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Kultur: Rasende Bildschirmschoner

Auf einer Premierenfeier, so Biennale-Chef Peter Ruzicka, dürfe man über alles reden - nur nicht über drei Minuten. Ein Kalauer.

Auf einer Premierenfeier, so Biennale-Chef Peter Ruzicka, dürfe man über alles reden - nur nicht über drei Minuten. Ein Kalauer. Und doch: keine schlechte Vorlage. Denn über die Eröffnung der 8. Münchener Biennale für neues Musiktheater mit André Werners "Marlowe: Der Jude von Malta" ist in weniger als drei Minuten alles gesagt. Ein Flop mit System. Eine jämmerliche Steißgeburt. Die gute alte Literaturoper im zuckend fluoriszierenden Gewande der so genannten neuen Medien.

Die Misere fängt mit dem Festival-Motto an: "Oper als virtuelle Realität". Wer liebedienert sich hier wem an? Und überhaupt: Wann war die Oper in ihrer über 400-jährigen Geschichte je etwas anderes als virtuell, nämlich weder natürlich noch glaubwürdig, weil immer: artifiziell? Dass wir heute in der Oper von der Erfindung der Elektrizität profitieren, unsere Bühnenmaschinerien computergesteuert werden, ist das eine; unsichtbar, im Dienst der Sache, sind die Technologien mit der Zeit gegangen. Dass andererseits und sichtbar auch der Film und alles, was mit Projektionen, mit zweidimensional bewegten Bildern zusammenhängt, längst Einzug gehalten hat in unsere Guckkästen, ist das andere; auch die Ästhetik, unser Kanon an dechiffrierbaren Ausdrucksmitteln geht unweigerlich mit der Zeit. Der Zweck heiligt hier jedes Mittel, jederzeit - und also auch: die läppischsten Computerspielchen, wenn sie denn etwas zu sagen haben. Was aber hat Peter Ruzicka nur getrieben, das Ganze zu thematisieren?

Und: Will ich, die ich mein heutiges Leben ohnehin vor Flachbildschirmen friste, auch im Musiktheater noch damit konfrontiert werden? Nein, das will ich nicht, ich will - ganz altmodisch? - die Welt als Gegenwelt, will Gegenüber aus Fleisch und Blut, die mir Augen und Ohren öffnen und das Herz: für das "unmögliche Kunstwerk" Oper (Oscar Bie) als erste, letzte Utopie unserer "zweiten" Moderne. Computer können das nicht. Die Computerbilder jedenfalls, die Nils Krüger und das Berliner Büro Staudach auf die sechs Leinwände in der Münchner Muffathalle warfen, erinnerten eher an rasende Bildschirmschoner, als dass sie dem Betrachter Welten aufgeschlossen hätten. Und eine Atmosphäre für das Stück schufen sie ebenso wenig wie die "virtuellen" Kostüme, die, den Darstellern jeweils auf die historisch gewandeten Leiber projiziert, zumindest beim ersten Hingucken noch Effekt machten.

André Werners ebenso verquaste wie erschütternd konventionelle Adaption des Marlowe-Dramas (der Komponist, 1960 in Bremerhaven geboren und in Berlin lebend, war unseligerweise sein eigener Librettist), kommt unter diesen Umständen kaum vor. Die Musik ergeht sich in langatmigen Sprechgesängen oder erschöpft sich - ein bisschen Live-Elektronik, Akkordeon oder Klavier, ein paar Bläserakzente - im gründeligen Untermalen des Geschehens, ja in einer grauschleierigen Nicht-Musik.

Rüdiger Bohn, die Sänger und das auf klein besetzte Bundesjugendorchester bemühten sich dennoch nach Kräften. Stefan Herheims Inszenierung hingegen gereichte, den ganzen virtuellen Budenzauber abgerechnet, jedem besseren Studententheater zur Ehre. Nächsten Sommer, so hört man, plant Ruzicka bei den Salzburger Festspielen eine erste virtuelle Inszenierung von Mozarts "Entführung". Es steht Schlimmes zu befürchten (Weitere Biennale-Berichte folgen).

Christine Lemke-Matwey

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