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Kultur: Ray Bradbury: Der Traumfabrikant

Als er zwölf Jahre alt und ein Wanderzirkus in der Stadt war, wurde Ray Bradbury von Mr. Electrico, dem Karnevalsimpresario, hinter die Kulissen geführt.

Als er zwölf Jahre alt und ein Wanderzirkus in der Stadt war, wurde Ray Bradbury von Mr. Electrico, dem Karnevalsimpresario, hinter die Kulissen geführt. Nach dem Rundgang nahm Mr. Electrico ein blitzendes Schwert, ließ es auf Rays Schultern sinken und sprach: "Lebe ewig." Das war 1932, das Jahr, in dem Bradbury zu schreiben begann.

Unsterblich wurde er allerdings erst zwanzig Jahre später. 1953 erschien "Fahrenheit 451", eine düstere Parabel über Gedankenzensur und Buchverbrennung in einem Staat, der sich zu Tode amüsiert. Damit war die Trias der maßgeblichen anglo-amerikanischen Anti-Utopisten im 20. Jahrhundert komplett: Huxley, Orwell, Bradbury. Noch heute ist "Fahrenheit 451" die Temperatur, bei der Papier zu brennen beginnt - und Bradburys bekanntester Titel, auch dank der Truffaut-Verfilmung von 1966.

Zuvor waren zwei Erzählbände und eine Art Roman erschienen: die "Mars-Chroniken" (1950), die sich um die Kolonisierung des Mars drehten. Damit erwarb sich Bradbury den Ruf als einer der weltweit populärsten Science-Fiction-Autoren. Das geht insofern in Ordnung, als er selbst das Genre als das wichtigste einstuft, sondern darüber hinaus erklärt, die Menschheitsgeschichte sei im Ganzen "nichts anderes als Science Fiction". Gleichzeitig ist Bradbury nichts weniger als ein Branchenbediener.

"In früheren Zeiten hätte ich wahrscheinlich mit Gauklern und Barden auf dem Marktplatz gestanden und die Leute unterhalten," sagt Bradbury, und wir hören das prägende Erbe Mr. Electricos. Bradbury ist ein klassischer Geschichtenerzähler, also ein Spiegler und Spieler, der mit Masken wirft und sich hinter Schildern aus Pappmaché verschanzt. Was soll schon aus jemandem werden, der von seiner filmbesessenen Mutter in Kinos geschleppt wird, bevor er selbst überhaupt gehen kann? Und der mit 14 Jahren bis zum Scheitel in der Welt von Hollywood versinkt?

Ein Traumfabrikant. "Ein Kind des Kinos", wie sich Bradbury selbst nennt.In "Ein Friedhof für Verrückte" von 1990 zeichnet Bradbury dem Hollywood der 50er Jahre, diesem Jahrmarkt der Illusionen und Eitelkeiten, ein titelgetreues und ironisch durchfrisiertes Porträt, in dem er selbst als Hauptdarsteller und als "blöder, fahrradfahrender Marsmensch" firmiert. Der burleske Sprachwitz des Plots ist denkbar weit entfernt vom spröden Parabelstil in "Fahrenheit 451". Bradbury schrieb auch die Drehbücher zum B-Movie-Klassiker "It came from outer space" und zu "Moby Dick" von John Huston.

Die stilistische Vielfalt von Bradburys Erzählungen, hunderte sind es, ist immens. Immer wieder tauchen Jahrmärkte auf: als Verheißung und als Bedrohung. Sie sind eine Art Weltmetapher und eine Möglichkeit zur Rückkehr in die Kindheit. In ihnen wird jene kindliche Wahrnehmung wieder lebendig, die die Dingwelt mit einer magischen Aura versieht. Wichtiges geschieht vorzugseise in der Halloween-Nacht. Diese Nacht hebt die Altersunterschiede der Protagonisten auf; alle schauen sie mit derselben kindlichen Erregung und Beklemmung den initiatorischen Ereignissen entgegen. "Monster, hier sind wir", heißt es im "Friedhof für Verrückte". Heute wird Ray Bradbury, der Gaukler vom Mars, 80 Jahre alt.

Joachim Otte

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