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Elegant im Alter von 19 Jahren. Raymond Roussel.

© Wikipedia

Raymond Roussel: Sorgenvoll in Sanssouci

Zero Sharp, ein neuer Berliner Kleinverlag, hat sein Herz für den französischen Modernisten Raymond Roussel entdeckt.

Von Gregor Dotzauer

Für Jean Cocteau spiegelte sich in ihm eine ganze Welt, „aufgehängt an Eleganz, Märchenzauber und Angst“. Tatsächlich war Raymond Roussel ein exzentrisches Nervenbündel. 1877 in eine begüterte Pariser Familie geboren und 1933, zwei Wochen nach einem offenkundigen Selbstmordversuch, in Palermo unter mysteriösen Umständen tot aufgefunden, tobte in ihm ein Heer widersprüchlicher Kräfte. Der Größenwahnsinnige, der den Schaffensrausch, der ihn beim Schreiben des Versepos „La Doublure“ als 19-Jährigen erfasst hatte, nie mehr einholen konnte, hielt sich mit Barbituraten und Alkohol ruhig. Der Wortspieler kontrollierte seine lautlichen Assonanzen und Assoziationen mit selbstentwickelten Regeln. Und der Weitgereiste, der unter anderem „Eindrücke von Afrika“ hinterließ, war auf fremde Kulturen wenig neugierig.

Roussel, schrieb sein langjähriger Therapeut Pierre Janet, habe „einen sehr interessanten Begriff von literarischer Schönheit, das Werk darf nichts Wirkliches enthalten, keine Beobachtung der Welt oder des Geistes, nichts außer gänzlich imaginären Kombinationen: Dies sind bereits Ideen aus einer außermenschlichen Welt.“ Genau dies machte ihn aber auch für viele Künstlerkollegen interessant. Für André Breton und seine surrealistischen Freunde war er einer der großen „Magnetiseure der Moderne“. Michel Foucault widmete ihm sein erstes Buch. Alain Robbe-Grillet begeisterte sich für seine nichtpsychologische Schreibweise, und die Autoren von Oulipo (Ouvroir de Littérature Potentielle), allen voran Georges Perec und Harry Matthews, bezogen sich mehrfach auf ihn.

2012 erschien in der Anderen Bibliothek sein Hauptwerk, der Roman „Locus Solus“ in einer Neuausgabe von Stefan Zweifel. Nun sind im Jahresturnus zwei Bände mit auf Deutsch bisher unveröffentlichten Texten aus dem Nachlass erschienen, für die der Philosoph (und Übersetzer) Maximilian Gilleßen und der Gestalter Anton Stuckardt mit zero sharp (www.zerosharp.org) nun in Berlin-Friedenau gleichsam einen eigenen Verlag gegründet haben: Künftig sollen dort auch Roussels Zeitgenossen und Geistesverwandte heimisch werden.

Besonders reizvoll sind Jugendtexte unter dem Titel „Chiquenaude“, die Roussel mit dem Motto „textes de grande jeunesse ou textes-genèse“ versah, in dem sich schon sein Prinzip der Sinnerzeugung durch Lautverschiebung zeigt. Kurios auch „Die Allee der Leuchtkäfer", die den Leser in eine Sommernacht zu Friedrich dem Großen nach Sanssouci entführt – wenn man das Romanfragment denn realistisch lesen dürfte. In kenntnisreichen Nachworten beschreibt Gilleßen Entstehung und Werkszusammenhang. Leider sind beide Bände buchgestalterisch problematisch. Illustrationsehrgeiz, Satzspiegel und typografische Lesbarkeit stehen in einem auffälligen Missverhältnis zur Sorgfalt, die auf die Texte verwandt wurde. Insbesondere die Ligament-Schrift der „Leuchtkäfer“ wirkt lieblos selbstgezimmert. Gregor Dotzauer

Raymond Roussel: Chiquenaude und andere Texte aus früher Jugend. 112 S., 16 €. Die Allee der Leuchtkäfer. Flio. Zwei Texte aus dem Nachlass. 144 Seiten, 18 €. Beide aus dem Französischen und mit Nachworten von Maximilian Gilleßen. zero sharp, Berlin 2014/15.

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