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Kultur: Raum der Geschichte

Die Sprache der Wissenschaft gilt als unsinnlich, oft sogar als unverständlich.Umso mehr fallen Autoren auf, für die Stil kein Fremdwort ist, und die ihre diskursive Prosa vielleicht sogar mit einem Plot zu verbinden wissen.

Die Sprache der Wissenschaft gilt als unsinnlich, oft sogar als unverständlich.Umso mehr fallen Autoren auf, für die Stil kein Fremdwort ist, und die ihre diskursive Prosa vielleicht sogar mit einem Plot zu verbinden wissen.Der Historiker Karl Schlögel ist so ein rarer Vertreter wissenschaftlicher Eleganz.Mehr noch: Er gilt als Schriftsteller unter den Historikern, und in seinem Fall meinen die strengen Zunftgenossen das nicht einmal abwertend.

Eine "hingerissene, ja hinreißende Prosa" bescheinigte ihm Hausherr Wolf Lepenies anläßlich der Verleihung des Anna Krüger-Preises im Wissenschaftskolleg zu Berlin.Der Krüger-Preis ist nach dem Willen der Stifterin, der Philologin Anna Krüger (1904-1991), ausdrücklich solchen Werken vorbehalten, die sich einer "guten und verständlichen Wissenschaftssprache" bedienen.

Mit Karl Schlögel erhielt nun ein gefragter Osteuropa-Spezialist den Preis, der mit seinen vorwiegend im Siedler-Verlag erschienen Büchern ein breites Publikum erreicht.In seinem Buch "Berlin, Ostbahnhof Europas" (1998) über das Zusammenleben von Deutschen und Russen beschreibt er die Arbeit des Historikers so: "Wiederverknüpfen und Aufrollen von gerissenen Biographien, Lebenszusammenhängen und Ereignisketten." Nicht umsonst plädierte Schlögel in seinem Festvortrag denn auch für die Wiederkehr des Raumes in der Geschichte.Dies nicht ohne an die Belastung des Begriffs zu mahnen, dessen "Aura" vielleicht für immer zerstört sei.Anders als in Frankreich stehen die Arbeiten der Geographen und Demographen hierzulande verständlicherweise unter Ideologieverdacht.Die Rede vom Raum ist assoziativ verbunden mit dem Wörterbuch des Unmenschen.Lebensraum, Ostraum, Großraum: das Vokabular deutscher Großmachtsphantasmen, die ganz Europa traumatisierten.

Schlögels reflektiertes Plädoyer, den geschundenen Begriff dennoch wiederzuentdecken, fügt sich in aktuelles kulturgeschichtliches Umdenken.Er entfaltete einen beeindruckenden und gelehrten Kosmos, indem er Thukydides und Montesquieu bemüht, um schließlich bei Friedrich Herzl und Fernand Braudel zu landen.Seine mit Verve vorgetragenen Aufforderungen an die Vergangenheitsforscher, Räume und Orte mitzudenken, bedürfen noch der Konkretion.Vielem aber ist zuzustimmen, etwa der Mahnung zu mehr Sprachlosigkeit, an Innehalten im Angesicht großen Umwälzungen.Eine solche Oppositionshaltung gegen begriffsselige Geschwätzigkeit kann nur wünschenswert sein.

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