdammte Macker. Dabei ist die Show vor allem eins: Kindergeburtstag! Aber wie. Oben auf der Bühne ist durchgehend Topfschlagen, unten im Innenraum durchgehend Sackhüpfen.

Von wegen Tanzmetal, wie die sechs Jungs die von ihnen erfundene Mischung aus Metal, Deutschrock und Techno nennen. Das ist nichts anderes als Kirmes- Rock mit Zirkus-Zauber. Schick anzusehen, aber – mal ehrlich, liebe Fans – musikalisch doch reichlich stereotyp. Ein Gemeindetreffen, zu dem nach bald zwanzig Jahren, die die sechs Musiker aus Ost-Berlin nun schon die Massen auf der ganzen Welt verschrecken, Vatis nicht nur die Muttis, sondern inzwischen sogar ihre kleinen Jungs mitbringen.

Die Volksfeststimmung beginnt Freitagabend schon eine Stunde vor Konzertbeginn am Bahnhof Wuhlheide. Da steigt die ganze S-Bahn auf einmal aus, kichert sich eins auf der gefährlich schwankenden Fußgängerbrücke und zeigt sich ihre Rammstein-Shirts. In der heute ebenso wie beim zweiten Konzert am Sonnabend ausverkauften Wuhlheide sind Kremmen, Bernau, Strausberg und Leipzig deutlich besser vertreten als Berlin.

Das nützt der Vorband Kraftklub aus Chemnitz aber auch nichts. Obwohl es den viel gepriesenen Indierockern mit ihren Songs „Ich will nicht nach Berlin“ und „Ich komm aus Karl-Marx-Stadt“ in redlich durchgerackerten 40 Minuten gelingt, ein kleines bisschen Ost-Credibility unter Rammstein-Fans zu erwerben. Der Frontmann ist prima darin, sich angesichts der Meute von weghörenden Dauer-Bierholern selbst auf die Schippe zu nehmen.

Als dann um zehn vor neun Kanonenschläge ertönten, Raketen in den fast den ganzen Abend lästig hellen Himmel zischen und Sänger Till Lindemann und seine Mannen die Bühne betreten, sieht das doch gleich ganz anders aus. Bier wird weiter geholt, muss ja, aber dafür gestanden, gejubelt und mitgesungen. Das ist nicht weiter schwer, denn die Eingangsnummer „Ich tu dir weh“ ist genauso gut abgehangen wie die folgenden Best-of-Hits „Wollt ihr das Bett in Flammen sehen?“, „Sehnsucht“, „Feuer frei“ oder die schöne Ballade „Ohne dich“. Die Showeffekte sind ebenfalls bereits seit dem letzten Berlin-Konzert 2011 bewährt: Bei „Mein Teil“ zerrt Lindemann eine dampfende Gulaschkanone umher, bei „Bück dich“ holt er seinen spritzenden Gummi-Piephahn raus. Alles grinst anerkennend und gruselt sich wohlig, Provokationsbusiness as usual.

Die Retortenshow ist perfekt produziert, da gibt’s nichts zu meckern. Guter, differenzierter Sound, könnte allerdings mehr knallen. Schon auf der unteren Tribüne ist es zu leise. Wenigstens bei Rammstein müssen doch Schlagzeug und Bass noch für Herzrasen gut sein. Dafür hat das aus einer Art Synapsengeflecht bestehende LED-Bühnenbild Tiefe und wird farblich reizvoll bespielt. Auch Funkenregen und Flammenwerfer der sechs Männer vom Grill machen nach wie vor was her. Und Flake, der Keyboard-Lakoniker, absoviert seine stoische Laufband-Arbeit in einem feschen Glitzergewand.

Dass Rammstein auch berühren können, zeigen sie allerdings nur bei der ersten von drei Zugaben der um Punkt halb elf endenden, zutiefst artigen Show: „Mein Herz brennt“ unplugged, mit Flake am Piano und Lindemann am Mikro. Ein fein ausgemaltes Gothic-Schauermärchen auf tiefrot leuchtender Bühne, zu dem 17 000 Kehlen den Refrain singen. Doll.

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