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Ballett von gestern. Die Berliner Compagnie schickt Chloé Lopes Gomes fort.

© Chloe Desnoyers

„Das Problem ist die Institution, die Tradition“: Tänzerin erhebt Rassismus-Vorwürfe gegen Staatsballett Berlin

Die Tänzerin Chloé Lopes Gomes bekräftigt ihre Vorwürfe gegen eine Ballettmeisterin. Nie zuvor sei sie so rassistisch diskriminiert worden wie beim Staatsballett Berlin.

Von Sandra Luzina

An diesem Morgen ist Chloé Lopes Gomes wie gewohnt zum Training gegangen. Auch während des Lockdowns machen die Tänzerinnen und Tänzer des Staatsballetts Berlin täglich ihre Exercises an der Stange, nur eben in kleinen Klassen. Doch in normalen Bahnen verläuft das Leben der Französin derzeit nicht, und daran ist nicht nur Corona Schuld. Nachdem Lopes Gomes, die erste schwarze Ballerina der Kompanie, mit einer „Spiegel“- Journalistin des über ihre Rassismus-Erfahrungen gesprochen hat, steht sie im medialen Scheinwerferlicht. Über Nacht wurde sie auch außerhalb der Ballettwelt bekannt.

Chloé Lopes Gomes hat für ein Treffen den Park am Charlottenburger Schloss vorgeschlagen, einer ihrer Lieblingsorte in Berlin. Sie bekräftigt ihre Vorwürfe gegen eine Ballettmeisterin des Staatsballetts. Sie habe sich wiederholt rassistische Kommentare von der Trainingsleiterin anhören müssen. „Sie sagte, das Staatsballett hätte mich nicht engagieren sollen, weil ich eine Schwarze bin. Eine Frau of Color in einem Corps de ballet sei nicht ästhetisch, nicht homogen.“

Dabei blieb es nicht. Die Ballettmeisterin – nach Tagesspiegel-Information handelt es sich um eine Deutsche mit Ostbiografie – hatte Lopes Gomes von Anfang an auf dem Kieker. Sie forderte sie schon in ihrem ersten Monat auf, ihre Haut weiß zu schminken für eine „Schwanensee“-Vorstellung.

Der Vorfall hat sich 2018 unter der Direktion von Johannes Öhman abgespielt. Der Schwede hatte die klassisch ausgebildete Französin als Gruppentänzerin ans Staatsballett geholt. Er hatte auch die strikte Anweisung gegeben: kein Whitefacing mehr bei People of Color – und auch kein Blackfacing mehr.

Schwarze müssen sich weiß schminken

Das Whitefacing ist eine verbreitete Praxis in romantischen Balletten. Die „Schwanensee“-Inszenierung von Patrice Bart, die das Staatsballett im Repertoire hat, ist von 1997 und sieht für die Schwäne im 2. und 4. Akt weiße Körperschminke vor. Auch weiße Tänzerinnen schminken sich heller, aber wenn eine nicht-weiße Tänzerin sich weiß schminken muss, ist das keine rein ästhetische Frage. Sondern eine Entsprechung zur rassistischen Praxis des Blackfacing.

Nachdem Öhman die Ballettmeister nochmals instruiert hatte über die Hauspolitik – kein Weißschminken und null Toleranz gegenüber Rassismus –, schien das Thema erledigt zu sein. Ein Gespräch mit der Ballettmeisterin zu führen, wie von Öhman vorgeschlagen, lehnte Lopes Gomes aber ab. Sie habe Angst gehabt, danach noch schlechter behandelt zu werden, erklärt sie.

Chloé Lopes Gomes kam vor zwei Jahren nach Berlin, mit großen Erwartungen. Sie hat schon in Ballettcompagnien in Nizza und London getanzt, zuletzt war beim Béjart Ballet. Nie zuvor sei sie so rassistisch diskriminiert worden wie beim Staatsballett Berlin, erklärt sie. Nachdem Öhman die Kompanie Anfang dieses Jahres vorzeitig verlassen hatte, fühlte sie sich der Ballettmeisterin regelrecht ausgeliefert. Und wieder übte diese Druck auf sie auf, sich weiß zu schminken.

Wer wusste wann von den Vorfällen?

Die kommissarische Intendantin Christiane Theobald erklärt, sie halte das Vorgehen von Johannes Öhman in puncto Whitefacing für richtig. „Das war eine klare Ansage, der zu folgen war und deren Umsetzung ich mit realisiert habe.“ Theobald, die schon seit der Gründung des Staatsballetts Berlin eine leitende Funktion innehat, will erst am 1. Oktober von den konkreten Vorwürfen gehört haben: „Nachdem mir die Vorfälle, die teilweise mehrere Jahre zurückliegen, im Oktober bekannt gegeben wurden, wurde unmittelbar eine innerbetriebliche Aufklärungsarbeit in Gang gesetzt.“

Dem entgegen steht die Aussage von Chloé Lopes Gomes. Im März musste sie sich für ein „Schwanensee“-Fotoshooting auf der Bühne weiß schminken. Als sie Theobald sie im Flur traf, habe diese sie darauf angesprochen und es ihr untersagt. Falls sie schon früher von den Vorfällen wusste: Warum wurde Theobald nicht schon früher aktiv? Warum wurde die einzige schwarze Tänzerin der Kompanie nicht besser geschützt? Theobald informierte Lopes Gomes offiziell Anfang Oktober darüber, dass ihr Vertrag nicht verlängert wird. „Sie sagte, ich passe nicht in die Kompanie. Ich hätte nicht die tänzerische Qualität, um beim Staatsballett Berlin zu tanzen“, berichtet Lopes Gomes. Theobald sagte auch, sie habe die Ballettmeister nach ihrer Einschätzung gefragt, keiner habe sich für sie eingesetzt. Dazu muss man wissen: Es gibt fünf festangestellte Ballettmeister beim Staatsballett. Lopes Gomes hatte es aber meistens mit einer Person zu tun.

Ihr Schweigen hat Lopes Gomes erst gebrochen, nachdem ihr Vertrag nicht verlängert wurde. Der Schritt, mit den Medien über ihre Rassismus-Erfahrungen zu sprechen, sei ihr nicht leicht gefallen. Sie fürchtet, in Zukunft kein Engagement mehr zu bekommen. Die Black-Lives-Matter-Bewegung habe sie darin bestärkt, ihre Erfahrungen nun öffentlich zu machen. „Ich will ich nicht, dass kleine schwarze Mädchen, die klassische Tänzerin werden möchten, denken, dieses Metier sei für sie verboten“.

Die Debatte über strukturellen Rassismus erreicht nun auch die deutsche Ballettszene. Die Ballettmeisterin hat sich inzwischen bei Chlóe Lopes Gomes entschuldigt. Doch das reicht ihr nicht. „Sie ist für mich nur die Spitze des Eisbergs“, betont sie. „Das Problem ist die Institution, die Tradition.“ Es gibt immer noch Leute, die das Ballett als weiße, elitäre Kunstform betrachten. Lopes Gomes findet, das Ballett sollte die Gesellschaft widerspiegeln und alle repräsentieren.

Nur Verträge mit kurzer Laufzeit

Dieser Kampf mache sie stärker, glaubt Lopes. Sie bekomme viel Zuspruch von Kollegen und Kolleginnen beim Staatsballett, aber auch von Tänzern aus anderen Kompanien. „Ich hoffe, dass sich nun auch andere Tänzer ermutigt fühlen, für ihre Rechte einzutreten.“ Ein Problem sei, dass viele Tänzer nur Ein-Jahres-Verträge bekommen. Da muss man sich nicht wundern, dass keiner den Mund aufmacht. Einige Tänzer sprechen sogar von einem Klima der Angst beim Staatsballett.

Christiane Theobald ist der Fall auf die Füße gefallen. „Es tut mir leid zu sehen, dass es im Staatsballett Berlin eine beschäftigte Person gibt, die über einen längeren Zeitraum eine für sie sehr belastende Situation ertragen musste und die Situation nicht schon vorher aufgelöst werden konnte“, sagt sie. Sie plant Antirassismus-Schulungen für alle Mitarbeiter. Und sie sieht auch die Notwendigkeit, einen Code of Conduct einzuführen: „Ich könnte mir vorstellen, dass ein solcher Verhaltenskodex ein Zusatz in den Arbeitsverträgen ist. Mir wäre auch wichtig, dass wir jetzt eine verpflichtende Weiterbildung für Ballettmeister implementieren.“

iese hatten beim Staatsballett schon immer große Macht. In den Wirren nach dem abrupten Abgang der Doppelspitze Öhman und Waltz haben sie anscheinend noch an Einfluss gewonnen. Welche arbeitsrechtlichen Konsequenzen der Vorfall für die besagte Ballettmeisterin hat, ob das Staatsballett weiter mit ihr zusammenarbeiten wird – dazu könne sie sich nicht äußern, sagt Theobald.

Der Fall zeigt: Wenn ein Transformationsprozess eingeleitet wird, um eine Kompanie diverser aufzustellen, muss das sensibel gehandhabt werden. Er macht zudem deutlich: Um das Staatsballett fit für die Zukunft zu machen, braucht es eine starke Führungspersönlichkeit mit einer klaren Haltung und einer künstlerischen Vision.

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