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Kultur: Rechtzeitig zum Wiegenfest des Dichters liest Lutz Görner die Weimarer Gedichte: live und auf CD

Zwischen Suppe und Klößen gibt es literarische Schonkost: eine Plauderei über Friederike, die Anekdote von der toten Katze, die Goethe und Carl August einer Bäuerin ins Butterfass warfen und dass Christiane Vulpius lieber Wein statt Wasser trank. Guten Appetit.

Zwischen Suppe und Klößen gibt es literarische Schonkost: eine Plauderei über Friederike, die Anekdote von der toten Katze, die Goethe und Carl August einer Bäuerin ins Butterfass warfen und dass Christiane Vulpius lieber Wein statt Wasser trank. Guten Appetit. Rechtzeitig zum Wiegenfest hat sich Lutz Görner, 54, Deutschlands fleißigster Rezitator, in Weimar eingenistet und liest Goethes Weimarer Gedichte täglich zum Drei-Gänge-Menü. Wo Kulturtouristen sind, verbreitet auch Görner seine Botschaft: Goethe-Gelände ist kein heiliger Tempelbezirk. Seit 20 Jahren versucht Görner mit Lyrik- und Liedgutabenden den ewig Überlegenen vom alten Sockel zu heben.

Ein intellektuelles Schlüsselerlebnis hat jeder irgendwann mit Goethe. Einige überleben die Pubertät nur dank Werther-Lektüre; andere merken später, dass sie nichts von Goethe wissen und es viel zu wissen gibt. Der ehemalige Schauspieler Lutz Görner war etwa 30 Jahre alt, erinnerte sich ungern ans Goethe-Pauken in der Pennälerzeit und hielt den Schreiber in 68er-Manier für einen altmodischen Knacker, über den auf Kaffeekränzchen gekichert wird. Mit "Deutschland. Ein Wintermärchen" hatte sich Görner als Rezitator bereits einen Namen gemacht, als er ausgerechnet beim 68er-Schoßkind Heinrich Heine folgenden Satz über den für Görner damals "gruseligen Bürger-Dichter" Goethe las: "Die Natur wollte wissen, wie sie aussieht und deshalb schuf sie Goethe". Konnte Heine das ernst meinen? Der studierte Germanist wollte es wissen, ackerte sich monatelang durch Goethes Werke - und entdeckte in ihm "die einzige Musterausgabe der Gattung Mensch".

Siehe da. Keine besonders neue Erkenntnis, aber für Görner der Beginn einer großen Liebe. Doch in Ehrerbietung wollte Görner nicht dahinschmelzen und wünschte sich, was jeder Beziehung ab und zu gut tut, "den Goethe nackt da stehen sehen." Die Idee zu dem volksgerechten Programm "Goethe für alle" war geboren. In drei Jahren tingelte Görner mehr als 400 mal über deutsche Kleinkunstbühnen, rezitierte Gedichte und Texte aus "Dichtung und Wahrheit", erzählte von Goethes Fluchtwegen nach Italien und erfand Pointen, die bisweilen peinlich berühren: "Der Kriegsminister Goethe reduzierte das Heer um die Hälfte. Da könnte sich unser Verteidigungsminister mal ein gutes Beispiel dran nehmen." Görner entzauberte auch Brecht und Tucholsky, produzierte im Auftrag von 3sat 150 Sendungen "Lyrik für alle" und fand immer wieder zu Goethe zurück. "Lutz Görner liest und singt Goethe Super Star" heißt die Jubiläums-5er-CD-Box mit drei Görner-Goethe-Abenden. Auf das Cover ist eine missratene Zeichnung vom Dichter mit Bassgitarre gedruckt; ein Hinweis auf den Inhalt. Görner hat sich zunehmend in die Idee verliebt, Goethe mit Musik und Klimbim zu untermalen, statt dessen Sprache wirken zu lassen. Den "Reinecke Fuchs" entstellt er unter Zuhilfenahme von Dialekten der drei Handlungsorte. Als Zuhörer kann man nur die Hände heben, auf die Ohren, und sich ergeben. Für "Auch Goethe" engagierte der heimliche Rocker Görner zwei Musiker und lässt Lyrikgehacktes mit Velvet Underground und Bob Dillon-Takten unterlegen. Das Resultat klingt nach BAB und Wolfgang Niedecken. "Heutig", nennt Görner die Musik. Wer seinen schlechten Musikgeschmack erträgt, kann sich ein bisschen über Goethe amüsieren; der erste Abstand zu dem poetischen Universalgelehrten wäre genommen.

Nette Unterhaltung, benotet auch der Hamburger Literaturwissenschaftler Heinz Hillmann solche Leseabende: "aber vergebliche Mühe". Denn Goethe sei schon zu Lebzeiten zu beunruhigt gewesen, als dass jemand sein wahres Gesicht hätte entschleiern können - und habe deshalb ständig versucht, seinen eigenen Mythos herzustellen. Selbsttäuschung war für ihn kein Fluchtweg, so Hillmann, sondern notwendig: um ein Bild zu erzeugen, an das sich die Menschen und er selbst halten könnten.

Lutz Görner ist das alles egal. Man müsse auf Goethe zumarschieren, dann begreife man den Dichter schon. "Für mich", erzählt Görner, "ist er inzwischen zu einem Kumpel geworden, mit dem ich mich prima im Kopf unterhalten kann."Lutz Görner singt und spricht Goethe Super Star: Goethe für alle, Reinecke Fuchs, Auch Goethe; 5 CDs, Naxos

Simone Kaempf

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