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Auf die Kombination kommt es an. Über 300 Millionen können bis 2013 gespart werden, sagen die einen. Die anderen sagen, es wird teurer, wegen Dahlem. Foto: Thomas Langreder / Visum

© Thomas Langreder / VISUM

Rechenspiel: Zahlenschloss für das Berliner Stadtschloss

Sparen? Verschieben? Kosten schönen? Beim Berliner Stadtschloss kalkuliert jeder, wie er will. Ein Rechenexempel.

Seit die Bundesregierung am 7. Juni den Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses auf 2014 verschob, hat das schwarz- gelbe Sparpaket ein Symbol. Nicht wenige Berichte über die 80-Milliarden-EuroSparpläne wurden mit dem Modell des Barockbaus illustriert. Nachdem das Paket schon vorab auf heftige Kritik stieß, sollte nun kommuniziert werden: Ende mit dem Luxus, wir machen Ernst mit dem Sparen. Eine symbolische Geste – wie fast alles am Schloss symbolische Gesten sind.

Um politische Handlungsfähigkeit statt Scheitern zu demonstrieren, setzte man gleich ein zusätzliches Zeichen: Die Grundsteinlegung, so Bundesbauminister Peter Ramsauer, sollte schon 2013 erfolgen. Den Baubeginn will man also noch schnell vor der nächsten Bundestagswahl inszenieren – um das Finanzierungsproblem der nächsten Regierung zu überlassen.

Doch das ist nicht alles. Die Schlossfreunde fingen gleich an, das Bild des Sparschlosses umzudeuten. Nicht durch Verzicht soll gespart werden, sondern durch Errichten. Wer das Projekt für zwei, drei Jahre auf Eis legt, spart nach dieser Logik gar nichts, der Bau des Schlosses sei billiger als der Verzicht.

Das ist, mit Verlaub, absurd. Der Bund hat sich bekanntlich bereit erklärt, 440 Millionen Euro Investitionskosten zu tragen, Berlin steuert 32 Millionen bei, der Förderverein hofft auf 80 Millionen Euro für die drei barocken Fassaden. Die Einnahmen des Vereins sind bislang jedoch enttäuschend gering, vermutlich wird der Bund auch für einen Großteil der Fassadenkosten aufkommen müssen. Ferner wird in der Öffentlichkeit der Wunsch nach einer Schlosskuppel, den Fassaden des Eosanderhofs und teilweiser Bewahrung der Originalfundamente und -keller lauter. Im Beschluss des Bundestags ist dies zwar nicht vorgeschrieben, aber ein Schloss ohne Kuppel will keiner – das bedeutet Mehrkosten von 50 bis 100 Millionen Euro. Der Anteil des Bundes dürfte also auf 550 bis 600 Millionen steigen.

In der Haushaltsplanung für 2011 bis 2013 waren dafür 310 Millionen Euro vorgesehen, dennoch sprach der Bundesbauminister von einer Einsparung von 400 Millionen. Beide Zahlen sind realistisch betrachtet falsch. Relevant für den Steuerzahler ist nicht das, was im Etat beziffert wird, sondern was tatsächlich an Kosten entsteht: nach heutigem Wissen mehr als eine halbe Milliarde Euro.

Eine weitere Unwägbarkeit deutet sich an. Bislang blieben in der Kostendiskussion die Betriebs- und Instandhaltungskosten ausgespart, die sich jährlich auf einen größeren Millionenbetrag belaufen und die Erstellungskosten längerfristig übersteigen dürften. Hinzu kommen die Kosten für das Kulturprogramm der Agora, für die erweiterten Ausstellungsflächen, die Werkstätten des Wissens und vieles mehr. Nur ein sehr geringer Anteil wird aus Einnahmen refinanziert werden können. Bislang hieß es, die Betriebskosten müssten die Nutzer aufbringen. Aber bereits heute stöhnt die Stiftung Preußischer Kulturbesitz unter steigenden Betriebskosten für ihre Häuser; auch scheint die Absicht der „Stiftung Berliner Schloss – Humboldt-Forum“, Sponsoren aufzutreiben, bislang eher frommer Wunsch. Der Bauherr hat die Betriebskosten jedenfalls noch nicht öffentlich gemacht, wie es hinter vorgehaltener Hand heißt.

Während die Lobbyisten des Schlossbaus die eingesparten Investitionen also auf 310 Millionen Euro herunterreden, entwerfen sie gleichzeitig eine Drohkulisse von Mehrkosten bei Verschiebung oder gar Aufgabe des Projektes. Die Berliner SPD-Bundestagsabgeordnete Petra Merkel warnt vor einer Verzögerung beim Bau der U 5 und suggeriert Zusatzkosten, obwohl laut BVG die neue Situation das Bauvorhaben eher erleichtert. Die Berliner Baukammer wittert Schadenersatzforderungen, und der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz Hermann Parzinger spricht von 200 Millionen Euro für die dann notwendige Gesamtsanierung in Dahlem und behauptet: „Im Endeffekt wird’s teurer“. Er begründet dies damit, dass dort seit zehn Jahren nichts geschehen sei und die Bauten „vor dem völligen Verfall“ stünden.

Beim Berliner Schloss wurden – ähnlich wie bei der Hamburger Elbphilharmonie – von Anfang an die Zahlen geschönt. Es begann mit der Expertenkommission „Historische Mitte“ 2001/ 2002. Aufgrund von Spenden, Public-Private-Partnership und Aktien sei der Wiederaufbau des Schlosses als Humboldt-Forum nahezu zum Nulltarif zu haben, hieß es. Im Abschlussbericht war zu lesen: „Die von der öffentlichen Hand im Verlauf mehrerer Jahre insgesamt aufzubringenden 230 Mio. € sind bei wirtschaftlicher Betrachtung mittelfristig in hohem Ausmaß gegenfinanziert durch zu erwartende Einsparungen an anderer Stelle und Veräußerungserlöse, insbesondere durch die Aufgabe des dritten Standortes der Museen Preußischer Kulturbesitz in Dahlem sowie das Freiwerden des Grundstücks.“ Auf Basis dieser Behauptung fällte der Bundestag 2002 seinen ersten Beschluss für den Wiederaufbau des Schlosses. Als das Bundesfinanzministerium die Sache jedoch prüfte, fiel das Finanzierungsmodell in sich zusammen.

Die Kosten für die Barockfassaden belaufen sich angeblich auf 80 Millionen Euro, nach der internen Kostenschätzung des Bundesamtes für Bauwesen vom Juli 2007 liegen sie aber bei einer Bruttosumme von 112 Millionen Euro, inklusive Mehrwertsteuer. Hinzu kommen 10,8 Millionen für die Rekonstruktion der Kuppel. Man kennt das: Die Abrisskosten für den Palast der Republik wurden vor der Entscheidung von zunächst 20 Millionen Euro auf zwölf Millionen Euro heruntergerechnet, am Ende beliefen sie sich durch zusätzliche Asbestfunde auf 32 Millionen Euro. Die Mehrkosten hatte der Bund zu tragen. Nimmt man die allererste Asbestsanierung dazu, wurden für den Abriss des Palastes der Republik insgesamt 118 Millionen Euro ausgegeben.

Stets wurden die Kosten für das, was man anstrebte, geschönt. Das Land Berlin konnte angeblich nur eine Summe von 32 Millionen Euro für seinen Gebäudeanteil am Schloss aufbringen, offenkundig aus Rücksicht auf die mitregierende Linkspartei. Deswegen soll nun nur ein kleiner Teil der Landesbibliothek ins Humboldt-Forum einziehen.

Beim Schloss standen sich immer kulturpolitische Wünsche und die nüchterne Betrachtung von Finanzexperten gegenüber. Eine interministerielle Arbeitsgruppe schrieb bereits 2003: „Angesichts der Haushaltslage des Bundes und der Länder empfiehlt die Arbeitsgruppe, die Entscheidung über die konkrete Inangriffnahme der Bebauung des Schlossareals erst dann zu treffen, wenn die eingeleiteten Reformmaßnahmen der Bundesregierung greifen und sich die wirtschaftliche und haushaltsmäßige Situation des Bundes gebessert hat. Derzeit sind Millionenbeträge zum Neubau des Humboldt-Forums vor dem Hintergrund der Kürzungen in den unterschiedlichsten Politikbereichen den Bürgern nicht darstellbar.“

Nach sieben Jahren hat sich die Lage zugespitzt. Dabei geht es nicht bloß ums Geld. Natürlich gibt es beim Bauministerium weit teurere und ähnlich fragwürdige Projekte, sei es Stuttgart 21 oder der Neubau der Autobahn A 14 . Es geht darum, ob der Schloss-Plan auch 2010 überzeugtund den Aufwand rechtfertigt.

Vor acht Jahren hatte der Bundestag einen fraktionsübergreifenden Konsens herzustellen versucht, der für jeden etwas bereithielt. Während die Agora bei den SED-Nachfolgern Erinnerungen an den Palast der Republik wachrufen sollte, erhalten die Kulturkonservativen ihr preußisches Königsschloss zurück, für die Grünen gibt es Multikulti. Die Widersprüchlichkeit spiegelt schon der sperrige Doppelname wider: „Berliner Schloss – Humboldt-Forum“. Entgegen dieser vermeintlichen Offenheit haben sich die ideologischen Fronten jedoch verhärtet, die Rekonstruktionsvorstellungen wurden orthodoxer. Anders als erhofft, hat das Projekt mit seiner Konkretisierung an Überzeugungskraft verloren. Der Sparbeschluss wurde in den Medien überwiegend mit Erleichterung aufgenommen.

Das ist tragisch, weil nur eine öffentlich finanzierte, kulturelle Nutzung eine sinnvolle Option für das Schlossareal ist. Die Festlegung auf das Humboldt-Forum hat in eine Sackgasse geführt. Als 2003 ein Moratorium für das Projekt verkündet wurde, beschloss der Bundestag den vorgezogenen Palastabriss und die Planung des Wiederaufbaus – allen Finanzierungsproblemen zum Trotz. Was damals als clever erschien, könnte heute das Ende des Stadtschlosses besiegeln. Die Palastruine hätte eine baldige Neugestaltung erzwungen; mit der grünen Wiese kann einstweilen jeder seinen Frieden schließen.

Der Autor ist Direktor der Stiftung Bauhaus Dessau.

Philipp Oswalt

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