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Auf Augenhöhe. Richard Lynch Garner mit Schimpansin „Susie“ um 1911. Der Exzentriker und Rassist wollte den Sprachcode der Primaten knacken – und beweisen, dass es auch unter den Menschen verschiedene Spezies gibt.

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Rassismus-Debatte: Hilfe, wir ähneln den Affen!

Wie der Amateurforscher Richard Lynch Garner vor 100 Jahren Darwins Evolutionslehre widerlegen wollte.

Von Caroline Fetscher

Seine tropischen Tischgefährten hatten Namen wie „Moses“, „Plato“ oder, etwas schlichter, „Dinkie“. Richard Lynch Garner kaufte die Schimpansen von Nachbarn und Händlern in Französisch-Kongo, wo sich herumgesprochen hatte, dass da an der Küste von Fernan Vaz seit 1892 ein Amerikaner wohnte, der für Affen gute Preise zahlte. Und dessen Koch für ihn und die Tiere das Essen zubereiten musste.

Garner war überzeugt, Ruhm als Primatenforscher zu erlangen, den Sprachcode seiner Affen knacken zu können und außerdem Darwin zu widerlegen, der erklärt hatte, alle Menschen gehörten derselben Spezies an. 1848 in den Südstaaten zur Welt gekommen, hatte Garner doch schon als Kind erlebt, dass die Welt in Ordnung war, als Weiße und Schwarze noch ihren festen Platz hatten. In Gabun erlebte der Vertreter des rassistischen Anti-Imperialismus, wie Missionare und Kolonialbeamte die Ordnung der Dinge störten, etwa indem sie der „anderen Rasse“ unnötige Bildung aufzwangen.

In den USA wurde der Amateurforscher zunächst belächelt, als er mit seinen Affentheorien auftauchte. Zwei Jahrzehnte lang verwendeten politische Rivalen Garners Theorie der Affensprache in Metaphern, um Gegner lächerlich zu machen. Doch Garner gelang es immer wieder, Sponsoren für seine Reisen zu finden. Und er sorgte dafür, dass einige „seiner“ Tiere den Transport über den Ozean überlebten – die meisten Gorillas und Schimpansen verendeten damals schon auf hoher See. Schließlich handelte Garner sogar Lieferverträge mit dem Zoologischen Garten in New York und der berühmten Smithsonian Institution aus. Er servierte Amerikas Publikum unter anderem das Gorillamädchen Dinah, mit dem die feministische Autorin Djuna Barnes im Zoo in der Bronx 1914 ein „Interview von Frau zu Frau“ führte.

Der Historiker Jeremy Rich, dessen Forschungsschwerpunkt in Zentralafrika liegt, hat nun mit der Rekonstruktion von Garners Biografie ein Kabinettstück der Geschichte des späten Kolonialismus und der frühen Globalisierung verfasst – das bisher nur auf Englisch erschienene Buch wird in den USA derzeit lebhaft diskutiert. Es spielt im Spannungsfeld zwischen der Kolonialherrschaft der Europäer, dem Bedürfnis der US-Öffentlichkeit nach exotischen Kreaturen, die als Gefangene der Zoos die Suprematie der Mehrheitsbevölkerung demonstrieren sollten – und den bisher aus der Geschichte ausgeklammerten Afrikanern. Diese mussten Allianzen mit allen Akteuren vor Ort eingehen, die Kolonialverwaltung austricksen, den Sammler Garner für ihre Zwecke benutzen und darüber rätseln, was die Weißen mit Tieren anstellten, die für Westafrikaner eher eine Plage darstellten, da sie Bananenplantagen verwüsteten. Garner gab sich denn auch als Schutzherr der Tiere gegenüber gefühllosen Afrikanern, die „nichts als Grausamkeit“ kennen.

An Garners Küste: Das US-„Dschungelcamp“ wurde im Kongo gedreht

Vor allem weiße, amerikanische Männer, schockiert von Darwins Erkenntnissen, konfrontiert mit dem Ende der Sklaverei, degradiert durch Bürowelt und Industrie, waren auf der Suche nach neuen Bilderwelten, die weiße Helden und Pioniere zelebrierten: Ein Jahr, nachdem Garner 1911 auf einer Tournee durch die USA seine „sprechende“ Schimpansin „Susie“ vorführte, erschien das erste Groschenheft mit einer Tarzan-Episode.

Wie die Besucher des Hamburger Zoos von Carl Hagenbeck, der seine Tiere meist aus den deutschen Kolonien besorgte, waren auch die Menschen jenseits des Atlantiks wild auf die wilden Kreaturen, die unsere Verwandten darstellen sollten. Für den Abenteurer, Tierhändler und Hobbyzoologen Garner, der zwischen 1892 und 1919 rund zwanzig Jahre in der Region am Äquator verbrachte, bot das Szenario die Chance zum Aufstieg in die Liga geachteter Nordstaatler. Immerhin widmete ihm die „New York Times“ 1920 einen Nachruf .

Geschickt stilisierte Garner sich zum einsamen Helden im Dschungel, verfasste Schriften wie „In den Klauen der Kannibalen“, und er entwickelte doch ambivalente Sympathien für all die Afrikaner, von denen sein Geschäft und sein Haushalt vor Ort abhingen: Orts- und Sprachkundige, Fährtenleser, Jäger, Köche, Kanubauer, Träger, Clanchefs, die ihm Land verpachteten. Aus Garners Korrespondenzen mit dem Zoodirektor in der Bronx, mit Kuratoren von Museen und mit seinem Sohn zeichnet Rich die bisher unerforschten Hintergründe der Geschäfte nach. In seinen Publikationen gelingt es Rich, mikrohistorische Vignetten zum großen Bild zusammenzufügen. Und Afrikamythen aufzulösen, ähnlich wie es in Deutschland Andreas Eckert mit seinen Grundlagentexten und Studien zur deutschen Kolonialepoche unternimmt.

An Garners Vita zeichnet Rich die Verquickung von kolonialer Anthropologie und Biologismus nach, und er erkennt die Vorboten touristischer Globalisierung. Erstaunlich die Tatsache, dass für die US-Variante des „Dschungelcamps“, die 2008 unter dem Titel „Survivor“ fürs Fernsehen gedreht wurde, ausgerechnet die Küste gewählt wurde, an der Garner einst lebte. Noch immer, darauf weist Jeremy Rich hin, erklären Weiße in Afrika, die Tierwelt vor den Schwarzen schützen zu müssen – das Klima, in dem Thesen wie Garners blühten, hat sich noch nicht vollends gewandelt. Als im März 2012 das Genom des Gorillas „ausgelesen“ war, wie Wissenschaftler es nennen, stand eins unwiderlegbar fest: Nach dem Schimpansen ist er der nächste Verwandte des Homo Sapiens.

Jeremy Rich: Missing Links. The African and American Worlds of R. L. Garner, Primate Collector. University of Georgia Press, 2012.

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